Medaillenregen sorgt für Misstrauen
7. August 2006"Die Mädels haben ihr Soll übererfüllt, die Männer müssen nach Hause und üben", so sieht das Fazit des Cheftrainers Örjan Madsen nach der Schwimm-EM in Budapest aus. Mit viel Edelmetall behangen haben die Frauen das deutsche Schwimm-Team bei den Europameisterschaften wieder in die Weltliga zurückgeführt. "Auf diese Schwimmerinnen kann der deutsche Sport stolz sein", sagte Christa Thiel, Präsidentin des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV).
"Welches Wundermittel habt ihr aus dem Schrank gezaubert?"
Die Leistungen der Schwimmerinnen waren überraschend: Wie Phönix aus der Asche war Britta Steffen nach über einem Jahr Pause aufgestiegen, Annika Liebs mit 26 Jahren in die Weltspitze vorgedrungen, in einem Alter, in dem andere Schwimmerinnen ihre Karriere beenden.
Schnell mischte sich in den Jubel über die unerwartete Medaillen- und Rekordflut Argwohn: Doping-Skandale im Radsport haben dafür gesorgt, dass der gesamte Spitzensport unter Generalverdacht steht. "Ist da wirklich alles mit rechten Dingen zugegangen?", fragen nach der EM die Kommentatoren. Was man denn da für ein neues Wundermittel aus dem Arzneischrank gezaubert habe, sei sie von Funktionäre anderer Nationen gefragt worden, sagt DSV-Präsidentin Thiel.
Norbert Warnatzsch, der die Dreifach-Weltrekordlerin Britta Steffen betreut, sagt: "Wir müssen uns für gute Leistungen nicht entschuldigen." Und Cheftrainer Örjan Madsen versichert: "Gute Leistungen sind das Ergebnis guter Trainingsarbeit und guter Steuerung im Wettkampf." Der Körper müsse topfit, der Kopf frei sei. Die Weltrekordlerinnen seien Ausnahmetalente. "Alle vier haben unheimlich gute körperliche Voraussetzungen."
Psychologische Unterstützung
Zudem mache der gemeinsame Erfolg in der Staffel stark. Das sei vergleichbar mit Fußball oder Basketball, wenn alles im Fluss sei und wie im Schlaf ablaufe. Madsen: "Wenn vier Menschen dann so harmonieren, auch menschlich, dann inspirieren sie sich gegenseitig und wachsen über sich hinaus." Und: "Der Druck, der auf einem lastet, ist geringer. Er verteilt sich." Ohne Angst ließen sich Rekorde schwimmen. Dazu habe auch die Arbeit einer Psychologin beigetragen, die für eine veränderte Einstellung zum Sport samt Ernährungsumstellung bei den Schwimmerinnen gesorgt habe.
Dennoch hat Madsen Verständnis für Fragen nach Erklärungen für die Leistungsexplosion: "Das lässt uns kalt, weil wir wissen, dass wir clean sind", so der Sportwissenschaftler. Verschärfte Kontrollen auf Eigenbasis sollen künftig die "Sauberkeit" des deutschen Schwimmsports dokumentieren. Madsen: "Wir gehen damit offensiv um." Außerdem will der Trainer die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA um verstärkte Kontrollen der Aktiven bitten: "Wir werden selbst beweisen, dass wir clean sind."
Selbstkontrollen
Laut Madsen möchte der DSV zudem Blut- und Urinproben der eigenen Schwimmer einfrieren lassen, um nachträgliche Untersuchungen zu gewährleisten. "Darüber hinaus wollen wir, dass bei unseren Athleten auch Methoden angewendet werden, die noch nicht anerkannt sind", erklärte Madsen: Auf seine Initiative soll schon ab Ende September für die 30 Olympia-Kandidaten ein erweiterter Athletenpass mit zusätzlichen Bluttests vor und nach den jeweiligen Höhentrainingslagern eingeführt werden.
"Wenn man nach jeder Spitzenleistung Doping unterstellt, dann können wir den Sport einstellen", sagt der Sportwissenschaftler. "Du hast nur die Wahl: Du kannst langsam schwimmen, dann fragt sowieso keiner danach. Und du kannst schnell schwimmen, dann zeigen sie mit dem Finger auf dich. Wir entscheiden uns trotzdem, schnell zu schwimmen." (ina)