1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Harte Arbeitsbedingungen im Raumschiff Brüssel

Bernd Riegert27. März 2004

Wieso die eigentlich angenehmen Seiten des Lebens in der EU-Zentrale dennoch anstrengend sind, davon berichtet Bernd Riegert.

https://p.dw.com/p/4bzA

Korrespondenten müssen Opfer bringen, besonders in Brüssel. Seit Jahresbeginn flattern täglich neue Einladungen zu Neujahrsempfängen, Jahresauftaktessen, Häppchen und Cocktails in den Briefkasten. Die Parlamentarier, Lobbyisten, Verbände, Kommissionen, Räte und Präsidentschaften umhegen die rund 1000 akkreditierten Transporteure ihrer Botschaften geradezu mütterlich und väterlich. Um Kontakte zu pflegen und zu knüpfen, ist es deshalb Pflicht; den Small-Talk-Marathon mitzumachen, raten erfahrene Kollegen.

Allabendlich vollzieht sich bis weit in den Februar hinein das gleiche Ritual: "Schön, Sie mal kennen zu lernen." Zubeißen. "Darf ich Ihnen meine Visitenkarte geben?" Am Glas nippen. "Sie sollten unbedingt mal zu einem unserer ..." Auf die Uhr schauen. "Wir bleiben in Verbindung."

Der wirklich gefragte Korrespondent bewältigt mit professioneller Routine drei Empfänge am Abend. "Ich war gerade bei der Chemieindustrie, nachher muss ich noch zu den Sachsen." Viele Industrieverbände, allein 400 deutsche Lobbyistenverbänden sind in Brüssel registriert, und die Vertretungen der Bundesländer, politische Stiftungen, die Botschaften, die Kommissare - alle laden ein. Das Verblüffende: Man sieht oftmals die selben Leute. Kollegen, Pressesprecher, Funktionäre. Man kennt sich. Man mag sich. Küßchen links, Küßchen rechts.

Erst nach einigen Jahren gelingt es, sich von den allgemeinen Abendessen in sehr guten Hotels zu den exklusiven Empfängen in extrem schicken Restaurants hochzudienen. Wer dann bei der Krone aller Jahresauftakt-Shows dabei sein darf, dem Empfang des belgischen Königs für die Europäische Union, der hat es geschafft.

Nach den Jahresempfängen kommen dann bald die Sommerfeste. Grillparties werden abgelöst von Jahresendessen und Weihnachtsfeiern. Nicht zu vergessen, die Einladungen zum konspirativen Lunch, die man selber ausspricht. Der wackere Korrespondent muss da durch. Nur persönliche Beziehungen schaffen das richtige Netzwerk, um vor den anderen von wichtigen Dingen zu erfahren. So ist also das Essen und Trinken harte Arbeit, Grundstein jeder Recherche und nicht etwa Vergnügen. Leider nicht als tarifliche Arbeitszeit anerkannt. Trotz lauter Networking haben wir sogar noch Zeit zu schreiben, zu texten, zu schneiden, zu sprechen - meistens.

Sollte man das Bedürfnis spüren nach all den kalorienreichen, aufopferungsvollen Recherchen, seinen Körper zu stählen, lohnt der Besuch des schönen Fitness-Clubs mitten im EU-Viertel. Dort trifft man sie dann alle wieder: Kollegen, Presseprecher, Funktionäre. "Schön, dass wir uns hier mal treffen ..." Dazu wirkt locker ein Eiweiß-Shake gekippt. Die Entbehrungen nehmen kein Ende.