Mein Deutschland: Noch ein offener Brief an die CSU
22. September 2016Liebe CSU,
Sie haben Herrn Kazim folgenden Text öffentlich geschrieben: "Du weißt zum Beispiel bestimmt, wie im islamischen Kulturkreis oder im chinesischen Kulturkreis über den westlichen Kulturkreis geredet wird. Nämlich was für große Unterschiede und Unvereinbarkeiten es da gibt. Und ich weiß nicht, ob Du das als Rassismus bezeichnen würdest."
Die Rassismus-Keule möchte ich an dieser Stelle nicht auspacken. Ebenso wie Sie schätze ich Argumente und lehne Totschlagargumente ab. Ich finde es allerdings sehr schade, dass Sie es bei dieser vagen Aussage belassen und nicht konkreter werden. Ich selbst stamme aus dem chinesischen Kulturkreis, lebe seit bald 30 Jahren in Deutschland und habe bisher keine unüberwindbaren Barrieren zum christlich-abendländischen Kulturkreis feststellen können.
Wenn ich innehalte und mich zwinge, in meinen Erinnerungen nach Kulturschocks zu kramen, dann fallen mir allenfalls der Karneval und die gemischte Sauna ein. Ja, mit der kollektiven Sauferei am Ende des Winters und der ausgeprägten Nacktkultur hierzulande hatte ich anfangs meine Schwierigkeiten. Inzwischen ist aus mir aber eine richtige Rheinländerin geworden, die auch keine Sauna links liegen lassen kann. Und ich reise mit meinen Kindern durch Europa, um ihnen die abendländische Kultur nahe zu bringen.
Sie werden jetzt vielleicht sagen, dass es auch viele Chinesen gibt, die sich nicht integrieren wollen. Da stimme ich Ihnen zu. Ich kenne zum Beispiel einen Chinesen, der nach 40 Jahren Aufenthalt hier nur gebrochen Deutsch spricht (für seinen Beruf brauchte er die deutsche Sprache kaum) und auch ansonsten lieber in seiner chinesischen Welt bleiben möchte. Aber der Integration seiner Kinder hat er nie im Weg gestanden. Neulich erzählte er mir, dass er hier sterben wolle. Den Lärm in China könne er nicht mehr ertragen. Verkörpert er damit die Unvereinbarkeit beider Kulturkreise? Ich denke nicht.
Aber wenn ich an ihn denke, tut sich doch ein wesentlicher Unterschied der beiden Kulturen auf: Mein alter Freund ist nämlich ein typischer Chinese konfuzianischer Prägung. Diese Lebensphilosophie betont die goldene Mitte. Exzesse, so lehrt sie, schaden der Gesundheit, Extreme bringen eine Gesellschaft aus den Fugen. Deutsche hingegen neigen zu Extremen. Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, hat einmal gesagt: "Wir Deutschen sind ein radikales Volk - entweder himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt." Das zeigt sich auch in der Flüchtlingsdebatte: Ein Teil der Deutschen glaubt, alle Leidenden dieser Welt aufnehmen zu können; der andere Teil sieht Deutschland bald islamisiert und dem Untergang geweiht. Da wäre die goldene Mitte vielleicht doch nicht verkehrt?
Zugegeben - uns Chinesen fehlt etwas Pathos. Szenen wie am Münchner Hauptbahnhof vor gut einem Jahr könnte ich mir mit meinen Landsleuten nicht vorstellen. Was aber nicht bedeutet, dass sie hartherzig sind. Doch die Chinesen haben einen sicheren Instinkt zur Selbsterhaltung. Sie helfen, ohne sich selbst dabei aufzugeben. Für mich und viele hier lebende Chinesen war es daher ein großes Rätsel, wieso die Kanzlerin beklatscht wurde, als sie sagte "Eine offene Gesellschaft braucht offene Grenzen" und damit vorgab, die Grenze nicht schützen zu können.
Merken Sie was? Eigentlich sind die Chinesen doch ganz dicht bei Ihnen - finden Sie nicht? Die CSU ist die einzige Partei im Bundestag, die von Anfang an einen kühlen Kopf behalten und das Notwendige gesagt hat. Leider scheint er Ihnen nun verlorengegangen zu sein. Sonst würden Sie nicht in der einen Woche die Chinesen gegen sich aufbringen und in der anderen die Senegalesen.
Eine chinesische Weisheit lautet: Wenn zwei sich streiten, soll nicht ein Dritter hineingezogen werden. Die Chinesen haben mit der unkontrollierten Zuwanderung im vergangenen Jahr nichts zu tun. Die Probleme, die von den mehrheitlich muslimischen Flüchtlingen importiert wurden oder auch schon lange vorher vorhanden waren, sind uns fremd. Kinderehe und Polygamie gehören in China der Vergangenheit an, ebenso das Binden der Füße - die chinesische Variante der die Frauen unterdrückenden Mode. Christen und Muslime bilden unter den Chinesen eine Minderheit, die meisten suchen im Konfuzianismus ihr Heil und ihre Mitte - und ohne Monotheismus kein religiöser Fanatismus. Zwar macht die chinesische Mafia auch hierzulande manchmal Schlagzeilen, aber da schlagen sich kriminelle Chinesen untereinander die Köpfe ein, ohne Einheimische oder sonstige Volksgruppen zu bedrohen.
Dennoch lässt uns die Entwicklung in unserer Wahlheimat nicht kalt. Ein junger Chinese namens Marcel Zhu hat gerade als Gastautor auf der Seite "Tichys Einblick" die Ursachen der deutschen Politikkrise messerscharf analysiert und eine aus seiner Sicht sinnvolle Migrationspolitik beschrieben. Als Chinese ist er nicht von der deutschen Geschichte belastet und kann deswegen auch nicht als Nazi abgestempelt werden. Er fordert ganz einfach: "Deutschland muss normaler werden." Die Lektüre lege ich Ihnen ans Herz.
Mit freundlichen Grüßen
Zhang Danhong
Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.
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