Littbarski: "Die Deutschen sind die Besten"
13. Juli 2014DW: Sehen Sie nach dem überragenden 7:1-Halbfinalsieg gegen Gastgeber Brasilien die Gefahr, dass die deutschen Spieler glauben könnten, sie hätten den WM-Titel bereits in der Tasche? Wie schwierig ist es, nach solch einem Sieg wieder runterzukommen?
Pierre Littbarski: Es ist klar zu beobachten, dass die deutschen Spieler sehr fokussiert sind. Ich habe mir die Interviews nach dem Brasilien-Spiel angehört und obwohl die Spieler sehr glücklich waren, das Finale erreicht zu haben, waren sie gleich danach auf die nächste Aufgabe konzentriert. Für die deutsche Mannschaft ist es sehr wichtig, das Finale zu gewinnen, weil sie bei den letzten beiden WM-Turnieren im Halbfinale ausgeschieden sind und 2002 im Endspiel gegen Brasilien verloren haben. Wir haben eine Menge Spieler, die sehr erfahren darin sind, solche Spiele zu verlieren. Das hilft ihnen jetzt. Sie werden noch konzentrierter sein und versuchen Fehler aus der Vergangenheit zu vermeiden.
Joachim Löw hat es geschafft, in der Nationalmannschaft so etwas wie eine Vereinsatmosphäre herzustellen. Wie schafft man es, über so eine lange Zeit wie jetzt in Brasilien eine so gute Stimmung zu halten?
Da muss man auf die Entstehung der heutigen Mannschaft schauen: Wir haben Klose, der schon 2002 dabei war. Hinzu kommen erfahrene Spieler wie Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und einige andere. Dann kamen die ehemaligen U21-Spieler wie Mario Götze und Mesut Özil, die sich ebenfalls seit vielen Jahren kennen. Sie haben schon in den Nachwuchsmannschaften bei Welt- und Europameisterschaften zusammen gespielt. Soweit ich das beurteilen kann, ist die Stimmung zwischen den Spielern, nicht nur zwischen den Stammspielern und den Ersatzleuten, sehr gut. Es herrscht ein großer Respekt untereinander. Und natürlich gibt es auch Spieler wie Thomas Müller, die sich um die Reservisten kümmern. Zudem ist der Einfluss des FC Bayern sehr groß. Sechs oder sieben Spieler im Kader kommen aus München. Sie kennen sich entsprechend gut. Und auch sonst ist die Atmosphäre im Team hervorragend. Wir hatten jedenfalls nicht die Probleme, die Kamerun und andere Mannschaften hatten.
Sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen den WM-Finals 1986 und 2014? Damals in Mexiko waren massenhaft argentinische Fans im Stadion. Das wird jetzt in Rio ähnlich sein.
Ich weiß nicht, ob man das tatsächlich mit 1986 vergleichen kann, oder mit 1990. Ich weiß auch nicht, wie hoch der Anteil der argentinischen Fans im Stadion sein wird. Aber es werden neutrale Fans da sein. Brasilianer. Und wir kennen das Verhältnis der Brasilianer zu den Argentiniern. Ich denke daher, dass die Unterstützung für die deutsche Mannschaft sehr groß sein wird.
Vielleicht passt eher der Vergleich zu 1990, weil Argentinien damals im Halbfinale Gastgeber Italien rausgeworfen hatte und im Finale alle Zuschauer auf unserer Seite waren. Die Argentinier waren 1986 viel besser als 1990. Maradona hat damals einige unglaubliche Aktionen gezeigt, mal ganz abgesehen von seinem berühmten Handspiel. Heute spielt Argentinien nicht besonders attraktiv, daher glaube ich, dass viele Zuschauer zu den Deutschen halten werden. Aber auch wenn viele Fans gegen sie sind und schreien oder pfeifen - ich glaube nicht, dass das den Spielern besonders viel ausmachen wird, schließlich sind sie auf das Spiel fokussiert. Es wird keine große Rolle spielen.
Was halten Sie vom deutschen Team? Vor dem Brasilien-Spiel wurden bereits wieder alte Vorurteile rausgekramt, die Deutschen seien zwar effektiv aber ohne wirklich zu glänzen. Wird diese deutsche Mannschaft unterschätzt?
Ich kann solche Kommentare schon verstehen. Aber Deutschland war bei diesem Turnier mit Abstand die beste Mannschaft wenn es um Effektivität und Attraktivität ging. Was will man denn noch mehr als ein 7:1 gegen Brasilien? Das waren 45 Minuten absoluter Traumfußball. Ich habe keine andere Mannschaft gesehen, die so beständig gespielt hat wie die deutsche. Sie sind zwar nicht durch das gesamte Turnier gestürmt, aber das kann man auch nicht erwarten bei der hohen Qualität ihrer Gegner. Verglichen mit anderen Mannschaften sind die Deutschen mit Abstand die Besten. Wir verlieren nicht oft den Ball, wir spielen sehr viele Pässe, unsere Defensive steht gut und auf den letzten Metern vor dem Tor sind wir großartig. Das ist meine Meinung.
Pierre Littbarski bestritt 73 Länderspiele für Deutschland und nahm an drei Weltmeisterschaften teil. Nach dem Ende seiner aktiven Karriere, während der er für Vereine in Deutschland, Frankreich und Japan spielte, arbeitete er als Trainer und ist heute beim Bundesligisten VfL Wolfsburg für das Scouting und die Nachwuchsförderung zuständig.
Das Interview führte Ross Dunbar