Unsichere Stadtteile
11. April 2011Messerstechereien, Autoaufbrüche, Drogengeschäfte, Erpressungen von Schulkindern, Angriffe auf Rentner - die Liste der Vergehen ist lang. Die Liste der Täter ist wesentlich kürzer. Oft sind es "alte Bekannte" für die Polizisten. Viele der Jugendlichen sind bereits in jungen Jahren Mehrfachtäter, deren Verhaftung und strenge Verurteilung aber deutsches Jugendstrafrecht erschwert. Die Orte der Gewaltexzesse sind ebenfalls immer dieselben. Die Stadtteile, manchmal auch nur wenige Straßenzüge, in denen man sich schon am Tag besser nicht alleine aufhält, finden sich vor allem in den Ballungsgebieten in Deutschland. In Hamburg, Berlin, in Mannheim, Hannover oder Köln. Den Sicherheitsbehörden liegt seit 2005 eine Liste von bundesweit mehr als 160 Orten vor, die als unsicher, mindestens aber als Problemzone gelten. Von Aachen-Preusswald über Frankfurt-Sossenheim bis hin zu Zwickau-Eckersbach.
Polizisten und Ordnungskräfte, die von Bürgern um Hilfe gebeten werden, trauen sich in viele Stadtteile nur noch mit personeller Verstärkung. Polizisten werden bei Razzien, Schlägereien oder nach Überfällen auf Busfahrer, ältere Menschen oder Kinder angegriffen, verhöhnt, bespuckt und bei ihren Ermittlungen behindert. Auf dem Bundeskongress der Deutschen Polizeigewerkschaft in dieser Woche wussten fast alle Teilnehmer von Gewaltexzessen in bestimmten Stadtteilen zu erzählen. "Die Rücksichtslosigkeit und die Bereitschaft zum Einsatz von Waffen hat erschreckend zugenommen" berichtet der wiedergewählte Chef der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. Die Zahl der gefährlichen und schweren "Körperverletzungen auf Straßen, Wegen und Plätzen", wie diese Delikte in der Kriminalstatistik genannt werden, stieg in den letzten drei Jahren zweistellig. Die Berliner Verkehrsbetriebe haben rund zwei Millionen Euro zusätzlich in die Hand genommen, um spezielle Sicherheitsscheiben in ihre Busse einzubauen. Bundesweit ist die Videoüberwachung ausgeweitet worden.
Atlas der Angst
Der Kriminologe Professor Christian Pfeiffer hat für Hannover einmal ermittelt und aufgelistet, wo die Brennpunkte in der Stadt liegen und benannte öffentlich die Problemstadtteile, in denen es am Tag mindestens eine Straftat gibt. Für viele Politiker und die örtliche Polizei war der Bericht 105 des Kriminologischen Forschungsinstitutes in Niedersachsen ein Tabubruch. Denn die Negativ-Schlagzeilen fallen auf Lokalpolitiker und auf Ordnungskräfte zurück. Man habe keine "no go areas" wie in Nord- oder Südamerika, wird nicht nur in Hannover immer wieder betont, obwohl die Tatsachen etwas anderes aussagen. Sozialer Sprengstoff sind vor allem die Statistiken zu den Tätergruppen, die in Deutschland auf Anordnung der jeweiligen Innenministerien normalerweise aus "politischer Korrektheit" geheim gehalten werden. Der Grund: Unter den Kräften, die manche Stadtteile unsicher machen, befinden sich 80 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund. Das enstspricht oft auch dem Anteil der Einwohner in den bedrohten Vierteln. Unter den deutschen Tätern befinden sich sehr viele rechtsradikale Kräfte.
"Wir wollen keine Ressentiments schüren, aber wir müssen zugeben, dass es häufig aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Prägung Konflikte gibt" räumt Ramon van der Maat von der Polizei Duisburg ein. Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln nimmt kein Blatt mehr vor den Mund. "Wir befinden uns in unserem Stadtteil leider in einem Bereich, wo Kriminalität erzogen wird und wo der Maßstab der eigenen Perspektive, das Outsiderleben zum Naturgesetz der Familie erhoben wird." Politiker und Polizeikräfte bestätigen unisono, dass die mangelnde Akzeptanz der deutschen Sicherheitskräfte und die zunehmenden Ausschreitungen gegen sie darin begründet liegt, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund aus ihren Heimatländern eher totalitäre Regimes kennen und dementsprechend auch nur hartes Vorgehen respektieren. Bodo Pfalzgraf von der Polizei Berlin ist aber, wie viele seiner Kollegen in Deutschland, dazu angehalten, vor Ort selbst in provokanten Situationen sehr zurückhaltend aufzutreten. "Wir sind an die Ordnung des Rechtsstaates gebunden auch wenn uns dafür manche als Weicheier bezeichnen".
Visa-Warndatei soll kommen - Maßnahmen gegen Gewalt
Mehr Polizisten mit persönlichem Migrationshintergrund, die in jeder Hinsicht die Sprache der Menschen in den betroffenen Stadtteilen sprechen, sollen eingestellt werden, sind sich Polizei und die für sie zuständigen Länderinnenminister einig. "Häufig scheitert das noch an den begrenzten finanziellen Mitteln", beklagte in dieser Woche Rainer Wendt auf dem Bundeskongress der Polizeigewerkschaft. Eine Änderung dieser Situation habe die Bundesregierung aber zugesagt. Selbst bei eingeschränkten Etats ist aber schon ein mehr an Sicherheit möglich, wie die Polizei in Duisburg bewies. Im Stadtteil Marxloh gab es vor zwei Jahren einen Brennpunkt. "Wir haben Polizeieinheiten einfach umgeschichtet und verstärkt in Marxloh eingesetzt. Wir standen Randalierern praktisch jeden Tag auf den Füßen. Das hat geholfen" berichtet Ramon van der Maat von der Duisburger Polizei. Man müsse auch unterscheiden, ob es tatsächlich in einem Stadtteil einen Anstieg der Gewalttaten gäbe oder ob nur einzelne Anwohner subjektiv den Eindruck von Gefahr hätten. So einfach aber könne es sich die Polizei nicht machen, meinen viele Anwohner in den als gefährlich geltenden Stadtteilen. "Wir haben wirklich Angst und es ist auch nicht normal, wenn sich Jugendliche zusammenrotten und uns am hellen Tag beschimpfen und bedrohen". Die empörte Frau will reagieren, indem sie wegzieht.
Die Polizei Duisburg wird nun von einem neuen Landesprogramm profitieren, dass Zusatzgelder bietet. Sozialarbeiter werden damit direkt bei den Ermittlern eingestellt. Sie sollen sich vor allem um die jungen Täter kümmern, bevor diese in eine kriminelle Karriere abgleiten. Im Duisburger Stadtteil Hochheide patrouillieren Jugendliche, die selbst einmal straffällig waren, um ihre Freunde und Bekannten mit gutem Beispiel zu bekehren. In Hannover wie in vielen anderen Städten weitet man das Angebot der Ganztagsschulen aus, um ein Abdriften von Kindern in schlechte Gesellschaft zu reduzieren. "Die Gettoisierung muss ein Ende haben" ist man sich bei der Polizei einig.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sicherte auf dem Bundeskongress der Polizeigewerkschaft in dieser Woche zu, den rechtlichen Schutz von Polizeibeamten zu verbessern. Friedrich möchte zum Beispiel mit einer Visa-Warndatei die Daten Einreisewilliger speichern und kontrollieren. "Es kann nicht sein, dass wir da blind und taub sind", meint der Politiker, der sich für die Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung einsetzt. In jedem Fall haben Städte schon Erfolge verzeichnet, die bestehende Probleme nicht verschweigen, sondern offensiv angehen. In Hannover gingen die Fälle von Raub, Erpressung, Körperverletzungen und sexueller Gewalt in bestimmten Stadtteilen um ein Viertel zurück.
Autor: Wolfgang Dick
Redaktion: Wim Abbink