Mali: Was hinter dem Putsch im Putsch steckt
27. Mai 2021Die Schauplätze sind immer die gleichen: Drei Tage langhielt das malische Militär Übergangs-Präsident Bah N'Daw und Ministerpräsident Moctar Ouane in Kati fest, einer Garnisonsstadt nahe der Hauptstadt Bamako. Wie schon nach dem Putsch im August 2020 versammelten sich Anfang der Woche daraufhin viele Menschen auf dem Unabhängigkeitsplatz in Bamako. Hier beginnen jedoch die Unterschiede: Damals jubelten Tausende dem Militär zu und feierten die gewaltsame Absetzung von Staatschef Ibrahim Boubacar Keita. Nach der jüngsten Volte schlug dem Militär weit weniger Euphorie entgegen.
"Wir sind hier, um Nein zu sagen zu dem Coup, der gerade stattgefunden hat", sagte der Anwalt Mamidi Dramé unserem Korrespondenten. Es gehe den Demonstrierenden nicht um Unterstützung für die Politiker in Gewahrsam, sie kritisierten auch den Putsch von August 2020. "Aber wir denken, dass wir diesen Behörden die Chance hätten geben müssen, weiterzumachen, um uns zum Ende dieser Transition zu bringen", so Dramé zur DW.
In der Nacht zum Donnerstag wurden N'Daw und Ouane nach Militärangaben wieder freigelassen. Angehörige der Politiker bestätigten dies. Ein Berater des militärischen Vizepräsidenten Assimi Goïta sagte der DW zuvor, beide hätten ihren Rückzug erklärt.
Rückschlag im Übergangsprozess
Eigentlich hatte im September 2020 alles auf eine halbwegs stabile Übergangslösung hingedeutet: Regionale Bündnisse wie die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS und die Sahel-Gruppe G5 hatten Unterhändler geschickt, und nach wochenlangen Verhandlungen gelang es, die Machtverhältnisse zwischen Militär und zivilgesellschaftlichen Gruppierungen auszutarieren. Mit dem früheren Verteidigungsminister N'Daw wurde ein Übergangspräsident auserkoren, den beide Seiten respektierten. Der militärische Vizepräsident Goïta und der zivile Ministerpräsident Ouane komplettierten die Führung. Nach 18 Monaten sollte eine Wahl stattfinden, bei der weder N'Daw noch Goïta antreten sollten.
Allerdings zeigte sich das zivilgesellschaftliche Oppositionsbündnis M5-RFP zuletzt unzufrieden mit der Übergangsregierung und forderte deren Auflösung. Mitte Mai trat Ministerpräsident Ouane schließlich zurück, um postwendend mit der Bildung einer breiter aufgestellten Regierung beauftragt zu werden. Daran waren jedoch mehrere Getreue von Militär-Oberst Goïta nicht mehr beteiligt. Dieser ließ von einem uniformierten Sprecher im Fernsehen bekanntgeben, er habe sich "zum Handeln gezwungen" gesehen - und N'Daw und Ouane, die die Übergangscharta verletzt hätten, von ihren Ämtern entbunden.
Gründe für die Aktion
Für die Kabinettsumbildung und den erneuten Putsch gibt es eine ganze Reihe an möglichen Gründen - von individuellen Überlegungen bis hin zu geopolitischen Fragestellungen.
Für einzelne Militärs könnte es um ihren eigenen Schutz gegangen sein, schätzt Salif Traoré, Direktor des Thinktanks Afriglob: "Sie haben an einem Staatsstreich teilgenommen und kennen die damit verbundenen Risiken. Sie mussten die Regierung verlassen, haben aber keine Garantien [für Straffreiheit] bekommen. Das kann zu einer solchen Situation führen", sagte Traoré der DW.
Etienne Fakaba Sissoko, Direktor des Forschungszentrums für politische, wirtschaftliche und soziale Analysen in Mali, hält auch einen Machtkampf innerhalb der Armee für denkbar - die abgesetzten Mitglieder seien die letzten beiden Minister aus den Reihen der Nationalgarde gewesen.
Sissoko sagte im Interview mit der DW, der geschasste Sicherheitsminister Modibo Koné sei immer wieder in UN-Berichten zu Misshandlungen aufgetaucht. "Das scheint einer der Gründe zu sein, warum die Regierung ihn loswerden wollte", so Sissoko. "Und was Oberst Sadio Camara angeht: Dem wird eine zu große Nähe zu Russland vorgeworfen - aus der Nachteile für andere Partner wie Frankreich entstehen könnten. Dies ist einer der Gründe, die seinen Rauswurf aus der Regierung erklären würden."
Russlands Blick auf Mali
Schon nach dem Putsch 2020 war über Verbindungen nach Russland gemutmaßt worden: Zwei der Hauptdrahtzieher sollen an einer Moskauer Militärakademie ausgebildet worden sein. Schon damals waren russische Fahnen und Transparente mit pro-russischen Botschaften bei den Siegesfeiern auf dem Unabhängigkeitsplatz aufgefallen.
In Mali hält Russland noch immer Sympathien inne, weil die Sowjetunion 1960 dem gerade unabhängig gewordenen Mali militärisch zu Hilfe eilte. In jüngerer Vergangenheit erfuhren die Beziehungen beider Länder wieder eine Aufwertung, dazu kommen russische Rüstungslieferungen nach Mali. Aus geopolitischer Sicht dürfte Afrika für Russland jedoch auch aus einem anderen Grund interessant sein: "Je mehr Einfluss es in Afrika hat, desto weniger Kontrolle hat der Westen", sagte die russische Historikerin Irina Filatowa im August 2020 der DW.
Kaum Handlungsspielraum für den Westen
Die westlichen Partner äußerten sich nach dem offenbar erneuten Putsch besorgt: Das Auswärtige Amt in Deutschland verurteilte das Vorgehen "in aller Deutlichkeit" und forderte die Freilassung von N'Daw und Ouane. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron drohte mit Sanktionen. Für beide Länder, die auch an Militärmissionen in Mali beteiligt sind, ist die Gemengelage heikel, zumal auch zwei benachbarte Sahelstaaten unsicheren Zeiten entgegenblicken: Im Niger wurde wenige Tage vor der Amtseinführung des neuen Präsidenten ein Putsch gerade noch vereitelt. Und im Tschad hat das Militär nach dem Tod von Präsident Idriss Déby Itno die Verfassung teilweise außer Kraft gesetzt und eine Übergangsregierung ernannt.
Deshalb bleibt den internationalen Akteuren kaum eine Handlungsoption als die Militäraktion in Mali zu verurteilen, glaubt Afriglob-Direktor Salif Traoré: "Wir müssen bedenken, dass die Situation in Mali sehr, sehr fragil ist. Mali ist das Epizentrum der Sahelkrise. Wenn sich die Situation in Mali verschlechtert, die Situation im Tschad ungewiss ist und es im Niger eine neue Regierung gibt, dann sind das eine Menge Unsicherheiten", sagte Traoré der DW.
Und auch die politische Zukunft Malis ist weiter unsicher. Immerhin: Zumindest am Montag ließ Oberst Goïta im Staatsfernsehen bekräftigen, er halte weiter am vereinbarten Zeitplan fest. Der sieht ein Verfassungsreferendum für Oktober 2021 vor - und freie Wahlen im Februar 2022.
Mitarbeit: Brahima Tounkara, Eric Topona, Paul Lorgerie
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert, nachdem Bah N'Daw und Moctar Ouane freigelassen wurden.