Massive Proteste nach Benzinpreiserhöhung im Iran
18. November 2019Es war es absehbar, dass die Erhöhung der Kraftstoffpreise im Iran heftige Proteste hervorrufen würde. Die Behörden hatten wohl mit Widerstand gerechnet und die Aktion zügig und ohne öffentliche Diskussion durchgezogen: Am Donnerstag wurde spätabends mitgeteilt, dass bereits ab Freitag, also am Wochenende im Iran, Benzin rationiert und um mindestens 50 Prozent teuer wird. Am Freitagmorgen postierten sich an vielen Tankstellen in der Hauptstadt Teheran Polizisten.
"Die Erhöhung der Benzinpreise im Iran war überfällig", sagt der Wirtschaftsexperte Jamshid Pajoyan im Gespräch mit der DW aus Teheran. Der Iran stecke in einer Wirtschaftskrise und könne sich die hohen Subventionen der Energiepreise nicht mehr leisten. Laut offiziellen Angaben belaufen sie sich auf umgerechnet rund 70 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Im Iran ist im Vergleich zu anderen Länder der Region Benzin sehr günstig. Der neue Preis beträgt umgerechnet ca. 32 Euro-Cent pro Liter. Schätzungen zufolge wurden pro Tag bis zu 20 Millionen Liter Benzin in die Nachbarländer geschmuggelt.
"Ungünstiger Zeitpunkt"
"Der Zeitpunkt dieser Entscheidung ist allerdings ungünstig, denn der Druck der US-Sanktionen hat vor allem die normalen Bürger des Landes zermürbt", ergänzt Pajoyan. Der Iran ist der viertgrößte Ölproduzent der Welt. Aber seine Ölexporte sind wegen der erneut verhängten Strafmaßnahmen der USA bis Anfang Oktober um mehr als 80 Prozent zurückgegangen. Die Folge: Der iranischen Regierung geht das Geld aus.
Die Regierung kündigte an, die zusätzlichen Einnahmen durch die Preiserhöhungen teilweise unter benachteiligten Familien zu verteilen. Es wurde in Aussicht gestellt, dass bis zu 60 Millionen der rund 80 Millionen Iraner Hilfe bekommen könnten. Dennoch verbreiteten sich die Proteste gegen die Erhöhung der Spritpreise ab Freitagabend über das ganze Land. Die Regierung sperrte das Internet und Sicherheitskräfte gehen gegen Demonstranten vor.
Informationssperre
Nach Angaben des iranischen Telekommunikationsministeriums wurde das Netz auf Anweisung des Nationalen Sicherheitsrats für 24 Stunden "limitiert". Damit konnten sich Demonstranten nicht mehr absprechen und Bilder möglicher regierungskritischer Kundgebungen, Ausschreitungen und Zusammenstöße verbreiten. Seit Samstagnachmittag ist es für ausländische Medien fast unmöglich zur verfolgen, was im Iran vor sich geht.
Einzige Informationsquelle sind nun staatliche und halbamtliche Medien. Sie veröffentlichten Bilder von ausgebrannten Tankstellen und Banken sowie von verwüsteten Straßen. Die halbamtliche Nachrichtenagentur Fars meldete, bis Sonntag seien 1000 Personen festgenommen worden. Bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten seien mehrere Polizisten als "Märtyrer gefallen" bestätigt der Sprecher der iranischen Regierung, Ali Rabie am Montag, 18.November. Wie viele Zivilisten getötet wurden, ist unklar. Vereinzelte Videos, die den Weg in sozialen Netzwerken fanden, zeigen Sicherheitskräfte, die auf den Demonstranten schießen.
Der Iranexperte Mehdi Mahdavi Azad schätzt die Zahl der Todesopfer für höher ein als bei den landesweiten Protesten Anfang 2018 und auch für höher als nach den Protesten gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen 2009. Auch seien Dutzende Regierungsgebäude in Brand gesteckt worden. "Das Ausmaß der Krise ist für die Regierung viel größer als bei den anderen Protesten, weil diesmal wegen der Wirtschaftskrise viele Menschen verzweifelt und wütend sind."
Regierung sieht ausländische Mächte im Spiel
Zu protestieren sei das legitime Recht der Bürger, aber Vandalismus sei etwas ganz anderes, sagt Präsident Hassan Ruhani am Sonntag. In einer am Sonntag gesendeten Rede sagte der geistliche Führer Ali Chamenei: "Die politische Führung des Landes hat eine technische Entscheidung getroffen, die logischerweise auch umgesetzt werden muss". Gleichzeitig nannte er die Demonstranten "Verbrecher" und beschuldigte fremde Mächte, für die Aufstände verantwortlich zu sein.
Adressiert an die Demonstranten im Iran hatte US-Außenminister Mike Pompeo am Samstag auf Twitter geschrieben: "Die Vereinigten Staaten stehen an eurer Seite." Eine Sprecherin des Weißen Hauses bekräftigte, dass die "Vereinigten Staaten das iranische Volk in ihren friedlichen Protesten gegen das Regime" unterstützten.
Der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Abbas Mussawi, nannte Pompeos Tweet scheinheilig. Die Menschen im Iran wüssten, dass solche Äußerungen kein "ehrliches Mitgefühl" darstellten. Die Handlungen einer von Leuten wie Pompeo unterstützten "Gruppe aus Randalierern und Saboteuren habe "nichts gemein mit der Verhaltensweise eines klugen Menschen".
Wann die Internetverbindung mit dem Ausland vollständig hergestellt wird und was die "Klugen" der Welt mitteilen werden, ist noch ungewiss. Viele Experten gehen davon aus, dass die Protestierenden, die keinen Plan, keine Organisation und keine Führung haben, getrennt von der Außenwelt in den kommenden Tagen brutal niedergeschlagen werden.