Eine demokratischere EU
1. Dezember 2009Die blaue Flagge mit den zwölf gelben Sternen und die Europahymne aus Beethovens Neunter Symphonie haben es wieder nicht geschafft: Sie wurden, obwohl seit Jahrzehnten inoffiziell im Einsatz, auch mit dem Vertrag von Lissabon nicht zu den amtlichen Symbolen der Europäischen Union. Auf alles, was auf einen EU-Staat hindeutet, musste auf Drängen von Großbritannien und Polen im Laufe der zähen Verhandlungen zum Reformvertrag verzichtet werden.
Kein Superstaat
Grundsätzlich ist die EU geblieben, was sie auch vor dem Vertrag von Lissabon war: ein Staatenbund - und kein Bundesstaat: "Superstaat ist eine Kategorie, die auf die EU nicht passt. Sie ist eine große Bürokratie, die die Mitgliedsstaaten repräsentiert und in der die Mitgliedsstaaten immer noch den größten Einfluss haben", sagt der Europarechts-Experte Christoph Möllers von der Humboldt-Universität in Berlin.
Die EU sei mit dem Vertrag von Lissabon demokratischer geworden. Von den Demokratiestandards eines Nationalstaates sei sie aber noch weit entfernt. Trotzdem sei die Entwicklung der EU über die Jahrzehnte gesehen dramatisch, so Möllers.
Parlament gewinnt an Einfluss
Der Vertrag von Lissabon ist das Ergebnis einer fast acht Jahre dauernden Diskussion. Er gibt dem direkt gewählten Europäischen Parlament mehr Einfluss. In fast allen Politikfeldern dürfen die EU-Abgeordneten heute mitentscheiden, zusammen mit dem Ministerrat, der Vertretung der 27 Mitgliedsstaaten.
Jo Leinen, SPD-Europaabgeordneter und ehemals Vorsitzender des Verfassungsausschusses, sieht das Parlament als den eigentlichen Gewinner des Vertrages: "Wir sind durch den Vertrag auf Augenhöhe mit den Regierungen und dem Ministerrat, dem bisher wirklich mächtigen Gremium in der Europäischen Union. Das heißt Gesetze aus Brüssel sind in der Regel nur noch machbar, wenn das Parlament 'Ja' sagt, wenn die Bürgerkammer dies akzeptiert."
Neue unbekannte Köpfe
Zwei neue Köpfe für den Auftritt in der Welt hat der Lissabon-Vertrag der EU außerdem beschert. Herman Van Rompuy, einst ein international unbekannter Regierungschef in Belgien, ist der erste Präsident des Europäischen Rates, dem Klub der mächtigen Staats- und Regierungschefs, der über die Leitlinien der europäischen Politik entscheidet. Herman Van Rompuy will Vermittler sein. Seine persönliche Meinung zähle nichts, sagte er bei seinem Amtsantritt 2009. Van Rompuy wurde erst einmal für zweieinhalb Jahre gewählt.
Baroness Catherine Ashton of Upholland ist die erste Hohe Beauftragte für die Außen- und Sicherheitspolitik. Auch die Britin war vor ihrem Amtsantritt ein international unbeschriebenes Blatt. Sie amtiert für fünf Jahre. Den sperrigen Titel hat sie ihrer eigenen Regierung zu verdanken, die während der Vertragsverhandlungen den Titel "Außenminister" abgelehnt hatte. Dieser erinnerte die skeptischen Briten zu sehr an einen Staat.
Neue Mitglieder nur mit Lissabon
Wichtig ist der Grundlagenvertrag, der im Dezember 2007 in der portugiesischen Hauptstadt unterzeichnet wurde, vor allem für die Beitrittskandidaten. Die Balkanstaaten können der EU nur mit dem Vertrag von Lissabon beitreten, der die Union auch für 30 und mehr Mitglieder führbar machen soll.
Für Janis Emmanouilidis von der Brüsseler Denkfabrik "European Policy Centre" steht aber fest, dass durch den Lissabon-Vertrag die Beitrittskriterien und das -verfahren unverändert bleiben. Zur vertraglichen Grundlage müsse auch der politische Wille der EU kommen, neue Mitglieder zu integrieren.
Doppelte Mehrheit in fünf Jahren
Seit Anfang 2014, fünf Jahre nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, gilt im Ministerrat außerdem ein neues Abstimmungsverfahren. Entscheidungen fallen jetz nach dem Prinzip der doppelten Mehrheit aus 55 Prozent der Mitgliedsstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen. Zum ersten Mal legt der Vertrag auch fest, welche Ebene in der EU welche Dinge regeln darf. Die nationalen Parlamente haben faktisch ein Veto-Recht.
Seit dem Lissabon-Vertrag gibt es auch eine Art Volksbegehren und zum ersten Mal die Möglichkeit, aus der Europäischen Union auszutreten. Der Europa-Parlamentarier Jo Leinen hofft, dass der Vertrag von Lissabon einige Jahrzehnte halten wird. Spätestens wenn ein großer Staat wie die Türkei oder die Ukraine der EU beitreten sollte, sei aber ein neuer Grundlagenvertrag fällig, so Jo Leinen.