Mein Deutschland: Luther und mein Heidenkind
31. Oktober 2016Zu meinem Vorschlag, eine Luther-Reise zu unternehmen: "Vergiss es! Luther interessiert mich nicht."
Zu meiner Ankündigung, nach dem Besuch des Luther-Geburtshauses in Eisleben noch das Elternhaus in Mansfeld zu besichtigen: "Warum stalkst Du ihn so?"
Zwischendurch ein stimmungsvolles Abendessen in "Lutherstuben" in Eisenach: "Man kann es aber auch übertreiben. Diese Dauerbeschallung der mittelalterlichen Musik ist ja nervig. Und wie der Kellner fragt: 'Hat es Euch gemundet?'"
Essen verbindet
Der angebliche Luther-Spruch auf der Speisekarte "Warum rülpset und furzet Ihr nicht, hat es Euch nicht geschmecket?" scheint ihr doch zu gefallen: "Dieser Luther ist ja fast ein Chinese." (In China gehört Rülpsen immer noch zu den gängigen Geräuschen am Esstisch.)
Anfang Juli 1505 der Wendepunkt in Martin Luthers Leben: Der Jurastudent legt bei einem heftigen Gewitter in der Nähe von Erfurt ein Gelübde ab: "Stell Dir vor: Es blitzt und donnert. Da schmeißt sich einer auf den Boden und ruft: 'Heilige Anna, hilf! Lässt Du mich leben, so will ich ein Mönch werden.' Wer heute so was macht, wirkt doch ziemlich bescheuert. Aber damals war das wohl normal."
Schweigen ist Gold
Noch im selben Monat trat Luther ins Kloster der Augustiner-Eremiten in Erfurt ein. "Das Leben eines Mönchs ist alles andere als chillig. Um drei Uhr morgens beginnt schon das erste Gebet. Die Mönche dürfen nicht miteinander reden. Auch beim Essen schauen sie einander nicht an. So üben sie Demut. Das bewundere ich am meisten. Ich könnte nicht mal eine Stunde schweigen. Wenn ich Martin Luther wäre, würde ich alle paar Minuten losprusten."
Zum Ablasshandel: "Das ist die reinste Abzocke! Stell Dir vor: Jemand hat einen Menschen ermordet. Da sagt der Priester: Nicht schlimm, das kostet 500 Euro. Für die Kirche bedeutet das: Je mehr Verbrechen begangen wird, desto mehr Geld wird kassiert. Wie krank ist das denn?! Die Menschen haben aber daran geglaubt, weil sie den Priestern und auch dem Papst vertraut haben."
Die öffentliche Kritik an diesem System ist die eigentlich revolutionäre Tat Luthers: "Ganz schön mutig, dass er diese 95 Thesen ans schwarze Brett der Schlosskirche gehängt hat. Für mich ist Martin Luther ein Held, weil er mit seiner Kritik sein Leben riskiert hat."
Ein Held unter Pantoffeln
Mut bewies er auch mit seiner Heirat. Gott habe den Menschen als Mann und Frau geschaffen, zitiere ich den Reformator: "Deshalb gilt: Sowenig es in meiner Macht steht, kein Mann zu sein, so wenig steht es auch bei mir, dass ich ohne Frau sein kann." Meine Tochter stellt fest: "Das klingt aber sehr schwulen- und lesbenfeindlich."
Unbestritten ist sein Verdienst um die deutsche Sprache. "Ein Herz und eine Seele, das schwarze Schaf, Grillen im Kopf, Hummeln im Arsch - das alles kommt von Martin Luther? Krass!"
Der Reformator scheint eine Vorliebe für den Hintern zu haben. Der Reiseführer hat noch ein Beispiel parat: "Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz." Da muss meine Tochter schmunzeln: "Mama, auf Chinesisch gibt es doch etwas Ähnliches. Wie heißt es noch mal?" ("Aus einem Hundemaul kommt kein Elfenbein.")
Unerbittlich und dogmatisch
Die deutsche Sprache hat er vereinheitlicht, die Kirche aber - wenn auch unbeabsichtigt - gespalten. Aber die Kirchenreformer selbst waren sich ebenfalls nicht einig. Die Streiterei unter den Protestanten über die Sakramente kann meine konfessionslose Tochter nicht nachvollziehen. Entsetzt zeigt sie mir das zehn Meter tiefe Verlies für den Täufer Fritz Erbe auf der Wartburg: "Bloß weil er sein Kind nicht taufen lassen wollte? Dabei ist es doch ganz vernünftig, erst Erwachsene zu taufen, die auch an Gott glauben. Babys können doch noch keine Entscheidungen treffen."
Dass der große Reformator für eine harte Verfolgung dieser Täufer und auch der Juden plädiert hat, findet mein inzwischen Luther-kundiges Kind schade: "Das ist gar nicht heldenhaft. Aber Martin Luther war eben auch nur ein Mensch und kein Heiliger."
Vor unserer Rückreise zieht Lucy Bilanz: "Sechs Museen, eine Burgführung, eine Klosterführung, eine Stadtführung und etliche Kirchen in drei Tagen. Mein Gott! Hätte ich das vorher gewusst, wäre ich gestorben. Aber im Nachhinein finde ich es gar nicht so schlimm. Es hat sogar Spaß gemacht. Meine Freunde werden mich für verrückt halten, wenn ich ihnen das erzähle!"
Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.
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