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PolitikEuropa

Die Truppen des Papstes im Ukraine-Krieg

4. Mai 2022

Ein sehr ungewöhnliches Interview von Papst Franziskus mit dem "Corriere della sera" nährt Hoffnungen auf eine diplomatische Vermittlungsaktion der Kirche, meint Christoph Strack.

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20 Soldaten der Päpstlichen Schweizergarde in ihrer blau-gelb-roten Uniform mit rotem Helmbusch in einer Reihe angetreten
Die Schweizergardisten sind die Truppen des Papstes - dienen aber vor allem als folkloristisches Fotomotiv im VatikanBild: Filippo Monteforte/AFP/Getty Images

Papst Franziskus spricht Klartext. Er benennt Putin als Verantwortlichen der russischen Aggression in der Ukraine. Er vergleicht das tausendfache Sterben von unschuldigen Zivilisten mit dem Völkermord in Ruanda, und er zeigt entgegen aller förmlichen Hochachtung seine Geringschätzung für den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill.

Endlich. Denn seit der russischen Invasion am 24. Februar äußerte sich das Kirchenoberhaupt zwar immer wieder voller Empathie zum Leiden des ukrainischen Volkes - aber er verschwieg die Gründe dieses Leids. Ganz so, als wäre eine Naturgewalt über das Land gezogen. Noch das Spektakulärste war die Fahrt im Kleinwagen und ohne großes Protokoll zum russischen Botschafter beim Heiligen Stuhl. Eine "klare Geste, die die Welt sehen kann", sagt der Papst.

"Wie viele Divisionen hat der Papst?"

Franziskus beendet nun also sein über Wochen so diplomatisch anmutendes Reden, das keine Verantwortlichkeiten benannte. Und stattdessen? Gibt er einer der großen italienischen Zeitungen, dem Chefredakteur des "Corriere della Sera" und seiner Stellvertreterin, ein Interview. Der Text erscheint als Bericht; die Zeitung verzichtet also auf eine Ausformulierung als klassisches Interview. Und das bei dieser herausfordernden Thematik. Das darf man schon überraschend finden.

Deutsche Welle Strack Christoph Portrait
DW-Kirchenexperte Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

"Wie viele Divisionen hat der Papst?" Diese große Frage wird dem sowjetischen Diktator Josef Stalin zugeschrieben. Mit diesen Worten soll er 1945, in der Endphase des Zweiten Weltkrieges, seine Geringschätzung für das geistliche Oberhaupt deutlich gemacht haben, als es um dessen Rolle als Verbündeten der Alliierten ging. Kriege würden nun einmal "mit Soldaten, Kanonen und Panzern" geführt.

Nun, 77 Jahre später, scheint Russlands Präsident Putin ähnlich wie Stalin zu denken. Denn Franziskus schildert, dass er Putin in Moskau besuchen wolle, dass sein Kardinalstaatssekretär diesen Wunsch schon vor Wochen dem Kreml übermittelt habe, aber nichts passiert. Franziskus wartet vergeblich auf Antwort.

Agieren wie ein Vorortpfarrer in Buenos Aires

Eingebettet in eine Plauderei über Knie-Schmerzen und italienische Innenpolitik wirkt all das wie eine weitere Etappe in der merkwürdig anmutenden Öffentlichkeitsarbeit dieses Papstes, der auch bei diesem so ernsten Thema wie ein Vorortpfarrer in Buenos Aires agiert. Nach dem Motto: Reden wir mal mit dem Chefredakteur. Vorbei die Zeit, dass solch grundsätzliche Anmerkungen zu einem Welt-Thema, wie sie in diesem Text enthalten sind, sich in einer Ansprache an das Diplomatische Corps finden.

Aber vielleicht ist genau das der Gedanke des Papstes zur Frage des Josef Stalin. Denn auch heute verfügt das Oberhaupt der katholischen Kirche über keinerlei Waffen und nur die kleine, folkloristisch anmutende Truppe der Schweizergarde. Nein, die Truppen des Papstes sind, wenn überhaupt, die Medien, die öffentliche Meinung, sein öffentliches Urteil.

"Putins Messdiener"

Denn ein überraschend deutliches Urteil spricht Franziskus dann doch. Ökumenisch wäre es in normalen Zeiten ein Eklat: Der Papst führt sein russisch-orthodoxes Gegenüber Kyrill vor, der lange schon einen innigen Schmusekurs mit dem Kreml und Präsident Putin pflegt und nicht müde wird, die Gräueltaten der Russen in der Ukraine theologisch verbrämt zu bejubeln.

Protokollarisch sind das zwei auf Augenhöhe, die sich bei ihrer bislang einzigen Begegnung mit Umarmung begrüßten und einander als "Bruder in Christus" anreden. Jetzt schildert Franziskus die skurril anmutende Szene, wie ihm Kyrill bei einem Zoom-Telefonat 20 Minuten lang schriftlich vorformulierte "Rechtfertigungen für den Krieg" vorgetragen habe. Dann spricht der Papst von einem "Staatskleriker", der die Sprache der Politik verwende, und warnt den Patriarchen davor, "zum Messdiener Putins zu werden".

Helsinki reloaded?

Also alles beim alten nach diesem merkwürdigen Interview? Der Papst als Schönredner ohne eigene Truppen? Nach manchem, was heute aus Rom zu hören war, ist zu hoffen, dass dem nicht so ist. Ein sehr kundiges spanischsprachiges Vatikan-Portal berichtete über umfassende Bemühungen der Kirchenspitze, eine internationale Konferenz für einen Friedensschluss anzubahnen. Neben Franziskus werden der Kardinalstaatssekretär und der vatikanische Außenminister genannt.

Als Format wird ausdrücklich der Vergleich zur "Helsinki-Konferenz" gezogen. 1975, in Zeiten des Kalten Krieges, erreichten Amerikaner, Kanadier, Sowjets sowie gut drei Dutzend europäische Staaten in der finnischen Hauptstadt bei der "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (KSZE) Wegweisendes: die Selbstverpflichtung zur Zusammenarbeit, den Respekt der Unverletzlichkeit der Grenzen, die Verpflichtung zur friedlichen Bewältigung von Konflikten. Bis heute bleibt das ein großer europäischer Moment.

Helsinki reloaded? Ob Franziskus, ob die Kirchen auf ein solches Ziel hinarbeiten können? Ob sie, wenn schon keine Truppen, so doch genügend diplomatische Verbündete haben? Mag sein, dass das Interview des Papstes mit seiner deutlichen Kritik an Russland, aber zugleich auch seiner leisen Kritik an der Waffen-Logik des Westens, ein Schritt auf einem solchen Weg ist. Wenngleich die täglichen Nachrichten und schrecklichen Bilder aus der Ukraine dafür momentan kaum Hoffnung lassen.