Ein Besuch der "anderen Seite"
5. April 2018Sichtlich unwohl fühlt sich Außenminister Heiko Maas, als er sich fürs Foto zwischen eine Gruppe Geflüchteter setzt. Ein aufgeregter Junge, höchstens zwölf, spricht ihm kurz ins Ohr. Es folgen ein paar Minuten Dauerklicken der Kameras. Der Minister ist sichtlich erleichtert, als es vorbei ist. Menschliche Begegnungen - für die Presse inszeniert - sind seine Sache (noch) nicht. Nur wenige Tage nach seinem Besuch in Israel und den palästinensischen Gebieten ist er in Jordanien. Rund die Hälfte der Bevölkerung haben palästinensische Wurzeln. Kurz vor Maas' Abflug in die Hauptstadt Amman sorgte die Aussage des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, dass Israel ebenfalls ein Recht auf einen eigenen Staat habe, für Aufsehen. In Jordanien angekommen, würdigte Maas dies als "positive Entwicklung", verwies aber gleichzeitig auf die Vielzahl der Konflikte und Akteure in der Region. Hier wolle sich Deutschland im Rahmen seiner Möglichkeiten engagieren.
Maas will sich in Jordanien "die andere Seite" anschauen und einen der "wichtigsten Partner in der Region" unterstützen. Mit 650.000 syrischen und etwa 75.000 irakischen Flüchtlingen habe das kleine Land seine Kapazitäten längst erreicht, heißt es, egal wohin man kommt. Jordanien selbst geht davon aus, dass sogar 1,3 Million Syrer im Land sind. Mehr als 80 Prozent der Flüchtlinge leben außerhalb der Lager, Tür an Tür mit den Jordaniern. Dies bedeutet auch direkte Konkurrenz um Bildung, Wohnung, medizinische Versorgung.
Jordanien als Stabilitätsanker der Region
Wie wichtig Jordanien für die Stabilität der Region ist, lässt sich schon daran ablesen, dass die USA ihre Direktzahlungen an Jordanien - gegen den eigenen Trend der Kürzungen - gerade um gut ein Viertel auf über eine Milliarde Euro pro Jahr aufgestockt haben. Deutschland ist mit 596 Millionen Euro für Entwicklungsprojekte der zweitwichtigste Partner. Seit Oktober vergangenen Jahres nutzt Berlin auch die jordanische Militärbasis in Al-Azrak für seine Tornado-Aufklärungsflüge im Rahmen der Anti-IS-Operation "Inherent Resolve". Mit den Erwartungen an Jordanien als Stabilitätsanker der Region und dem zunehmenden Druck auf seine Ressourcen, darunter auch das knappe Trinkwasser, steigen in Jordanien auch die Erwartungen an Deutschland.
Hatte Außenminister Maas am Vorabend der offiziellen Gespräche noch von seinem Gastgeber, dem jordanischen Außenminister Ayman Safadi einen rauschenden Empfang bereitet bekommen, so benannten beide Seiten am nächsten Morgen die Herausforderungen. Sie sind sich einig, dass es in Syrien keine militärische Lösung geben kann. In Jordanien macht man sich keine Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr der Flüchtlinge. Gerade darum hofft Amman auf mehr wirtschaftliche Unterstützung. Die neue deutsche Regierung erarbeitet gerade ihren ersten Haushaltsplan. Außenminister Maas hat den Ruf nach mehr Geld vernommen und versichert: "Jordanien kann sich auf Deutschland verlassen."
"Uns verbindet ein Bedürfnis nach gelebter Humanität", fügt er hinzu. Doch bei aller Einigkeit über die Flüchtlingsfrage ist Jordanien als Teil der Allianz Saudi Arabiens im Jemen auch ein widersprüchlicher Partner. Deutschland will laut Koalitionsvertrag keine Waffen mehr an Länder mit direkter Beteiligung am Jemen-Krieg liefern. Wie 'direkt' diese Beteiligung ist, wird also bald eine wichtige Frage werden.
Die Lage wird immer schwieriger
Mitten in der jordanischen Hauptstadt betreibt die Hilfsorganisation CARE International eine Anlaufstelle für Flüchtlinge, die Deutschlands Bürokratie sofort ungelenk aussehen lässt. Psychosoziale Helfer sind Teil des ersten Gesprächs mit den meist syrischen Flüchtlingen. Um Kinderarbeit zu verhindern, werden Eltern dafür bezahlt, dass ihre Kinder in die Schule gehen. Frauen werden unter anderem Vorwand von Helfern alleine zum Gespräch gebeten, wenn es Anzeichen für häusliche Gewalt oder andere Probleme in der Familie gibt. Etwa 200 Menschen kommen jeden Tag. CARE ist seit 70 Jahren im Land. Als die syrischen Flüchtlinge kamen, trafen sie auf eine Infrastruktur, die durch den Israel-Palästina-Konflikt seit Jahrzehnten im Krisenmodus ist.
Die Nothilfe funktioniert, sagt Angela Azzorri, die Leiterin des CARE-Programms für psychosoziale Hilfe, "doch im achten Jahr dieser Krise müssen wir uns langsam in den Modus der Entwicklungsarbeit begeben." In einem Seminarraum hat sich eine Gruppe von Frauen gerade ein Video zur Frage, wie man durch seine innere Einstellung erfolgreich wird, angeschaut. Man fühle sich in Jordanien willkommen sagen sie, doch es ist der Mangel an Perspektiven, der ihnen das Leben schwer macht. Die Frauen und vor allem ihre Männer finden keine Arbeit. Das ist nicht nur ein finanzielles Problem. Um ihre Rolle als Ernährer gebracht, wird es oft schwer mit dem eigenen Mann. Dann entbrennt eine Diskussion. Alle würden sich doch sowieso nur um die Syrer kümmern. Doch so wirklich leicht hat es hier niemand.
Ein Lager als Kleinstadt
Das zweitgrösste Flüchtlingslager des Landes in Al-Azraq, etwa eine Fahrstunde von der Hauptstadt Amman entfernt, wurde gleich als potentielle Kleinstadt angelegt. Man macht sich nichts vor: Die rund 37.000 Menschen, die hier sind, werden so schnell nicht gehen. Gleichzeitig schöpfen viele syrische Flüchtlinge in Jordanien gerade Hoffnung, dass ihnen ab Juli der Weg zu Ihren Familien in Deutschland doch noch offen stehen könnte. Ab dann können auch subsidiär geschützte Flüchtlinge in Deutschland wieder von ihrem Recht Gebrauch machen, nahe Familienmitglieder nachzuholen.
Wie viele Menschen es noch werden, die auf diesem legalen Migrationsweg nach Deutschland kommen, darüber schwelt schon lange eine hitzige Debatte in Deutschland. Die Zahlen schwanken - je nach Berechnungsgrundlage - zwischen rund 50.000 bis zu über einer Million. Nur mit Hilfe der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sieht sich Deutschland überhaupt in der Lage, die nötigen Daten zu erfassen.
Maas hat einen Auftrag
Doch Deutschland bleibt sich weiter uneins darüber, wie es den mühsam ausgehandelten Kompromiss um den Familiennachzug überhaupt umsetzen will. Zwar hatten Union und SPD einen Kompromiss in einer de-facto-Obergrenze von nicht mehr als 1000 Menschen pro Monat gefunden. Doch nun will der frischgebackene CSU-Innenminister Horst Seehofer den Personenkreis der Berechtigten weiter einschränken. Ein rotes Tuch für die SPD von Außenminister Heiko Maas.
Nachdem der Minister sich selbst ein Bild davon gemacht hat, wie Flüchtlinge in Jordanien zum Spielball der komplexen Konflikte im Nahen Osten, vor allem des blutigen Krieges in Syrien geworden sind, wird er in Deutschland erneut die Position der SPD in der Flüchtlingsfrage verteidigen müssen. In Amman kündigte Außenminister Maas an, "keine Entwürfe zu unterstützen", die dazu gedacht sind, "das Kontingent eher zu verringern".