Deutschland schwitzt in diesen Tagen bei Temperaturen um die 30 Grad und mehr. Normalerweise macht sich in solchen Zeiten kein Mensch Gedanken über den nächsten Winter. Der ist ja noch so weit weg. Aber: Normal ist gar nichts mehr in diesem Sommer des Jahres 2022. An Europas östlicher Grenze tobt ein Krieg. Der Mann, der diesen Krieg vom Zaun gebrochen hat, Russlands geheimdiensterprobter Diktator Wladimir Putin, spielt ein perfides Spiel.
Abgesehen von der Vernichtung der Ukraine hat der russische Führer noch etwas anderes im Sinn: Die Spaltung des sogenannten Westens, also all jener Länder, die sich besondere Werte auf ihre Fahnen geschrieben haben wie Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, Gleichheit und Toleranz zum Beispiel. Sowas ist für einen wie Putin ein rotes Tuch.
Das Spiel mit dem Gashahn
Während also Putins Truppen unablässig Artilleriegranaten über den Südosten der Ukraine regnen lassen, bekämpft er die "unfreundlichen" Länder des Westens mit seiner anderen Lieblingswaffe: dem Erdgas. Als hätte er ein Pult mit Schiebereglern auf seinem Schreibtisch, gibt's mal weniger Gas für Österreich, dann für Italien. Via Ukraine kommt auch deutlich weniger russisches Gas in Westeuropa an. Auch Deutschland wurde schon bestraft: Durch den wichtigsten Lieferstrang, die Ostseepipeline Nord Stream 1 kam nicht mal mehr als die Hälfte der üblichen Menge in Greifswald an. Angeblich wegen einer läppischen Turbine, die in Kanada gewartet wurde und wegen der Sanktionen bislang nicht zurückgekommen ist.
Jetzt kommt sie zurück (dafür werden mal kurz die Sanktionsregeln aufgeweicht), und dann wird man sehen, ob das nur ein weiterer vorgeschobener Grund war für die Reduzierung der Lieferung. Überhaupt wird es ja spannend: Deutschland blickt gebannt auf den kommenden Donnerstag: Da soll die planmäßige Wartung von Nord Stream 1 beendet sein - während der Arbeiten fließt regulär kein Gas durch die Röhren. Wird dann wieder was ankommen am westlichen Ende des Strangs?
Deutschlands erschreckende Abhängigkeit
Wenn nicht, wird klar: Das wird ein harter Winter. Denn die Speicher hierzulande sind erst zu gut 65 Prozent gefüllt. Es drohen - da russisches Gas derzeit noch lange nicht ausreichend durch andere Lieferanten ersetzt werden kann, erst recht nicht zum bisherigen Preis - enorme wirtschaftliche Verwerfungen, besonders in Deutschland. Aber genau das ist ja Putins Plan: Er dreht uns den Gashahn zu, das führt zu einem schweren Konjunktureinbruch, zu sozialen Spannungen - der Rückhalt für die westliche Unterstützung der Ukraine soll bröckeln.
Denn das ist die Krux: Deutschlands erfolgreiches Geschäftsmodell der vergangenen Dekaden basierte auf dem Import billiger Energie: Öl und Gas aus Russland. Und wer daran etwas zu mäkeln hatte, wurde abgewatscht. Man erinnert sich an die UN-Vollversammlung im September 2018. Der damalige US-Präsident - ein gewisser Donald Trump - hielt den Deutschen den Spiegel vor. Deutschland, so Trump, werde vollständig abhängig von russischer Energie werden, wenn es nicht sofort seinen Kurs ändere. Von der deutschen Delegation, allen voran vom damaligen Außenminister Heiko Maas, erntete er dafür Lachen und Kopfschütteln.
Der Schmutz der anderen
Später, als die Amerikaner wegen der fast fertig gestellten Pipeline Nord Stream 2 Sanktionen gegen beteiligte Firmen verhängten, hieß es hierzulande: Die wollen uns doch nur ihr schmutziges Fracking-Gas verkaufen. Heute bettelt der deutsche Wirtschaftsminister in Washington darum, möglichst viel davon zu bekommen. Aber wenn dann die Rede darauf kommt, doch in Deutschland Gas mittels Fracking zu fördern (die damit förderbare Menge Erdgas würde locker zur Selbstversorgung für zwei Jahre reichen), dann heißt es nur: Igitt! Wir machen uns doch nicht unsere Umwelt kaputt!
Ähnlich verhält es sich mit Steinkohle, die jetzt wieder verstärkt importiert werden muss (auch um Lieferungen aus Russland zu kompensieren): Sie kommt zu einem Gutteil aus Kolumbien, wo sie unter oft menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut wird. Und auch die Diskussion um eine Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke verkommt zu einer pseudomoralischen Scheindebatte.
So also werden von der Bundesregierung, aber auch in deutschen Städten und Gemeinden, fleißig Notfallpläne für den Herbst geschmiedet, die Medien überbieten sich mit Schlagzeilen über den kommenden Katastrophenwinter - und im Kreml sitzt ein Mann und reibt sich die Hände. Deutschlands Politik der jüngsten Vergangenheit hat einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der verfahrenen Situation, in die das Land gerade manövriert wird. Die Fehler der Vergangenheit werden auf die Schnelle nicht zu korrigieren sein. Es wird ein kalter Winter.