In der UNO ist es Tradition, dass Brasilien als erstes Land seinen Beitrag zu den Debatten der Vollversammlung abgibt.Neu war dieses Jahr, dass der Beitrag per Video eingespielt wurde, was der Corona-Pandemie geschuldet war. Mit über 137.000 Corona-Toten ist Brasiliens Bilanz dabei derzeit die zweittödlichste, nach den USA. So geriet Bolsonaro gleich zu Beginn seiner Rede in die Defensive. Denn wie erklärt man der Welt, die seinen fürchterlichen Vergleich des Corona-Virus mit einer "kleinen Grippe" kennt, das heimische Desaster?
Schuld treffe nicht ihn. Vielmehr sei er Opfer der brasilianischen Justiz geworden, die ihm bei der Bekämpfung der Pandemie die Hände gebunden und die Kompetenzen an die Gouverneure abgetreten habe. Wer genauer hinsieht weiß, dass sich Bolsonaro in Wirklichkeit geradezu geweigert hat, die von ihm als Hysterie dargestellte Pandemie zu bekämpfen. Schlimmer noch - er setzte auf das nachweislich wirkungslose Malariamittel Chloroquin und unterstellte das Gesundheitsministerium einem General, der zuvor die Logistik der Olympischen Spiele von Rio organisiert hatte. Doch zu seiner Mentalität als Populist gehört nun einmal die Verneinung jeglicher Schuld oder Verantwortung.
Genau wie die Überhöhung der eigenen Rolle immer dann, wenn etwas gut läuft. Die an über 65 Millionen Brasilianer ausgezahlten Corona-Hilfen hätten die Wirtschaft vor einem noch größeren Desaster beschützt, sagt Bolsonaro. Das stimmt. Doch dass es der Kongress war, der die Regierung zu den Hilfen drängte, verschweigt er vor dem internationalen Publikum. Dafür lügt er schlicht, wenn er sagt, dass die Hilfen insgesamt bei 1000 Dollar pro Person liegen. Gerade einmal die Hälfte dessen wurde ausgezahlt.
Brennende Wälder und gigantische Umweltzerstörung
Noch offensichtlicher wird Bolsonaros Verneinung der Wirklichkeit angesichts der fortschreitenden Umweltvernichtung am Amazonas.Selbst in Großstädten im fernen Süden Brasiliens sind die Rauchwolken derzeit zu spüren, man kann sie zudem auf den Satellitenbildern der NASA in ihrer gigantischen Ausbreitung betrachten. Und dass Bolsonaros Regierung die Umweltbehörden hindert, die Wälder zu schützen, ist durch die drastischen Kürzungen der Umwelt-Budgets belegt. Selbst Mitglieder seiner eigenen Regierung geben die Lähmung der Kontrollbehörden offen zu.
Trotzdem wiederholte Bolsonaro auch vor der virtuellen UNO-Vollversammlung sein Mantra, dass niemand die Natur mehr schütze als Brasilien. Nur dass die böswillige Weltgemeinschaft dies nicht anerkennen will. "Was Amazonien und das Pantanal angeht, sind wir das Opfer einer der brutalsten Lügenkampagnen", so Bolsonaro. Internationale Institutionen würden sich an dunklen Machenschaften beteiligen, um seiner Regierung und Brasilien zu schaden, und selbst "unpatriotische Kriegsgewinnler" aus Brasilien würden dabei mitmachen.
Das richtet sich neben Organisationen wie Greenpeace und dem WWF und Aktivisten wie dem Hollywoodschauspieler Leonardo DiCaprio auch gegen die UNO selbst. Deren Klimakonferenz COP 25 sollte im Herbst 2019 eigentlich in Brasilien ausgetragen werden. Doch Bolsonaro stellte sich quer. Dafür beschuldigte er die UN wiederholt, mit Hilfe der Klimaabkommen Brasilien die Amazonasregion wegnehmen zu wollen.
Opfer internationaler Mächte?
Doch Bolsonaro geht es natürlich nicht um Brasiliens Image in der Welt. In Zeiten globaler Informationsnetzwerke und Dank der wachsamen Berichterstattung der Medien weiß die Welt heute sehr genau, was in Brasiliens Wäldern vor sich geht. Da hat Bolsonaro nichts zu gewinnen. Vielmehr richtet sich sein Diskurs an die eigene Bevölkerung, vor der er sich angesichts der Corona-Toten, der coronabedingten Wirtschaftskrise und der Umweltzerstörung verantworten muss. Und der er - anders als der gut informierten Weltöffentlichkeit - seine Verdrehung der Tatsachen noch unterschieben kann.
Obskure Mächte aus dem Ausland zu beschuldigen, kommt bei vielen Brasilianern gut an. Die Drohungen aus den Reihen der Europäischen Union, den Handelsvertrag mit dem Mercosul-Block nicht zu ratifizieren, kommen ihm dabei gelegen, um sich als Opfer internationaler Ränkeschmiede zu zeigen.
Zwei Probleme bewegen gerade die Welt: die Corona-Pandemie und der Klimawandel. Beide Krisen haben globale Dimensionen und sind auch nur auf globaler Ebene zu lösen. Ein kluger Staatsmann würde deshalb globale Institutionen wie die UNO nutzen, um Lösungen auf den Weg zu bringen. Zuallererst im Interesse des eigenen Landes. Doch Bolsonaro denkt nicht an Lösungen. Als professioneller Populist nimmt er die Krisen dankend an, um sie imaginären Feinden anzulasten. Konstruktives darf man von ihm nicht erwarten.