Schwieriger Sommer für deutsche Tourismusindustrie
26. September 2022Ganz so gefragt wie in den beiden vorangegangenen Jahren war Usedom in diesem Sommer nicht. Dennoch ist man auf der Ostsee-Insel einigermaßen zufrieden mit den Buchungszahlen. Die lagen im Schnitt um etwa 20 Prozent unter denen der beiden Corona-Jahre, sagt Michael Raffelt, Gründer des Hotels Hanse-Kogge in Koserow und Vorsitzender des Hotelverbandes Insel Usedom. "Es ist aber auch kein schlechter Sommer gewesen." Wegen der Reisebeschränkungen hatten zuletzt ungewöhnlich viele Deutsche Urlaub an der Ostsee gemacht ." Jetzt müssen wir uns wieder daran gewöhnen, um jeden Gast zu kämpfen", sagt Raffelt.
Verzicht auf Urlaub nur im Notfall
Nachdem im vergangenen Jahr Corona-Beschränkungen Auslandsreisen noch erschwert hatten, zog es die Deutschen in diesem Sommer tatsächlich verstärkt in die Ferne. Insbesondere Flugpauschalreisen ans Mittelmeer seien sehr gut gebucht gewesen, heißt es beim Deutschen Reiseverband. Gefragt waren vor allem Mallorca, Griechenland und die Türkei. Traditionell verbringen etwa zwei Drittel der Deutschen ihren Urlaub im Ausland, ein Drittel in der Heimat. Die Buchungszahlen für Auslandsreisen seien sehr gut gewesen und hätten seit Februar durchgehend über denen des Vor-Corona-Jahres 2019 gelegen.
Das bestätigt auch der Reiseveranstalter DERTOUR, der kürzlich sein Reisebarometer veröffentlicht hat. Die Sehnsucht nach Urlaub sei groß und nach zwei Jahren ohne teure Fernreisen seien viele Menschen auch bereit gewesen, mehr Geld in die Hand zu nehmen als vor der Pandemie, heißt es darin: Die Ausgaben für den Hotelaufenthalt im Ausland seien im Schnitt um 51 Prozent gestiegen. Viele Urlauber hätten eine höhere Hotelkategorie gebucht und blieben im Schnitt einen Tag länger.
Im Inlandstourismus sieht die Lage etwas anders aus. Auf Usedom etwa hat Michael Raffelt in diesem Sommer bereits eine große Verunsicherung bei seinen Gästen wahrgenommen. Dafür sprechen die kurzfristigen Buchungen: Häufig reservierten die Leute erst 14 Tage im Voraus. Das liege an der hohen Inflation. "Der eine oder andere will abwarten, was da auf ihn zukommt und entscheidet erst dann, ob er überhaupt in den Urlaub fährt", vermutet Raffelt. Einmal angekommen sitzt das Geld bei vielen Gästen in diesem Jahr obendrein nicht allzu locker. "Viele Gäste gehen nicht mehr jeden Tag ins Restaurant und verkneifen sich eher das eine oder andere."
Krise als Dauerzustand bei den Hotels
Dazu passt, dass die Umsatzzahlen im deutschen Gastgewerbe weiterhin unter dem Vorkrisenniveau liegen, wie der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) meldet. Die Lage sei "extrem herausfordernd", da die Branche zeitgleich "mit explodierenden Kosten in den Bereichen Energie, Lebensmittel und Personal konfrontiert ist", sagt Guido Zöllick, DEHOGA-Präsident. Insbesondere bei den Energiekosten sei ein Ende der Preisspirale nicht absehbar. Zudem suchten noch im Juni mehr als 60 Prozent der gastgewerblichen Betriebe Fach- und Hilfskräfte. "Weil es an Mitarbeitern fehlt, müssen Unternehmen ihre Öffnungszeiten reduzieren und Veranstaltungen ablehnen", so der DEHOGA-Präsident damals. Zumindest hat sich die Nachfrage seit dem Wegfall der Corona-Auflagen im Mai gut entwickelt. Im Juli lagen die Umsätze erstmals wieder auf Vor-Corona-Niveau.
Diesen positiven Trend bestätigt auch das Tourismusministerium Mecklenburg-Vorpommerns. Man habe eine gute Sommersaison geschafft, heißt es in einer Pressemitteilung. Die Auslastung aller touristischen Kapazitäten habe im Juli bei 87 und im August bei 80 Prozent gelegen. Schleswig-Holstein wiederum vermeldet einen Anstieg der Übernachtungen im ersten Halbjahr im Vergleich zum selben Zeitraum des Jahres 2019 um 4,4 Prozent. Beim Nordsee-Tourismusverband erwartet man, dass sich die Sommerzahlen in etwa auf Vor-Corona-Niveau einpendeln werden. Die Gäste seien aber zuletzt "preissensibler" geworden und hätten sich bei kostenpflichtigen Freizeitangeboten sowie in der Gastronomie zurückhaltender gezeigt.
Gewinner und Verlierer der Saison 2022
Dass dieser Sommer die Tourismusbranche vor einige Herausforderungen gestellt hat, bestätigt auch Daniel Thiriet, Vizepräsident der Interessengemeinschaft River Cruise, des Verbandes der Flusskreuzfahrtanbieter. Die langanhaltende Dürre hatte vielerorts zu Niedrigwasser geführt und so auch die Flussschifffahrt erschwert. Absagen oder komplette Streckenstilllegungen habe es zwar nur vereinzelt gegeben, die Unternehmen hätten aber viel Aufwand betreiben müssen, um den Betrieb aufrecht erhalten zu können. Auf dem Rhein etwa sei stellenweise kein Schiffsverkehr mehr möglich gewesen, sodass die Passagiere auf manchen Abschnitten mit Bussen befördert werden mussten.
Eine der Branchen, die derzeit besser dastehen, als vor Corona, sind die Campingplätze. Diese verzeichneten im ersten Halbjahr sogar einen neuen Rekord: Die Zahl der Übernachtungen stieg laut Bundesverband der Campingwirtschaft in Deutschland (BVCD) im Vergleich zum selben Zeitraum 2019 um elf Prozent auf 14,2 Millionen. Ungetrübt aber ist die Freude auch hier nicht. "Angesichts der unsicheren Prognosen und derzeitigen Belastungen für die Verbraucher blicken wir mit gedämpften Erwartungen auf den Herbst“, so Christian Günther, BVCD-Präsident.
Die nächste Herausforderung heißt Energiekrise
Mit Sorge sieht auch Michael Raffelt in die Zukunft. "Wir haben so viele Probleme derzeit, die sich überlappen: Das macht Angst", sagt er. Dazu gehören aus seiner Sicht insbesondere die hohen Energiekosten. Den ersten Hotels auf Usedom hätten die Versorger bereits die Verträge gekündigt. Wie die neuen Konditionen aussehen werden, bleibe abzuwarten. Raffelt schwant nichts Gutes. "Wir sind schließlich keine Branche, die sämtliche Kosten an die Kunden weitergeben kann", sagt er. Das nämlich schlage sich sonst unmittelbar in den Buchungszahlen nieder.