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Politik

Margrethe Vestager: Gefürchtet von Big Tech

Marina Strauß | Oxana Evdokimova | Janina Semenova
31. März 2021

Margrethe Vestager ist bekannt dafür, Tech-Giganten die Stirn zu bieten. Der DW erklärt sie, warum die Tech-Welt und die Politik weit entfernt sind von gleichen Chancen. Und warum die Quote nicht nur für Fische da ist.

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Politikerin I Margrethe Vestager
Bild: Keld Navntoft/AFP/Getty Images

Margrethe Vestager ist einer der hellsten Sterne in Brüssel, der Stadt, wo viele EU-Institutionen ihren Sitz haben. Sie ist eine der mächtigsten Frauen des Kontinents. Und sicherlich eine der Vertreterinnen der EU-Exekutive, der Europäischen Kommission, die nicht nur in der EU-Blase aus Politikerinnen, Journalisten und Lobbyisten bekannt ist, sondern weit darüber hinaus.

Der Grund dafür, warum manche sie "the world's most famous regulator", die berühmteste Regulatorin der Welt, nennen, ist, dass sie es mit Tech-Riesen wie Google, Apple, Facebook und Amazon aufnimmt - und das seit Beginn ihrer Zeit in Brüssel. Zuerst 2014 als Kommissarin für Wettbewerb, seit 2019 ist die Dänin auch eine der Vizepräsidentinnen der EU-Exekutive und zuständig für ein entscheidendes Portfolio: digitale Angelegenheiten.

In dieser Rolle verhängte die 52-jährige Vestager etwa Strafen gegen Google wegen Verstößen gegen das Kartellrecht und forderte von Amazon, Hunderte Millionen Euro an Steuern nachzuzahlen. Und sie geriet in den Fokus des früheren US-Präsidenten Donald Trump, der sie als "tax lady", Steuer-Frau, bezeichnete. Ihre trockene Antwort: "Ich habe die Fakten gecheckt." Und: "Ich arbeite mit Steuern und ich bin eine Frau."

Politikerin I Margrethe Vestager
Margrethe Vestager bei einer Pressekonferenz in Brüssel (Juli 2018)Bild: John Thys/AFP/Getty Images

Die DW hat mit Margrethe Vestager im Rahmen der DW-Interview-Serie "Merkel's era: The Women of Power" gesprochen. Als Antwort auf die Frage der DW, ob sie sich mit den ihr gewidmeten Schlagzeilen wie "Riesen-Killerin", "Drachentöterin" oder "Googles schlimmster Albtraum" identifizieren könne, lacht Vestager und sagt: "Ich glaube, das ergibt sich aus dem Job. Ich identifiziere mich damit, Menschen Dinge zu ermöglichen." Sie fügt hinzu, dass Einzelne oder kleinere Firmen, die gerade anfingen, Raum bräuchten, um zu wachsen, zu gedeihen und erfolgreich zu sein.

"Wenn du die Welt ändern willst, musst du in der Welt sein"

Politikerin I Margrethe Vestager
Vestager als Dänemarks Bildungsministerin in Washington D.C. (November 2000)Bild: Manny Ceneta/AFP/Getty Images

Raum, in dem es ihrer Ansicht nach passieren könne, dass große Firmen Kleineren den Platz zum Atmen nähmen. "Mit der Größe wächst die Verantwortung", ist ein Mantra, das Margrethe Vestager gerne in Pressekonferenzen und Interviews wiederholt. "Mit der Größe wächst auch die wirtschaftliche Kraft mancher Firmen, die Märkte so dominieren, dass sie eine Gefahr für den fairen Wettbewerb sind", sagte Vestager, als sie gegen Ende vergangenen Jahres einen Vorschlag der EU-Kommission vorstellte, der die Macht der Tech-Riesen gewaltig einschränken könnte - manche sagen sogar, das Internet, so wie wir es kennen, revolutionieren.

Vestager wuchs als ältestes von vier Kindern auf dem Land in Dänemark auf. In einem Interview beschrieb sie sich selbst einmal als introvertiert, als ein einst schüchternes Mädchen, das erst lernen musste, einen Raum für sich einzunehmen. Sie schaffte das, indem sie sich bewusst machte, "dass man in der Welt sein müsse, um tatsächlich etwas darin zu verändern. Du musst sagen, wer du bist."

Margrethe Vestager: Big Tech’s Fiercest Opponent

Vestager erzählt der DW, sie selbst habe damit angefangen, sich als Kandidatin für die Vertretung der Schülerschaft zu bewerben. "Es lief gut", sagt sie. "Wenn du einen kleinen Erfolg geschafft hast, kannst du darauf den nächsten Erfolg bauen."

"Man kann die mutigsten Dinge schaffen, wenn man den Mut aufbringt"

Schon mit Anfang 20 ging die Dänin in die Politik, übernahm von Beginn an verantwortliche Positionen in der linksliberalen Partei "Radikale Venstre". Vestager war die erste Ministerin, die im Amt ein Kind bekam, die erste ihrer drei Töchter. Obwohl bereits vor ihr viele männliche Kollegen schon Vater geworden waren, hätten damals viele gesagt: "Das ist natürlich in Ordnung, passt schon, aber kann das funktionieren?"

Wenn ihre Tochter Hunger hatte, musste sie immer um Erlaubnis bitten, den Saal für eine Viertelstunde verlassen zu dürfen. "Heutzutage frage ich mich, wie ich das geschafft habe. Aber man kann die mutigsten Dinge schaffen, wenn man den Mut aufbringt", sagt Vestager der DW.

Trotz ihrer zahlreichen Erfolge musste Vestager auch Rückschläge einstecken. Zum Beispiel als eine Milliarden-Strafe gegen Apple vom zweithöchsten Gericht der EU annulliert wurde. Oder als die Deutsche Ursula von der Leyen die erste weibliche Präsidentin der EU-Kommission wurde. Ein Job, den Vestager auch gerne gehabt hätte. "Ich habe zehn, 15 Sekunden lang überlegt, ob ich bitter und nachtragend sein oder sie voll und ganz unterstützen soll", sagt Vestager. "Aber, indem ich sie unterstütze, dachte ich, kann ich dafür sorgen, dass wir zusammen wundervolle Dinge schaffen."

Politikerin I Margrethe Vestager
Margrethe Vestager neben Ursula von der Leyen und deren EU-Kommission mit einem Frauenanteil von fast 50 ProzentBild: Frederick Florin/AFP/Getty Images

Die Dänin, eine passionierte Strickerin und Bäckerin, sticht in Brüssel nicht nur wegen ihrer politischen Arbeit heraus, sondern auch aufgrund ihres einmaligen Stils: Kleider in allen Mustern, Farben und Stoffen. Auf die Frage der DW hin, ob es sie störe als Frau in der Politik über Äußerlichkeiten zu sprechen, sagt Vestager, sie diskutiere gerne "jede Art von Kleidung".

"Meine männlichen Kollegen tun mir Leid, weil sie nicht den gleichen Fächer an Möglichkeiten zu haben scheinen. Ich kann Farbe tragen, Blumen oder mich mehr oder weniger formell anziehen." Vestager fügt hinzu, sie glaube, es gebe immer noch eine Art Macht-Uniform: den männlichen Anzug. "Man soll sich wie ein Mann anziehen, wie ein Mann sprechen, seine Haare wie ein Mann schneiden, um Teil des Macht-Clubs zu sein."

Was Vestager angeht, sollten Frauen sich aber nicht gezwungen fühlen, sich in dieses Muster zu pressen. "Wozu die Mühe? Man kann sich im Macht-Spiel viel mehr einbringen, es breiter machen, diverser, zugänglicher, wenn man bleibt, wer man ist."

"Eine Frau zu sein, kann so viel mehr sein, als ein Klischee", sagt Vestager. "Genauso wie ein Mann zu sein." Nur einer der Gründe, warum Vestager sich als Feministin bezeichnet, als eine Person, die sich für gleiche Chancen einsetzt.

"Männer hatten Jahrhunderte lang informelle Quoten"

Sich selbst eine Feministin zu nennen, unterscheidet Vestager von einer anderen mächtigen europäischen Frau: der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie sagte 2017, sie wolle sich selbst nicht mit diesem Label schmücken. Die beiden haben sich mehrmals getroffen. Politisch sind Vestager, eine Linksliberale, und Merkel, eine Konservative, nicht unbedingt auf einer Wellenlänge.

Politikerin I Margrethe Vestager
Kämpferin für Chancengleichheit: Vestager bei der Copenhagen Pride-Parade (August 2019)Bild: Bax Lindhardt/AFP/Getty Images

Die Dänin erklärt aber, sie bewundere die Bundeskanzlerin dafür, so ruhig und besonnen zu sein. "Sie scheint sich alles anzuhören, was um sie herum passiert, alle unterschiedlichen Meinungen, die auf den Tisch kommen." Vestager sagt gegenüber der DW, dies sei ein politischer Prozess, den sie schätze, weil er ein Gefühl von Teilhabe erzeuge und damit für bessere Lösungen sorge.

Angela Merkel ist das erste - und bisher einzige - weibliche Regierungsoberhaupt in Deutschland, hat sich aber lange nicht für Frauen-Quoten in Politik und Gesellschaft stark gemacht. Ihren Kurs hat sie erst kürzlich geändert. Als Vestager in jungen Jahren in die Politik ging, war sie ebenfalls kritisch: "Ich sagte, oh, nein, nein, nein, nein, Quoten sind doch nur für Fische." Sie dachte, wenn Frauen schlau, fleißig und talentiert seien, würden sie schon ihren Weg finden. "Dann ist mir klar geworden, dass Männer Jahrhunderte lang Quoten von 95, 98 Prozent hatten. Und es hat super geklappt für sie."

Auch wenn es heute nicht mehr außergewöhnlich sei, als Frau Politik zu machen, "müssen wir noch einen sehr weiten Weg gehen", sagt Vestager. "Du magst in der Politik sein. Du magst im Sozialausschuss sitzen, aber erst wenn wir auch im Wirtschaftsausschuss ausgeglichen vorkommen, werden wir sehen, dass die Dinge sich ändern."

Kommentarbild PROVISORISCH DW Autorin Janina Semenova
Janina Semenova DW-Korrespondentin in Riga@janinasem