Lob für Lateinamerika
23. September 2014"Selbst die größten Optimisten hätten nicht damit gerechnet, dass Lateinamerika zu den Regionen mit den besten Ergebnissen gehören würde", heißt es in einem Bericht der Weltbank zur Armutsbekämpfung. Nach Angaben der Institution hat sich die extreme Armut in den lateinamerikanischen Staaten zwischen 1990 und 2010 um die Hälfte reduziert: Über 70 Millionen Menschen dort ließen die Armut hinter sich, rund 50 Millionen stiegen zwischen 2003 und 2011 in die untere Mittelschicht auf. Damit sei in der Region erstmals die Anzahl der Mittelschicht größer als die Zahl der Armen, so die Weltbank.
Die weltweite Armut zu verringern ist das erste von insgesamt acht Millenniumentwicklungszielen (MDGs), auf die sich die internationale Staatengemeinschaft im Jahr 2000 geeinigt hat. Die Entwicklungsziele sollen bis 2015 erreicht sein, und schon jetzt wird über neue Entwicklungsziele, die sogenannten Post-MDGs, verhandelt.
Vorreiter Brasilien und Bolivien
Herausragend bei der Bekämpfung der Armut waren insbesondere die Länder Brasilien, Bolivien und Peru. Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff will deshalb in der UN-Generalversammlung bei der Debatte über MDGs am 25. September die Gelegenheit nutzen, und die von ihrer Regierung aufgelegten Sozialprogramme der Weltöffentlichkeit vorstellen.
Nach Angaben der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Cepal) ist die Armut in Brasilien im Zeitraum von 1990 bis 2012 von 47,5 Prozent auf 18,8 Prozent gesunken. In Bolivien verringerte sich die Armut zwischen 2000 und 2011 von 63,7 Prozent auf 36,3 Prozent. Die extreme Armut sank im gleichen Zeitraum sogar von 38,8 Prozent auf 18,7 Prozent.
Peru bescheinigt die Weltbank anhaltendes Wirtschaftswachstum, steigende Lebenserwartung und eine Verdoppelung des Pro-Kopf-Einkommens von 5500 US-Dollar auf 10.000 US-Dollar zwischen 2003 und 2012. Die Armut verringerte sich im Rekordtempo von 54,7 Prozent im Jahr 2001 auf 23,7 Prozent im Jahr 2012.
Von Lateinamerika nach Laos
Der Erfolg beruht nach Einschätzung von Experten auf drei Faktoren: anhaltendes Wachstum, soziale Umverteilung und solide Wirtschaftspolitik. "Es hat sich international herumgesprochen, dass in Lateinamerika die Ungleichheit zurückgeht", sagt Jann Lay vom Giga-Institut für globale und regionale Studien in Hamburg und dass soziale Programme, die an bestimmte Bedingungen geknüpft sind, dabei eine Rolle spielen.
Viele Länder hätten sich vom Erfolg dieser Transferprogramme inspirieren lassen und diese übernommen oder modifiziert - zum Beispiel Kambodscha, Laos, Ruanda, Indonesien, Ruanda, Kenia und Südafrika. Die Programme seien allerdings nur ein Element in der erfolgreichen Strategie der Armutsbekämpfung: "Ich kenne kein Land auf der Erde, das es geschafft hätte, ohne Wirtschaftswachstum Armut zu reduzieren", so Lateinamerika-Experte Lay.
Auch bei dem lateinamerikanischen Erfolgsmodell deuten sich bereits Schwachpunkte an. Werden sich die umfangreichen Sozialprogramme auch bei einem niedrigeren Wirtschaftswachstum in der Region aufrechterhalten lassen? Und was passiert, wenn die Rohstoffpreise für Eisenerz, Kupfer, Soja und Getreide auf dem Weltmarkt sinken?
Risikofaktor Rohstoffpreise
Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) hat die Schwachstellen erkannt und warnt in seinem jüngsten Bericht zur menschlichen Entwicklung (Human Development Report 2014) davor, die "Fortschritte als Selbstverständlichkeit zu betrachten": "Es gibt Anzeichen, dass sich die Fortschritte verlangsamen. Wir müssen uns fragen, ob die Verbesserungen sicher sind oder durch explodierende Nahrungsmittelpreise, Naturkatastrophen, Kriege und Finanzkrisen wieder rückgängig gemacht werden können", heißt es dort.
Auch die Weltbank mahnt. Trotz der Fortschritte lebten weiterhin 82 Millionen Menschen in Armut. Lateinamerika müsse nicht nur seine Bildungssysteme und seine Gesundheitsversorgung verbessern, sondern auch den Ausbau der Infrastruktur. "Es ist zehnmal teurer Tomaten von Costa Rica ins benachbarte Nicaragua zu transportieren als nach Kalifornien", heißt es im Weltbank-Überblick.
Giga-Experte Jann Lay sieht zudem in Venezuela und Argentinien die Gefahr, dass die sozialen Umverteilungsprogramme dort zu Abhängigkeiten führen: "Ich würde nicht sagen, dass Argentinien und Venezuela primär sozial orientierte Länder sind, in denen es Regierungen gibt, die ein Interesse an Umverteilung haben." Aus Lays Sicht geht es den Regierungen in Caracas und Buenos Aires primär um Machterhaltungspolitik.