Die Mahnerin aus Manila
8. Oktober 2021Als Maria Ressa am 6. Januar dieses Jahres die Bilder vom Sturm auf das US-Capitol in Washington über den Bildschirm flimmern sah, kamen alte Erinnerungen hoch: Auf den Philippinen hatte sie bereits 2016 mitverfolgt, wie mit Hilfe von millionenfach verbreiteten Fake News Menschenmassen manipuliert werden.
Seit 2016 warnt Maria Ressa unermüdlich vor den Folgen eines "von Facebook befeuerten Lügentsunamis, der einem autoritären Präsidenten zur Macht verholfen hat", wie sie in der britischen Zeitschrift "Observer" im April erklärte. "Eine Lüge, die millionenfach wiederholt wird, verwandelt sich in eine Tatsache".
Angesichts der jüngsten Vorwürfe gegen Facebook könnte die Verleihung des Friedensnobelpreises an die 58-jährige philippinisch-amerikanische Journalistin nicht aktueller sein. Die ehemalige Leiterin des CNN-Büros in Manila und in Indonesien und Investigativreporterin kämpft mit ihren Recherchen seit Jahren gegen Fake News.
"Vielen Dank für diese Anerkennung journalistischer Arbeit", erklärte Ressa unmittelbar nach der Bekanntgabe in einem TV-Interview, "ich bin überwältigt". "Wir haben immer versucht, unsere journalistische Arbeit fortzusetzen, aber durch Social Media und durch den Missbrauch von Algorithmen in sozialen Netzwerken durch autoritäre Machthaber und Diktatoren hat sich unsere Arbeit enorm erschwert."
Manipulation im Netz
Die Folgen hat sie am eigenen Leib erfahren. Nachrichten wie "Hängt Ressa" oder "Köpft sie" erreichen sie regelmäßig über die sozialen Netzwerke. Denn aufgrund ihrer kritischen Berichterstattung über den philippinischen Präsident Duterte geriet Ressa politisch immer mehr unter Druck.
Seit 2017 wurde sie und das von ihr 2012 gegründete Medienhaus und Informationsportal "Rappler" mit Dutzenden Klagen überzogen. Am 22. Januar 2018 musste sie vor dem Nationalen Philippinischen Untersuchungsgericht (NBI) erscheinen, um der Vorladung aufgrund einer Online-Verleumdungsklage nachzukommen.
Geständnis von Duterte
"Ich schlafe mit der Sorge, dass wir am Ende unserer Demokratie angelangt sind. Präsident Duterte wurde zwar demokratisch gewählt, aber kaum war er im Amt, hat er begonnen, unsere Demokratie von innen auszuhöhlen. Die Philippinen sind mittlerweile nur noch eine Diktatur, die sich als rechtsstaatliche Demokratie tarnt", sagte sie im Februar in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.
2015 interviewte sie Duterte. Der damalige Präsidentschaftskandidat gestand ihr nach eigenen Angaben im Interview, dass er drei Menschen getötet habe und stolz darauf sei, niemals angeklagt worden zu sein. Auch ihr drohte Duterte später damit, dass "Journalisten von Ermordungen nicht ausgenommen seien".
"Ich habe nichts gegen Duterte", sagte sie 2018 in einem Interview mit der Deutschen Welle. "Ich mache nur meine Arbeit und bitte die Regierung darum, das gleiche zu tun. Sie soll arbeiten und aufhören, ihre Macht zu missbrauchen".
Jugend in Jersey
Angesichts der Morddrohungen und der zahlreichen Prozesse gegen sie hätte Maria Ressa in die USA zurückkehren können, schließlich besitzt sie auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft.
Sie war im Alter von neun Jahren 1971 mit ihren Eltern von den Philippinen nach New Jersey gezogen und hatte dort sowohl ihren High-School-Abschluss gemacht als auch ihr Bachelor-Studium absolviert.
Ressa kehrte bereits Ende der 80er Jahre mit einem Fulbright-Stipendium für politisches Theater nach Manila zurück und absolvierte ein Masterstudium an der Universität der Philippinen Diliman.
Lektionen aus der deutschen Geschichte
Und sie blieb. Sie ist sich sicher, auf der richtigen Seite der Geschichte zu kämpfen. "Man kann sich nicht wegducken, wenn es wichtig ist", sagte sie der SZ. "Ich habe viele Bücher darüber gelesen, wie es einst in Deutschland (Anmerk. d. Red.: Wie es einst mit dem Nationalsozialismus) anfing. Geschichte wiederholt sich."
Im Dezember 2018 wurde Maria Ressa vom US-Magazin Time als Person des Jahres 2018 und Wächter im "Krieg gegen die Wahrheit" geehrt. Unterdessen gingen die Angriffe auf die Pressefreiheit auf den Philippinen und auf sie selbst weiter.
2019 drohte Duterte, er würde die Lizenz des regierungskritischen Senders ABS-CBN nicht verlängern. Ein Jahr später setzte das Parlament in Manila die Drohung in die Tat um. Maria Ressa hatte von 2004 bis 2010 die Abteilung Aktuelles des philippinischen Senders geleitet.
Erst Duterte, dann Trump
Seit 2020 wuchs die internationale Unterstützung für Ressa. Im November 2020 wurde sie für ihren Widerstand gegen Beschränkungen des freien Wortes von der schwedischen Sektion von P.E.N. mit dem Tucholsky-Preis geehrt.
Ein paar Monate vor der Verleihung des Friedensnobelpreises, im Juni dieses Jahres, erreichte Maria Ressa zudem die positive Nachricht, dass eine langjährige Verleumdungsklage vor einem Gericht in Manila gegen sie zurückgezogen worden sei.
Die Verleihung des Friedensnobelpreises wird der Demokratiewächterin weiteren Rückenwind und auch international mehr Gehör verschaffen. Für Präsident Duterte wird der Feldzug gegen die mutige Reporterin und Medienmacherin auf jeden Fall schwerer.