Es waren nicht die fünf Tore des Aufsteigers VfB Stuttgart, die Lucien Favre am Ende den Job gekostet haben. Sein Abschied war schon lange besiegelt: Favres Vertrag läuft ohnehin zum Saisonende aus, seit Monaten kursieren Gerüchte um eine mögliche Nachfolge - nun umso mehr, seit klar ist, dass Co-Trainer Edin Terzic nur bis zum Saisonende die Verantwortung tragen soll. Und das ist der Knackpunkt bei Borussia Dortmund. Man wird auch dieses Mal keinen finden, der - nach eigenem Bemessen - so gut zum Verein passt wie damals Jürgen Klopp: ein Vollblut-Weltklassetrainer mit schwarz-gelbem Herzen.
Lucien Favre ist einer der besten seines Fachs. Er stabilisierte den Verein nach einer schwierigen Zeit mit zwei Trainerwechseln, formte zahlreiche Talente, holte zweimal die Vizemeisterschaft - aber keinen in Dortmund so sehnlich erhofften Titel. Sogar in der Saison 2018/19, als es nach der Hinrunde mit acht Punkten Vorsprung auf den Erzrivalen aus München äußerst vielversprechend aussah, jubelten die Bayern dann am Ende der Saison doch wieder als strahlende Sieger.
Favre: Keiner für die "Big Points"
Wenn es darauf ankam, versagte der BVB unter Favre - besonders in den Duellen mit dem FC Bayern München, nach denen sowohl in der vergangenen als auch in der aktuellen Saison der Titelkampf so gut wie verloren war. Dabei hatte man zu Beginn der vergangenen Saison den Mund so voll genommen wie selten und den Titel als Saisonziel ausgegeben - und wurde bekanntlich Zweiter.
Man kann nicht sagen, dass es am Verletzungspech liegt, dass der BVB immer wieder Rückschläge erleidet. Auch wenn der Ausfall von Stürmer Erling Haaland aktuell schwer wiegt, darf das nicht als Ausrede gelten. Es fehlt dem BVB mehr als nur die Tore des Norwegers. Wichtig ist nämlich auch, wie man mit Ausfällen umgeht. Stattdessen Marco Reus auf die "Neun" zu setzen, also die von ihm noch nie mit Passion erfüllte Mittelstürmer-Position, ist offenbar keine gute taktische Entscheidung. Und doch hielt Favre stur daran fest.
Schwierige Suche nach dem Favre-Nachfolger
Der penible Taktiker aus der Schweiz scheiterte in Dortmund auch an seiner Art. Favre reißt Fans und Spieler nicht mit, er ist kein lautstarker Motivator und keiner, der mal ein Risiko eingeht. Das wirkt sich auch auf seine Spieler aus, die dann vielleicht ebenfalls den einen Moment zu zögerlich agieren - eine erlesene Auswahl übrigens, die allerdings größtenteils unter ihren Möglichkeiten spielt.
Im Ruhrgebiet, wo die Borussia beheimatet ist, registrieren das die Menschen. Sie wollen Fußball, der "volle Pulle" nach vorn gespielt wird, torreich, emotional, erfolgreich - und vor allem immer mit einhundertprozentigem Einsatz. Eine Mischung aus Spielfreude und Gier. So wie unter Klopp. Dessen Schatten hängt noch immer tief über dem Stadion, nicht zuletzt, weil Klub-Chef Hans-Joachim Watzke bis heute von seinem Ex-Trainer schwärmt. Auch die Fans sehnen sich nach einem mitreißenden Spielstil und einem charismatischen Trainer, der das Schwarz-Gelb in seinem Herzen offen zur Schau trägt. Solange die Antwort eines BVB-Trainers auf ein Unentschieden aber lautet: "Ein Punkt ist immer okay für mich", wie nach dem 1:1 gegen Frankfurt vor einer Woche, werden sie nicht mit ihm glücklich werden.
Die Frage ist nur: Wer soll kommen? Herausragende Trainer vom Kaliber Favres sind nicht gerade zahlreich auf dem Markt. Julian Nagelsmann, der in Dortmund hoch gehandelt wird, müsste man aus seinem Vertrag bei RB Leipzig herauskaufen, Wunschkandidat Ralf Rangnick steht bei den Fans eher nicht hoch im Kurs. Um den Vorwurf des blinden Aktionismus zu umgehen, hat der BVB also eine große Aufgabe vor sich: einen Trainer zu finden, der sowohl Freude als auch Erfolg ins Spiel zurückbringt. Und der den langen Schatten Jürgen Klopps endlich verblassen lassen kann.