Lyrisch-besinnlich: Das Beethovenfest 2019
7. September 2019Leise, gemächlich, vorsichtig kommt die Sinfonie Nr. 6 daher. Sogar beim Sturm im vierten Satz klingt die Natur gedeckelt, fragil, gefährdet. So jedenfalls beim Auftaktkonzert zum diesjährigen Beethovenfest in Bonn, der Geburtstadt des Komponisten, in der Interpretation der Philharmonia Zürich und unter Leitung des Gastdirigenten Jukka-Pekka Saraste.
Passend dazu hatte der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet vorher in seiner Ansprache Bezug auf den Wald genommen, der in Beethovens Naturschilderung eine zentrale Rolle spielt – und stellte die Verbindung zum gegenwärtigen deutschen Wald her, der gefährdet ist.
Beethoven gebremst
Im nüchternen Ambiente des World Conference Center Bonn (WCCB), das dem Beethovenfest als ungeliebtes Ausweichquartier dient, bis die Beethovenhalle fertig saniert wird (Termin unbekannt), konnte Saraste die Klangschichten in Beethovens "Pastorale"-Sinfonie freilegen, gleichsam analysieren. So, als wolle er eine Antwort auf die Frage geben: Welchen Erkenntnisgewinn kann es bei einem so oft gespielten Werk geben? Die Antwort: Diesmal keinen, aber das ist auch gut so, denn bei Beethoven wird oft viel hineingedeutet. Es reicht doch, einmal das Stück vorbeiziehen zu lassen, zu beobachten, was so alles drin steckt - und nichts zusätzlich drauf zu setzen.
Das Werk ist aber auch an sich für Beethoven ungewöhnlich: Hier strebt der Tonsetzer nirgendwo hin, peilt kein Ziel an, sondern ist schon ganz angekommen, in der Natur und bei sich. In der Szene am Bach im ersten Satz kommt es sogar fast zum völligen Stillstand.
Vogelgezwitscher, Bachrauschen, Dorffest, Sturm und anschließender Regenbogen sind alle deutlich vernehmbar. Die Musiker folgen der Anweisung des Dirigenten sauber und präzise, bis auf ein paar Horn-Kieckser. Hatte der Dirigent so sehr gebremst, dass es dort Frust gab?
Beethoven-Bombast? Nicht hier.
Die Interpretation passte zum Tenor des diesjährigen Fests. Spürbar ist die Abneigung der Intendantin Nike Wagner gegen das Bombast-Klischee, das Beethoven anhaftet. Auch vor zwei Jahren kam das Beethovenfest auf leisen Sohlen daher, damals hieß das Motto "Ferne Geliebte". Diesmal lautet es "Mondschein". "Ein lyrisch-besinnliches Motto im Kontrast zur bewegten Zeit, in der wir leben", beschreibt es Wagner.
Das gilt auch für den zweiten Programmpunkt des Abends: das Konzert für sieben Bläser, Schlagwerk und Orchester von Frank Martin. Das Werk aus den 1950er Jahren ist ein Fest der Orchesterfarben. Im 2. Satz wird der Rhythmus von einem Zweiertakt beherrscht, der wie der Pendelschlag einer Standuhr daherkommt. Im Programmheft liest man vom "drängenden und vorantreibenden Moment von Rhythmus und Bewegung". Hier trieb Saraste das musikalische Geschehen jedoch nicht voran, sondern verlangsamte es. Das irritierte.
Konferenzraum-Charme
Im WCCB helfen die von der Decke suspendierten Holzplatten dem Klang etwas nach, und es gibt einen dezent dosierten elektroakustischen Nachhall. Die breite Halle wurde etwas verengt, die roten Transparente mit Beethovens Konterfei schmücken den Bühnenraum. Dennoch will keine richtige Feststimmung aufkommen, und an den Seiten links und rechts blieben einige Plätze leer. Der Raum hat aber auch etwas Positives: Man hört einwandfrei. Man begegnet dem Klang, wird aber nicht von ihm überwältigt. Wenn der Sound auch ein wenig geschäftsmäßig und nüchtern klingt, gibt es hier zumindest keine Über-Akustik mit seltsamen Effekten, die manchmal etwa bei der Hamburger Elbphilharmonie beklagt werden.
Heftiger bewegt wurden die Klangmassen zum Schluss bei Béla Bartóks "Der wunderbare Mandarin", das in des Komponisten eigenen Worten viel "Geklirre, Gepolter, Getue" enthält. Die Ballettmusik, die vor einhundert Jahren komponiert wurde, basiert auf einer Geschichte von Zuhältern, einer Prostituierten und einem liebesbesessenen Mandarin. Sex und Crime, Ausgrenzung, Liebe und Tod sind Themen, die ihren Ausdruck in ungezügelten musikalischen Eruptionen finden. Zu "unziemlich" für das Kölner Publikum, urteilte der damalige Bürgermeister Konrad Adenauer und ließ 1926 nach der Uraufführung des Balletts weitere Aufführungen verbieten. Anno 2019 ist es ein Stück, bei dem die Orchestermusiker endlich drauflos spielen können. "Was Beethoven und Bartók gemeinsam haben", sagte Saraste der DW, "ist die kompromisslose Direktheit ihrer Botschaft".
Zum Schluss kamen starke, wenn auch nicht überschwängliche Ovationen vom Publikum - und keine Zugabe. Man ging zur Tagesordnung über.
Beethoven-Weltstadt Bonn?
Diese Tagesordnung heißt sinngemäß Ruhe vor dem Sturm. All zuviel Zeit bis zum Jubiläumsjahr gibt es nicht mehr: Bonns Oberbürgermeister Ashok Sridharan kündigte die Fertigstellung des Beethovenhauses samt erweiterter Museumsausstellung - das Geburtshaus des Komponisten wird ebenfalls saniert - bis zum 14. Dezember 2019 an, dem Eröffnungswochenende des Beethoven-Jubiläumsjahrs.
Mit fast erhobenem Zeigefinger fügte Ministerpräsident Laschett hinzu: "Man sollte in Bonn bewusst machen, welche Wirkung Beethoven hat." Eine Warnung vor zu viel Klein-Kleinem? Spätestens nach dem Sinfonien-Zyklus im Frühjahr 2020 mit dem Orchester MusicAeterna unter Leitung von Teodor Currentzis wird man merken, welche mitreißende Energie in der Musik Ludwig van Beethovens steckt.
In der Zwischenzeit bleiben drei Beethovenfest-Wochen des 2019er Jahrgangs, der unter dem Motto "Mondschein" faszinierende Einblick in Beethovens Welt und die musikalische Nachwelt bieten wird.