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Lobbying: Geißel oder Segen?

Julia Elvers27. März 2004

Manche halten das Werben für eigene Interessen für legitim, andere verurteilen es als unlautere Beeinflussung. Was schon auf nationaler Ebene zu Konflikten führt, hat in der europäischen Zentrale immense Dimensionen.

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Nur das Wort am Rande?Bild: Illuscope

Bis zu 15.000 Lobbyisten tummeln sich in Brüssel um die
rund 25.000 Beamten und Politiker der Kommission, des Parlaments und des Ministerrats. Täglich rennen Tausende von Lobbyisten über die Flure der EU-Institutionen in Brüssel, um Abgeordnete im Sinne der eigenen Firma oder Organisation zu beeinflussen.

Einer von ihnen ist der Niederländer Rogier Chorus, Sprachrohr der Europäischen Keramikindustrie. Gleichzeitig ist Chorus Präsident der "Society of European Affairs Professionals", kurz SEAP. Diese Gesellschaft will die Kommunikation zwischen EU-Beamten und Lobbyisten verbessern - "Lobbying für Lobbyisten" sozusagen. Ohne Lobbyarbeit läuft in Brüssel nichts, meint Rogier Chorus: "Die Politiker brauchen unsere Information, um zu wissen, ob ihre Vorschläge wirklich zutreffen. Und dazu ergreifen sie auch selbst die Initiative, um die Industrie nach ihren Ansichten zu fragen. Es ist nicht immer so, dass ich an die Tür klopfe, es ist in vielen Fällen so, dass wir gefragt werden."

Ganz anders sieht das Hans-Peter Martin. Das parteilose Mitglied des Europäischen Parlaments ist zuletzt wegen Streitereien um Abgeordnetenbezüge aus der sozialdemokratischen Fraktion ausgeschlossen worden. Martin erstellte für den Industrieausschuss einen Bericht zum Thema Lobbying, in dem mehr Transparenz im Umgang mit Interessenvertretern gefordert wird. Für ihn ist der Lobbyismus - vor allem von Großkonzernen - ein rotes Tuch.

Einsichten in eigenes Fehlverhalten

Marin fordert, dass Lobbyisten künftig einen "gut sichtbaren Ausweis" tragen sollten, damit die Politiker sie leichter erkennen - und ihnen gegebenenfalls ausweichen können. "Meine Kritik im Bereich Lobbying ist, dass die Lobbyisten an der Macht sind. Sie machen es sehr geschickt, hintenrum, sie intervenieren, bevor überhaupt irgend etwas zu Papier gebracht wird. Sie profitieren davon, dass es hier so viele faule und auch überforderte Beamte gibt. Beide lassen sich gerne die Arbeit abnehmen." Es gäbe sehr viele Abgeordnete, die sich sogar damit brüsten, dass Lobbyisten ihnen die Arbeit abnehmen.

Dafür müsse man die Politiker verantwortlich machen, und nicht die Lobbyisten, die gute Arbeit leisten, meint Lobbyist Chorus. Doch Chorus gibt zu, dass sich manche Lobbyisten nicht korrekt verhalten und dem Ansehen seiner Berufsgruppe schaden. Die SEAP hat deshalb für ihre 100 Mitglieder einen Verhaltenskodex aufgestellt. Darin ist zum Beispiel festgehalten, dass man eindeutig angeben muss, welche Interessen man vertritt. Es habe bereits Fälle gegeben, dass sich manche als Vertreter der Anti-Tabaklobby ausgegeben hätten, die eigentlich Vertreter der Tabakindustrie waren. Solches Verhalten würde die SEAP, der Dachverband der Lobbyisten auf europäischer Ebene, öffentlich kritisieren und "Nestbeschmutzer" gegebenenfalls aus der Gesellschaft ausschließen.

Entscheidungsträger sind gefragt

Auf der anderen Seite kann auch Kritiker Martin dem Lobbyismus gute Seiten abgewinnen: "Ein seriöser, sachlich begründeter Lobbyismus ist was Positives. Man kann sich helfen lassen - durch Greenpeace, aber auch durch die Großindustrie. Ein Problem entsteht, wenn das hintenrum passiert und wenn der Lobbyist quasi an die Stelle des Volksvertreters und -entscheiders tritt."

Das will auch Rogier Chorus nicht. Nichtsdestotrotz ist er der Meinung, dass Politiker Lobbyisten brauchen, "um wirklich klar zu machen, was sich in verschiedenen Gruppen innerhalb der gesamten Gesellschaft regt". Natürlich seien Lobbyisten nicht entscheidend in diesem Prozedere. Am Ende muss der Politiker sagen, ich habe alle Gruppen, die an einem gewissen Thema interessiert sind, gehört und befragt, und jetzt entscheide ich mit meinen Kollegen auf politischer Ebene.

"Schwierig wird es nur, wenn beide Rollen in einer Person vereint sind", erklärt Martin. Deshalb appelliert er an die Abgeordneten: "Es geht hier um die Selbstläuterung des Parlaments und letztendlich auch der europäischen Institutionen. Wir müssen doch unseren Wählern und auch den Leuten, die uns bezahlen, immer in die Augen schauen können für das, was wir tun."