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Mein Deutschland: Eine gebratene Aktie, bitte!

Zhang Danhong3. September 2015

Während der Chinese die Aktien trotz Crashserien zum Fressen gern hat, scheut sie der Deutsche wie der Teufel das Weihwasser. Doch es gibt auch Ausnahmen, weiß unsere Kolumnistin Zhang Danhong.

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Chinese blickt auf Bildschirm mit Aktienkursen (Foto: picture alliance/dpa/Fangping)
Bild: picture-alliance/dpa/Fangping

Als Klaus die Urkunde in die Hand gedrückt bekam, die ihn als stolzen Besitzer einer VW-Aktie auswies, war er gerade einmal acht Jahre alt. Seine Eltern wollten ihm die Wirtschaft näherbringen und hatten ihm eine Aktie der Volkswagen AG zu Weihnachten geschenkt. Der Aktie war ein Couponbogen beigefügt. Alljährlich schnitt Klaus einen Coupon vom Bogen ab und holte seine Dividende bei der Sparkasse ab.

Damit befand sich Klaus in guter Gesellschaft. Schon vor rund 200 Jahren reichte Arthur Schopenhauer so viele Coupons ein, dass er vom Gewinn leben und es sich leisten konnte, lange über "Die Welt als Wille und Vorstellung" zu philosophieren. Viel Achtung brachten die Deutschen solchen Anlegern allerdings nicht entgegen, das besagt schon das Wort "Couponschneider". Während andere schuften, brauchen sie nur eine Schere in die Hand zu nehmen, um den Coupon vom Bogen zu trennen. Dahinter steckt auch eine negative Meinung über Aktien und Wertpapiere.

Philosoph Arthur Schopenhauer (Foto: picture alliance/akg-images)
Keine Geldsorgen hatte der Philosoph SchopenhauerBild: picture alliance/akg-images

In Sachen Aktien ein Entwicklungsland

An dieser Einstellung hat sich bis heute wenig geändert. So hatten Ende 2014 laut dem Deutschen Aktieninstitut lediglich 4,1 Millionen Deutsche Geld in Aktien investiert. Das sind nur gut sechs Prozent der Bevölkerung.

Mit Aktien wird hierzulande Spekulation assoziiert. Und "wer Spekulation hört, findet es schrecklich", sagt Martin Hüfner, Chefvolkswirt bei Assenagon: "Aber zehn Kilometer zur nächsten Tankstelle zu fahren, die etwas billiger ist, oder ein Sonderangebot wahrzunehmen, das findet der Deutsche nicht schlimm."

Risikofreudige Chinesen

Die Chinesen lieben Sonderangebote und Aktien gleichermaßen. Obwohl die Börse in der VR China erst auf eine Geschichte von 25 Jahren zurückblickt, ist der Aktienhandel längst zum Volkssport geworden. Zwar hat die chinesische Regierung das Volk auch dazu ermutigt, um die ungleiche Vermögensverteilung zu kompensieren. Aber die Risikobereitschaft der Asiaten ist traditionell stark ausgeprägt. Inzwischen besitzt jeder dritte Student ein Aktiendepot, berichtet die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua.

DW-Redakteurin Zhang Danhong
DW-Redakteurin Zhang Danhong

Aktientipps sind bei Plaudereien in der Nachbarschaft und unter den Kollegen ebenso unentbehrlich wie Klatschgeschichten. Anekdoten über schnelles Reichwerden durch Handel mit Wertpapieren verbreiten sich wie Lauffeuer. Als Aktiengott (Gushen) werden Experten mit halbwegs treffsicheren Prognosen gefeiert.

Für jede Börsensituation haben die Bilder liebenden Chinesen Begriffe erfunden. "Chaogu" (Aktien im Wok braten) bedeutet Handel mit Aktien; im Begriff "Jietao" (sich entfesseln) schwingt die Erleichterung mit, dass man eine Durststrecke überstanden hat und die Aktie zum Einstandspreis veräußern konnte. Manchmal muss man den Mut haben, sich von Verlustbringern zu trennen - diese Heldentat wird als "Gerou" bezeichnet (sich ins eigene Fleisch schneiden); wenn das nicht ausreicht, muss man "das Lager ausräumen" (Qingcang) - also alle Aktien verkaufen. Angesichts des momentanen Börsencrashs praktizieren das gerade einige Chinesen. Das heißt aber nicht, dass sie dem Aktienmarkt für immer den Rücken kehren, vielmehr warten sie auf die nächste Gelegenheit oder "braten" erst einmal andere Dinge, zum Beispiel Immobilien (Chaofang).

Die German Angst vor Verlust

Darin unterscheiden sich die Deutschen gründlich von den Chinesen. Um im chinesischen Bild zu bleiben, haben die Deutschen ewig Angst vor dem Brunnenseil, bloß weil sie einmal von einer Schlange gebissen wurden, die so ähnlich aussah wie ein Seil. Gebissen wurden sie 2001, als die Internetblase platzte und die Aktienkurse in den Keller rauschten. Die Zahl der Aktionäre in Deutschland sank rapide.

Christine Bortenlänger vom Deutschen Aktieninstitut (Foto: Deutsches Aktieninstitut)
Christine Bortenlänger vom Deutschen AktieninstitutBild: Deutsches Aktieninstitut

"In den Köpfen der Menschen halten sich hartnäckig verschiedene Vorurteile gegenüber der Aktie", sagt Christine Bortenlänger, geschäftsführender Vorstand des Deutschen Aktieninstituts. Eins davon lautet: Aktiengeschäfte sind etwas für Hartgesottene, sie werden schnell verlustreich und schmerzhaft. Das kann stimmen, muss aber nicht. Ein langer Atem verhindert, ins eigene Fleisch schneiden zu müssen. "Wenn man seine Aktien länger als 13 Jahre 'liegen lässt', ist die Verlustwahrscheinlichkeit null", so Bortenlänger. 13 Jahre hat man natürlich nicht, wenn man die Aktien auf Pump erworben hat. Von daher lautet Regel Nummer eins: Niemals mit fremdem Geld ein Depot aufbauen.

Das ist auch das oberste Prinzip von meinem Bekannten Klaus. Der inzwischen 40-Jährige hat 2001 sein Lehrgeld bezahlt und investiert seitdem nur in solide Werte. Er brät sie nicht im Wok, sondern lässt sie langsam garen. Die Dividende holt er nicht mehr persönlich ab, sondern investiert sie direkt in neue Aktien. Er lässt sein Geld für sich arbeiten und ist seinen Eltern bis heute dankbar.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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