Nackte Tatsachen
Als ich vor Kurzem im Schwimmbad war, las ich folgende "nackte Tatsache": "Das Bundesfinanzministerium fordert ab 1. Juli 2015 einen um zwölf Prozent höheren Mehrwertsteuersatz auf alle Saunabesuche. Die KölnBäder GmbH erhöht jedoch - zu Ihren Gunsten - den Preis nur um 7,5 Prozent."
Ich war gerührt über die Großzügigkeit der Kölner Bäder und erstaunt, dass sie vom Prozentrechnen nicht all zu viel verstehen - denn zwölf Prozentpunkte sind keine zwölf Prozent! Aber vor allem wollte ich wissen, warum auf einmal für Saunabesuche der normale Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent gilt und nicht mehr der bisherige, begünstigte Satz von nur sieben Prozent. Die Finnen mögen protestieren, aber das Bundesfinanzministerium sieht in einem Saunabesuch ab sofort nicht mehr eine gesundheitsfördernde Maßnahme, sondern Wellness, das heißt puren Luxus, der leider nicht mehr aus sozialen Gründen bevorzugt werden kann.
Am Anfang war es gut gemeint
Für Michael Eilfort, Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft, ist diese Begründung nicht unbedingt nachvollziehbar. Er begrüßt es dennoch, dass dadurch eine weitere Ausnahme im inzwischen undurchdringlichen Mehrwertsteuer-Dschungel abgeschafft wurde.
Die ersten Ausnahmen wurden 1968 gleich mit der Einführung der Mehrwertsteuer in der heutigen Form eingeführt. Es waren die Grundnahrungsmittel und Güter des täglichen Bedarfs, die in den Genuss eines deutlich ermäßigten Steuersatzes kamen. In der Politk wird das als eine "sozial flankierende" Maßnahme bezeichnet, sagt Eilfort. Damit nahm aber auch der Wahnsinn seinen Lauf. Denn was im Alltag nicht fehlen darf, ist oft Auslegungssache. So werden Jakobsmuscheln von Anfang an begünstigt, während Sprudelwasser als Luxusartikel angesehen und mit dem regulären Satz besteuert wird.
Bücher und Zeitungen kamen schnell in den Genuss des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes. Das fanden Hörbuchverlage ungerecht. Denn worin besteht der Unterschied, ob ich einen Roman selbst lese oder vorgelesen bekomme? Sie schrieben Briefe an die Abgeordneten. Jahrelang. Bis sie Gehör fanden bei der jetzigen Regierung. Gleicher Inhalt werde gleich besteuert, schwor die große Koalition. Seit vergangenem Jahr fallen auf Hörbücher sieben Prozent Mehrwertsteuer an - der Gerechtigkeit wurde endlich Genüge getan.
Eine Ausnahme führt zur nächsten
"Gleicher Inhalt, gleiche Besteuerung, diesen Grundsatz hält man nicht durch", meint dagegen Michael Eilfort. Denn schon stehen die Rapper auf der Matte, weil sie ihre Texte auch verlesen und ihre CDs quasi Hörbücher seien. Wenn sie mit dem Argument durchkommen, dann bricht der Damm für alle Produzenten von Musik-CDs. Ihnen ist ohnehin seit langem ein Dorn im Auge, dass Mozart auf Tonträger mit 19 Prozent besteuert wird, im Konzertsaal aber mit sieben Prozent.
Eine andere frustrierte Gruppe bilden die Restaurantbesitzer. Sie mussten in den vergangenen Jahren mit ansehen, wie zuerst die Hoteliers und dann die Imbissbuden ohne Sitze mit dem ermäßigten Satz bedacht wurden, während die Mehrwertsteuer für einen Restaurantbesuch seit eh und je mit 19 Prozent zu Buche schlägt. Ist die Beherbergungsleistung in einem Hotel so viel anders als die Serviceleistung in einem Restaurant? Mit rationalen Argumenten ist die Gestaltung der Mehrwertsteuersätze nicht mehr zu erklären. "Heute setzt sich durch, wer die beste Lobbyarbeit macht", sagt Eilfort. Also Respekt vor dem deutschen Hotelverband! Und schlechtes Zeugnis für die Lobbyisten der Sprudelhersteller.
Ein sehr deutsches Phänomen
Doch es ist nicht der Lobbyismus allein. Hinzu kommen der Regulierungswahn der deutschen Politik und die deutsche Gründlichkeit. Daraus ergibt sich eine ganz gefährliche Mischung, die den Nährboden für all die Kuriositäten im Dschungel der Mehrwertsteuer gebildet hat. Hier ein paar Beispiele: Auf der Liste der steuerbegünstigten Produkte stehen unter anderem Hundefutter, Kaffeebohnen und Hörgeräte; Babynahrung, Kaffeepulver und Batterien für Hörgeräte haben aber das Nachsehen.
Um diesem Spuk ein Ende zu bereiten, fordert die Stiftung Marktwirtschaft seit Jahren einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz von 17 Prozent und die Abschaffung aller Ausnahmen. Für Bund und Länder bedeute das keine Steuerausfälle, sagt Stiftungsvorstand Eilfort. "Wir sparen an Bürokratie und vor allem sparen wir viel Energie in der Politik." Denn die Abgeordneten müssen sich ja mit den vielen Lobbyisten und ihren Briefen herumschlagen.
Doch noch schrecken die Politiker vor radikalen Schritten zurück. Solange weiter Chaos bei der Mehrwertsteuer herrscht, habe ich eine kleine Anleitung für Sie erstellt, wie Sie im Alltag vom günstigen Satz profitieren können: Trinken Sie Leitungswasser statt Sprudel; verzehren Sie Garnelen statt Langusten; ersetzen Sie Frühkartoffeln durch Süßkartoffeln; gehen Sie öfter ins Theater; meiden Sie Restaurants. Und wenn Sie auf die Sauna nicht verzichten wollen, buchen Sie lieber ein Hotelzimmer mit Sauna. Denn dort wird ein Saunabesuch als Teil der Hauptleistung - die Beherbergung - betrachtet und vom Fiskus weiterhin begünstigt. Alles klar?
Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.