Lukaschenko macht Besuch im Gefängnis
10. Oktober 2020Vier Stunden lang habe das Treffen von Präsident Alexander Lukaschenko mit Vertretern der Opposition gedauert: So wird es im Messengerdienst Telegram vermeldet. Dazu gibt es ein Foto, das den Staatschef - leger, aber nicht nachlässig gekleidet - an einem mit Blumen geschmückten ovalen Tisch zeigt. Schauplatz: ein Untersuchungsgefängnis des Geheimdienstes KGB.
Prominentester Teilnehmer aufseiten der Regierungsgegner war der ehemalige Bankmanager und Politiker Viktor Babariko. Der 56-Jährige wollte Lukaschenko bei der Präsidentenwahl im August herausfordern, wurde aber schon im Juni festgenommen.
Ebenfalls am Tisch saß ein Mitglied des Koordinierungsrates, den die Opposition nach der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Abstimmung gebildet hatte. Praktisch alle führenden Mitglieder des Gremiums, das einen friedlichen Wandel herbeiführen sollte, sind inzwischen im Exil oder in Haft.
Stillschweigen hinter Gittern
"Die Verfassung schreibt sich nicht auf der Straße", wird Lukaschenko anlässlich des unerwarteten Treffens hinter Gittern zitiert. Der Staatschef hatte zuvor erklärt, eine Verfassungsreform sei die Lösung der innenpolitischen Krise. "Das Ziel des Präsidenten ist es, die Meinung von allen zu hören", heißt es nun. Welche Meinungen zur Sprache kamen, bleibt indes offen. Denn die Teilnehmer der Gefängnisrunde, so wird weiter mitgeteilt, hätten sich darauf verständigt, Stillschweigen zu wahren.
Auch die prominenteste Oppositionelle des Landes, Swetlana Tichanowskaja, die im Exil lebt, profitierte von einer Versöhnungsgeste: Erstmals seit 134 Tagen habe sie mit ihrem inhaftierten Ehemann Sergej Tichanowski telefonieren können, gab sie auf ihrem Telegram-Kanal bekannt. Der regierungskritische Blogger, der bei der Wahl ebenfalls gegen Lukaschenko antreten wollte, war im Mai festgesetzt worden. Die Behörden warfen ihm Gewalt gegen einen Polizeibeamten vor. Die Wahlkommission belegte ihn daraufhin mit einem Kandidaturverbot.
Inoffizielle Siegerin
Tichanowskaja, die nach der Inhaftierung ihres Mannes kurzerhand selbst für das höchste Staatsamt kandidierte, floh später nach Litauen. Die Opposition betrachtet die 38-Jährige als eigentliche Wahlsiegerin. Seit der Abstimmung, die Lukaschenko laut offiziellen Angaben haushoch gewann, reißen die Massenproteste gegen den seit 26 Jahren regierenden Staatschef nicht ab. Die Sicherheitskräfte gehen immer wieder gewaltsam gegen Demonstranten vor.
Die Europäische Union erkennt den amtlich verkündeten Wahlsieg Lukaschenkos nicht an. Sie hat Sanktionen gegen politisch Verantwortliche verhängt. Polen und Litauen nahmen Oppositionelle aus Belarus auf, woraufhin die Führung in Minsk beide Länder anwies, Diplomaten von dort abzuziehen. Aus Solidarität mit den belarussischen Nachbarstaaten beorderte nun auch Großbritannien seine Botschafterin vorübergehend aus Belarus zurück - wie es zuvor bereits Deutschland und weitere EU-Staaten getan hatten.
jj/uh (dpa, afp)