Mazedoniens Krise spitzt sich zu
17. Mai 2015An diesem Sonntag könnten die politischen Spannungen in Mazedonien einen neuen Höhepunkt erreichen. Nach mehreren kleinen Protesten, die von der Polizei gewaltsam aufgelöst wurden, soll erstmals eine gemeinsame großangelegte Demonstration der Regierungsgegner stattfinden.
Mit dem Protest in der Hauptstadt Skopje arbeitet die Opposition am letzten Schlag gegen Nikola Gruevski. Der Regierungschef der konservativen Partei VMRO-DPMNE ist seit 2006 an der Macht. Die Gegner erwarten, Gruevski nun aus dem Amt zu drängen. Die Proteste würden anhalten, bis "die Regierung zurücktritt", sagte Zoran Zaev, Parteichef der Sozialdemokraten.
Seit Anfang März veröffentlicht Zaev aufgezeichnete Gespräche und Beweise, die die Regierung schwer belasten. Die Aufnahmen legen massive Abhöraktionen, Korruption und eine Beeinflussung von Justiz und Medien nahe. Regierungschef Gruevski lehnt jegliche Verantwortung ab und bezichtigt Zaev wiederum, eine Spielfigur internationaler Interessen zu sein. Zaev habe zudem ausländische Geheimdienste im Rücken.
Bisherige Rücktritte zwecklos
Um die Situation zu beruhigen hat Gruevski in dieser Woche drei seiner Minister um Rücktritte gebeten: Innenministerin Gordana Jankuloska, Transportminister Mile Janakieski und den Chef des Geheimdienstes Saso Mijalkov. Von allen dreien erhielt Gruevski seit Beginn seiner Amtszeit Rückendeckung. Mijalkok ist ein Cousin Gruevskis und zeigt sich selten öffentlich - dennoch gilt er als einer der einflussreichsten Männer Mazedoniens. Alle drei sollen für Versäumnisse bei den zweitägigen Kämpfen in der Stadt Kumanovo vom vergangenen Wochenende verantwortlich sein. Dabei waren 22 Menschen getötet und 37 verletzt worden.
"Diese Rücktritte haben dem Ansehen Gruevskis geschadet", sagt Arsim Zekoli, ehemaliger Diplomat und politischer Analyst im Gespräch mit der Deutschen Welle.
"Gruevski - ein Hindernis"
Für die Opposition, die seit den letzten Wahlen 2014 wegen vermeintlichen Wahlbetrugs das Parlament boykottiert, sind die Rücktritte nicht genug. Sie verlangt die Schaffung einer Interimsregierung, die nach Gruevskis Rücktritt Neuwahlen organisieren soll.
Dieses Szenario trifft auch auf Zustimmung im Ausland. Der bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow rief Gruevski während eines Gesprächs am vergangenen Sonntag zum Rücktritt auf. Auch der deutsche Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender Präsident des Europäischen Parlaments, unterstützte Borissow. "Gruevski muss zurücktreten, weil er ein Hindernis ist, um die neu aufflammenden ethnischen Spannungen zu beenden und Neuwahlen in angemessenen demokratischen Strukturen zu ermöglichen", so Lambsdorff.
Doch die letzten Aktionen von Gruevski deuten darauf hin, dass er andere Pläne hat. Am Tag nach den Rücktritten seiner Minister heißt es aus mehreren Quellen der Regierungspartei, Gruevski plane eine riesige Gegendemonstration für den 18. Mai. Mazedonische Medien berichten von 100.000 mobilisierten Teilnehmern, "die leidenschaftlich die nationalen Interessen vertreten werden".
Im Rahmen einer Propaganda-Kampagne regierungsnaher Medien wurde ein Video in Umlauf gebracht, das sich schnell über Youtube verbreitet hat. Darin wird Oppositionsführer Zaev beschuldigt, umgerechnet 200.000 Euro an Bestechungsgeldern angenommen zu haben. Der Sozialdemokrat streitet die Vorwürfe ab und wirft Polizei und Staatsanwaltschaft vor, das Video gezielt bei Youtube platziert zu haben.
Zaev ist im politischen Aufwind und dennoch umstritten. Im Jahr 2008 wurde er wegen Korruptionsvorwürfen festgenommen. Es ging um die Summe von fünf Millionen Euro. Der Fall wurde eingestellt, nachdem der damalige Präsident und vorherige Parteichef der Sozialdemokraten, Branko Crvenkovski, ihm verzieh.
Gespaltene politische Landschaft
In Mazedonien kämpfen zwei Parteien gegeneinander: die national-konservative VMRO-DPMNE und die sozialdemokratische Partei, die nach dem Zerfall Jugoslawiens 1991 aus der kommunistischen Partei hervorgegangen ist.
Durch den Abhörskandal der Regierung ist eine völlig neue Bewegung entstanden. Unabhängig von den großen Parteien zogen am 5. Mai Tausende junger Menschen auf die Straße. Ihr Protest richtete sich gegen die Regierung, weil diese angeblich den Tod eines 22-Jährigen aus dem Jahr 2011 verschleiert. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei wurden mindestens 30 Beamte verletzt und mehr als 40 Menschen festgenommen. Doch die Proteste halten seitdem an. "Jeden Tag um 18 Uhr", so das Motto der Demonstranten "bis die Regierung zurücktritt".
Die Bewegung überbrückt die tiefen ethnischen und sozialen Unterschiede in der mazedonischen Gesellschaft. Einer der Anführer der Bewegung, Aleksandar Donev, ist sich sicher, dass die Bewegung auch nach einem möglichen Rücktritt weitermachen wird: "Unsere gesellschaftliche Verpflichtung geht auch dann weiter, wenn unsere Forderungen erfüllt sind. Wir dürfen das anhaltende Disaster nicht vergessen - es darf nicht wieder geschehen. Wir brauchen eine Regierung, die Angst vor den Bürgen hat und nicht anders herum."