Massaker in Namibia: Gegen das Vergessen
9. Juli 2015Von Namibia bis Berlin ist es ein weiter Weg: Mehr als 10.000 Kilometer ist Ida Hoffmann gereist, um gegen das Vergessen und für die Anerkennung der Massaker an den Herero und Nama als Genozid zu kämpfen. Diesen Montag jedoch wurden ihren Hoffnungen bitter enttäuscht: Als Vorsitzende des Nama Genocide Technical Committee wollte sie Bundespräsident Joachim Gauck eine Petition überreichen, in der die Unterzeichner, unter anderem auch Claudia Roth von den Grünen und weitere namhaften deutsche Politiker, dazu auffordern, die Verbrechen an den Herero und Nama offiziell als Völkermord anzuerkennen. Doch Gauck "ist nicht herausgekommen", sagt Hoffmann, und so musste sich die Namibierin damit begnügen, den Appell im Bundespräsidialamt abzugeben.
Zwei Tage später dann der Wendepunkt: Bundestagspräsident Norbert Lammert schreibt in der Wochenzeitung "Die Zeit": "An den heutigen Maßstäben des Völkerrechts gemessen war die Niederschlagung des Herero-Aufstands ein Völkermord." SPD-Politiker und Sprecher der AG Menschenrechte Frank Schwabe begrüßt Lammerts Vorstoß: "Es ist vollkommen richtig, dass wir Völkermorde in anderen Teilen der Welt als das benennen, was sie sind", sagt der Politiker im Interview mit der Deutschen Welle. Er stimme der Einschätzung von Lammert, dass es sich um einen Völkermord handelt, zu 100 Prozent zu.
"Sie dürfen damit nicht einfach so davonkommen und vergessen"
Deutschland zählte das heutige Namibia von 1884 bis 1915 unter dem Namen Deutsch-Südwestafrika zu seinen Kolonien. Als die Herero 1904 bei einem Aufstand 200 ihrer Besatzer töteten, sprach der deutsche General Lothar von Trotha den verheerenden Befehl aus: "Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muss. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen." Binnen weniger Jahre töteten die deutschen Besatzer 80 Prozent der damaligen Herero- und 20 Prozent der Nama-Bevölkerung. 80.000 Menschen wurden erschossen, erstochen, ausgehungert, zu Zwangsarbeit genötigt oder in Konzentrationslager gepfercht.
Deutsche Truppen köpften die Toten und legten die Schädel zur Konservierung in Formaldehyd ein. Sie verschifften sie nach Berlin, um Gesichtszüge und vermeintliche Rassenunterschiede studieren zu lassen. Die Berliner Charité war die erste deutsche Institution, die sich auf Antrag der Namibier bereit erklärt hatte, diese Gebeine ihren Eigentümern zurückzugeben.
"Deutschland muss sich den moralischen und historischen Konsequenzen stellen", fordert Vekuii Rukoro, Paramount Chief der Herero und Vorsitzender des Ovaherero Genocide Committees (OGC), der ebenfalls Anfang der Woche nach Berlin gereist ist. "Der Genozid hat unserem Volk psychologische, physische und materielle Schäden zugefügt. Die Deutschen dürfen damit nicht einfach so davonkommen und vergessen."
Wunsch nach Wiedergutmachung
Bereits 2004 hatte sich die damalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczork-Zeul, während einer Reise nach Namibia bei den Herero und Nama entschuldigt: "Die Gräueltaten, die Morde und die Verbrechen von einst würden wir heute als Genozid bezeichnen und General von Trotha würde bestraft werden und das wäre richtig so." Doch ihre Stellungnahme markierte nicht den Beginn einer Aufarbeitung, sondern blieb eine Ausnahme. SPD-Politiker Schwabe wertet Wieczork-Zeuls Entschuldigung als wichtiges Signal, allerdings sei man damals noch nicht ausreichend auf eine adäquate Form der Aufarbeitung vorbereitet gewesen. "Der deutschen Bundesregierung ist vollkommen klar, dass es einen solchen Prozess der Aussöhnung und auch der Benennung der Verbrechen geben muss", so der Politiker. "Damit es zu einem ausreichenden Aufarbeitungsprozess kommen kann, müsste auch auf namibischer Seite geklärt sein, welche Formen der Anerkennung und Wiedergutmachung es geben könnte."
Doch dort sei man gespalten, so Schwabe weiter. Reparationszahlungen, wie sie von einigen Herero und Nama gefordert werden, hält er für ein schwieriges Thema, da man nicht wisse, wen genau man mehr als 100 Jahre später entschädigen müsse."Es geht vielmehr um die Frage der Aufarbeitung und die könne zum Beispiel darin bestehen, dass man vor Ort Zentren schafft, um an den Völkermord zu erinnern, dass man die Gelegenheit gibt, etwa über eine Stiftung, das Thema aufzuarbeiten." Auch seitens des Auswärtigen Amtes werden Reparationszahlungen abgelehnt, mit der Begründung, dass die Bundesregierung ihrer Verantwortung durch eine verstärkte bilaterale Kooperation auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit nachkomme.
Vekuii Rukoro vom Ovaherero Genocide Committee hält eine finanzielle Entschädigung in Form von Entwicklungshilfe für nicht ausreichend. Er stellt den Dialog in den Vordergrund: "Deutschland muss sich mit unseren traditionellen Führern an einen Tisch setzen und nicht nur mit unserer Regierung über Entwicklungshilfe verhandeln. Das wird dieser einzigartigen Situation, bei der es um den Genozid an meinem Volk geht, nicht gerecht." Doch bislang lehnt die Bundesregierung eine Anerkennung des Massakers als Völkermord weiterhin ab.
Mitarbeit Michael Scaturro und Christoph Strack