1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Mazedonien - ein Land driftet ab

Zoran Jordanovski11. Mai 2015

Die blutigen Kämpfe mit 22 Toten in Mazedonien haben die internationale Öffentlichkeit aufgeschreckt. Doch die Krise dort schwelt seit langem. Aber es besteht Hoffnung auf eine bessere Zukunft, meint Zoran Jordanovski.

https://p.dw.com/p/1FOGt
Kumanovo Kämpfe Mazeodnien
Bild: picture-alliance/epa/V. Xhemaj

Es war ein Versuch, die bösen Geister von 2001 zu wecken. Vieles, was schon vor den blutigen Ereignissen vom Wochenende geschah, erinnert an die Krise von damals. Auch damals war die Rede von einer Gruppe uniformierter Unbekannter in der Region nordöstlich von Skopje - einem "erprobten Terrain" für solche Aktivitäten. Auch damals griffen die Bewaffneten einen mazedonischen Grenzposten an. Und auch damals gab es eine Regierung, die das mehr oder weniger ignorierte.

Doch zwischen damals und heute liegen 14 Jahre und die Verhältnisse in Mazedonien sind andere. Das so genannte "Ohrider Rahmenabkommen", mit dem 2001 die bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung zwischen den Sicherheitskräften des mazedonischen Staates und den aufständischen Albanern beendet wurde, hat inzwischen seine Wirkung entfaltet.

Die Albaner, die etwa ein Viertel der Bevölkerung Mazedoniens ausmachen, sind inzwischen viel besser in den staatlichen Behörden und Institutionen vertreten. Das haben auch die ethnischen Mazedonier - so werden die Mazedonier slawischer Herkunft genannt - akzeptiert und sich daran gewöhnt. Die Beziehungen zwischen den Ethnien im Lande sind zwar immer noch relativ fragil, aber doch viel stabiler als damals. Die Tatsache, dass die Vorfälle vom Wochenende keine breitere Unterstützung bei den politischen Parteien der mazedonischen Albaner und der albanischen Bevölkerung in Mazedonien fanden, belegt das.

Eine fragile Stabilität

Doch selbst wenn dies so ist, bleibt nach den Schießereien mit mindestens 22 Toten - acht Polizisten und 14 Angreifer - die Frage offen: Was ist hier warum passiert?

Von offizieller Seite heißt es, es sei ein "terroristischer Angriff von Außen mit dem Ziel den Staat zu destabilisieren" gewesen. In der Öffentlichkeit kursieren allerdings vielfältige Spekulationen: Von einer Aktion des organisierten Verbrechens ist da die Rede, um eine Schmuggelroute zu sichern. Oder von einer internationalen Verschwörung, um den Bau einer russischen Gaspipeline zu verhindern. Diesen Spekulationen nach ist Mazedonien das schwächste Glied auf der geplanten Trasse für die Pipeline, die über die Türkei und Griechenland weiter nach Serbien und Ungarn führen soll. Und noch eine andere Theorie ist sehr verbreitet: Es handele sich um ein Ablenkungsmanöver der mazedonischen Regierung, mit dem sie versuche, die Öffentlichkeit von den aktuellen Vorwürfen über massive Korruption und Machtmissbrauch im Land abzulenken.

Zoran Jordanovski
Zoran Jordanovski, Leiter DW Mazedonisch

Unabhängig davon, ob diese Spekulationen tatsächlich mit den Ereignissen in Kumanovo in irgendeiner Verbindung stehen: Nur wenige in Mazedonien sind von der neuesten Entwicklung wirklich überrascht. Unerwartet ist allerdings das Ausmaß des Vorfalls. Vielfach wurde bereits davor gewarnt, dass die Clique um Premierminister Gruevski versuchen könnte, einen neuen interethnischen Konflikt zu inszenieren. Sie könnte damit versuchen, vom Vorhaben der Opposition abzulenken, schwerste Fälle von Machtmissbrauch zu veröffentlichen.

Außerdem könnte die Regierung versucht sein, im Vorfeld der geplanten Großdemonstration gegen die Regierung am 17. Mai in der Hauptstadt Skopje die Opposition zu schwächen. Diese veröffentlicht schon seit Monaten die Mitschnitte von polizeilichen Abhörprotokollen, die ihr zugespielt worden sind. Und diese Protokolle belegen Millionenschwere Fälle von Korruption, Machtmissbrauch im großen Stil sowie den direkten Einfluss der Politik auf die Justiz und die führenden Medien. Das alles erschüttert inzwischen die Position des bis vor kurzem fast allmächtigen Premierministers.

Eine neue Bürgerbewegung entsteht

Aber am gefährlichsten für die Regierenden ist die aus dem Tiefschlaf erwachte Zivilgesellschaft: Tagtägliche Proteste mit Tausenden Teilnehmern, zuerst in der Hauptstadt Skopje, inzwischen auch in der Provinz, kanalisieren die verbreitete Unzufriedenheit der verarmten Bevölkerung und perspektivlosen Jugend. Das Wichtigste ist aber: Bei diesen Protesten demonstrierten Mazedonier, Albaner, Serben und die Mitglieder aller anderen ethnischen Gruppen zusammen. "Zusammen sind wir stärker", rufen die Protestierenden und zeigen drei miteinander verbundenen Flaggen: die mazedonische, albanische und die serbische. Egal wer und aus welchem Motiv Drahtzieher der Gewalt von Kumanovo ist: Wer Interesse an einem instabilen Mazedonien hat, der musste angesichts dieser sehr symbolischen Bilder dringend handeln!

Die internationale Politik und Öffentlichkeit hätte der Entwicklung in Mazedonien schon viel früher Aufmerksamkeit schenken müssen. Im tiefen Schatten der Krise in der Ukraine, der Euro-Krise und anderen weltpolitischen Ereignissen, spitzte sich die Lage in Mazedonien schon seit Jahren zu. Nach dem NATO-Gipfel 2008 und dem griechischem Veto zum schon sicher erwarteten EU-Kandidatenstatus, wurden negative Tendenzen bemerkbar, die sich seither ständig verstärkten: Der Reformeifer hat nachgelassen, die Machtausübung wird immer autoritärer. Das Land macht, trotz aller Empfehlungen der EU-Kommission mit Blick auf den Beitrittsprozess, Schritte in die umgekehrte Richtung. Es gibt keinen politischen Dialog im Land, die Opposition boykottiert bis heute das Parlament.

Das alles hätte man rechtzeitig verhindern können. Aber offenbar war das griechische Veto ein willkommener Vorwand auch für andere Gegner einer neuen EU-Erweiterung. Es wurde auch nicht energisch auf die Vorwürfe der Opposition gegen die Regierung reagiert. Jetzt wird die EU viel mehr Mühe aufwenden müssen, um das Land wieder auf den richtigen Weg zurück zu bringen. Das aber muss geschehen und die internationale Gemeinschaft kann sich darauf verlassen, dass es sehr viele Menschen in Mazedonien gibt, die sie sich ein anderes, modernes und wirklich demokratisches Heimatland wünschen.