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Videoüberwachung: Allheilmittel oder Placebo?

Jennifer Fraczek24. Oktober 2012

Auf dem Berliner Alexanderplatz wurde ein junger Mann zu Tode geprügelt. Bundesinnenminister Friedrich will solche Gewalttaten mit mehr Videoüberwachung verhindern. Datenschutzexperten kritisieren das.

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Foto: Fotolia.com
Bild: Alexander Kataytsev/Fotolia

Der Alexanderplatz in Berlin Mitte ist einer der bekanntesten Plätze der Bundeshauptstadt. Und seit dem 14. Oktober Ausgangspunkt einer Diskussion über die Sicherheit in deutschen Städten. In den frühen Morgenstunden dieses Sonntags schlug eine Gruppe junger Männer einen 20-Jährigen zusammen. Der starb einen Tag später an den Folgen des Angriffs. Seitdem wird nach den Tätern gefahndet.

Am Dienstagnachmittag (23.10.2012) fassten die Ermittler nun einen Tatverdächtigen. Gegen sechs weitere ermittelt die Staatsanwaltschaft. Gegen sechs bislang unbekannte Männer. Videoaufnahmen von dem Angriff gibt es nicht, denn am Tatort gibt es keine Überwachungskamera. Bundesinnenminister Friedrich (CSU) forderte deshalb in einem Interview eine massive Ausweitung der Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen in Deutschland.

Verhindern Kameras Kriminalität?

Wie viele Überwachungskameras es in Deutschland gibt, weiß niemand genau. Kameras liefern Bilder von öffentlichen Plätzen, Straßen, Bahnhöfen, mitunter auch aus Schwimmbädern, Museen und Schulen. Dazu kommen jene in privaten, aber öffentlich zugänglichen Räumen wie Supermärkten. Vor allem Datenschützer glauben, das sei genug Überwachung.

So auch Johannes Caspar, Hamburgs Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit. Besonders skeptisch sieht er Friedrichs in der Wochenzeitung Welt am Sonntag geäußerte Einschätzung, mehr Kameras könnten zu einem Rückgang der Kriminalität beitragen. "Der Abschreckungseffekt ist gerade bei Gewalttätern gering", sagt Caspar. Sie handelten oft im Affekt und seien häufig alkoholisiert. Zwar könne die Videoüberwachung dabei helfen, Delikte aufzuklären und Straftäter zu identifizieren. Das dürfe aber nicht dazu führen, dass sämtliche öffentlichen Plätze mit Überwachungskameras "bepflastert" würden.

München, Tag der deutschen Einheit, 3. Oktober 2012. (Foto: Getty Images)
Öffentliche Feste mit Kameras überwachen?Bild: Getty Images

Polizisten statt Kameras

Mehr Wirkung hätte aus Caspars Sicht eine verstärkte Polizeipräsenz. Darin stimmt er nicht nur mit der Gewerkschaft der Polizei (GdP) überein, die die aktuelle Debatte dazu nutzte, auch noch einmal auf den Personalmangel in der Behörde zu verweisen.

Auch Manfred Bornewasser von der Universität Greifswald, der auf diesem Gebiet forscht, hält das für einen wichtigen Punkt. Er hat im vergangenen Jahr ein Videoüberwachungsprojekt in der Stadt Luxemburg analysiert und festgestellt, dass die Überwachung Verbrecher nur abschreckt, wenn sie das Gefühl bekommen, dass die Polizei die Tat sofort bemerkt und die Festnahme unmittelbar folgt. Wenn ein Straftäter genau wisse, dass er damit rechnen müsse, gefasst zu werden, "dann hat das eine stark abschreckende Wirkung", ist sich Bornewasser sicher. Das gelte aber nur für bestimmte Arten von Delikten - solche nämlich, die eine gewisse Vorbereitung erforderten. Geplante Fahrraddiebstähle ließen sich damit recht gut verhindern, im Affekt begangene Gewaltexzesse nicht.

(Foto: unbekannt)
Der Überwachung muss im Ernstfall die schnelle Verhaftung folgenBild: Fotolia/wellphoto

Die Vorbehalte von Datenschützern kann Bornewasser nur zum Teil verstehen. Dass sich Menschen auf einem videoüberwachten Platz anders verhielten als normalerweise oder ihm gar fernblieben - dieser Effekt sei, wenn überhaupt, nur kurz feststellbar. Für den Datenschützer Caspar ist das hingegen ein wichtiger Punkt: Es entstünde Anpassungsdruck. "Das kann dazu führen, dass Menschen sich nicht mehr frei und unbefangen verhalten", befürchtet er.

Auf dem Weg zum Überwachungsstaat?

Ein ganz besonders "erschreckendes Szenario" ist für Johannes Caspar, dass eine intensive Überwachung Bewegungsprofile von Menschen ermögliche. Bornewasser hält auch dieses Szenario für wenig realistisch. Solche Profile zu erstellen, sei eine höchst aufwendige Angelegenheit. Aus seiner Sicht ist die Polizei dazu personell gar nicht in der Lage.

In Großbritannien gibt es nicht nur eine weit umfassendere Videoüberwachung als in Deutschland. Im Königreich geht man sogar noch einen Schritt weiter. Anfang Oktober berichtete die Tageszeitung The Independent, dass neue, hochauflösende Kameras in britischen Städten aufgehängt werden. Sie sollen einzelne Gesichter in einer Menschenmenge ausmachen können, auch auf größere Entfernung. Der kürzlich ernannte Überwachungskommissar Andrew Rennison sieht - so die Zeitung - ein "Big-Brother-Szenario" auf sein Land zukommen.