"Liebe gerät nie aus der Mode"
10. Februar 2006DW-WORLD: Mister Chopra, Sie sind nicht zum ersten Mal bei der Berlinale - aber das erste Mal in der Jury.
Yash Chopra: Stimmt, letztes Jahr war ich hier, als mein Film "Veer Zara" in der Reihe "Forum" gezeigt wurde. Ich kam hierher für einige Aufführungen und habe mir natürlich die Verleihung des Goldenen Bären angeschaut. Ich habe mich sehr gefreut, in diesem Jahr in die Jury eingeladen zu werden. Schließlich ist das hier eines der wichtigsten Festivals überhaupt. Die Atmosphäre ist wundervoll. Am Dienstag (7.2.) hat sich die Jury zum ersten Mal getroffen und jetzt freue ich mich einfach darauf, einige interessante Filme zu sehen und mit Leuten von überall auf der Welt zusammenarbeiten. Ich glaube, davon viel lernen zu können.
Ist es das erste Mal, dass Sie bei einem großen Festival in der Jury sitzen?
Ja. Ich glaube nicht, dass in den letzten Jahren überhaupt ein Inder in einer Jury bei den großen Festivals war. Vor ein paar Jahren hatte Mira Nair, die durch "Monsoon Wedding" berühmt wurde, den Vorsitz der Berlinale Jury, aber sie zählt ja als internationale Filmemacherin. Jetzt hier zu sein, ist nicht nur eine Ehre für mich, sondern für die ganze indische Filmindustrie, ja das ganze Land.
Sie werden sich in den nächsten zehn Tagen 26 Filme ansehen. Wie schafft man so etwas?
Wir schauen uns ja nicht nur eine Menge Filme an, wir nehmen ja auch an Partys, Empfängen und großen Abendessen teil. Aber für einen Filmmenschen kann Filme schauen gar nicht anstrengend sein. Es ist schließlich jedes Mal eine neue Erfahrung - und schlicht Teil unseres Jobs.
Wie haben wir uns Jury-Arbeit vorzustellen? Gibt es da eine Checkliste? Auf was achten Sie, wenn Sie einen Film schauen?
So etwas wie Anweisungen gab es vorher nicht. Man hat uns nur gesagt: Schaut euch die Filme an und bildet euch eine Meinung. Gegen Ende des Festivals gibt es dann ein Treffen der acht Jury-Mitglieder und dann entscheiden wir über die Gewinner. Das ist ein sehr unabhängiger Prozess ohne Druck von außen.
Die Jury ist sehr international besetzt. Welche Perspektive bringen Sie aus der Tradition der Bollywood-Filme ein?
Bei so einem Festival wechselt die Perspektive. Man schaut plötzlich nicht mehr durch die eigene Linse. In Indien machen wir ganz andere Filme als im Rest der Welt. Dafür will ich mich auch nicht entschuldigen, da bin ich stolz darauf. Nehmen sie zum Beispiel "Veer Zara", den ich bei der letzten Berlinale zeigen durfte. Ein dreieinhalb Stunden langer Film mit allein acht Songs. Indische Filme haben einfach ihre eigene Farbe, ihren eigenen Charme. Wobei sich natürlich auch der indische Film entwickelt. Es gibt alle möglichen Arte von Filmen. Ich habe selbst mal einen ohne jeden Song gedreht. Es gibt sogar Filme auf Englisch und sogar in Hinglisch, also der Mischung aus Hindi und Englisch. Überall auf der Welt schauen Leute indische Film mit ihren eigen Farben, Kostümen und Werten. Ich würde das auch nie ändern, um auf irgendeinen Erfolg bei einem Festival zu schielen.
Bollywood ist sogar in Deutschland populär - weil sich der indische Film geändert hat? Oder eher die westliche Wahrnehmung?
Beides. Als vor zehn Jahren "Dilwale Dulhania Le Jayenge" veröffentlicht wurde, konnte sich das Publikum in Indien und auch sonst auf der Welt plötzlich mit den Charakteren identifizieren. Im indischen Sinn ist er sehr romantisch. Zum Beispiel sagt das Mädchen in der Schlüsselszene: "Lass uns weglaufen, die Familie ist gegen uns." Worauf der Junge sagt: "Nein, lieber lege ich mich mit der Familie an. Ich heirate dich nur, wenn mir dein Vater deine Hand gibt." Es ist ein Kultfilm geworden - in Mumbai läuft der immer noch in den Kinos. Wir begannen Untertitelversionen in English, Spanisch, Arabisch und so weiter zu produzieren. Seitdem ging es im Westen richtig los. Viele Filme sind heute im Ausland erfolgreicher als in Indien selbst - vor allem wegen der großen Diaspora in Großbritannien, Kanada und den USA.
In ihren frühen Filmen in den 1960er und 70er Jahren haben Sie auch kontroverse soziale Themen angepackt: Ehebruch, uneheliche Kinder, Alkoholismus. In den 1990er Jahren drehen sich ihre Filme wieder vor allem um Liebe und Romantik. Warum dieser Wandel?
Man ändert sich eben mit der Zeit. Und ich fand es eben zunehmend angenehmer Filme über menschliche Beziehungen zu machen. Liebe gerät eben nie aus der Mode. Ich mache eben nicht gern Action oder Krimis. "Veer Zara" ist der erste Film, der in Indien und in Pakistan der Gegenwart spielt - und trotzdem geht es nicht um Terrorismus oder Politik. Es ist ein emotionaler, trauriger Film. Alle haben gesagt, das könne nicht klappen, es wurde aber ein erfolgreicher Film. Ich erinnere mich noch gut an die Aufführungen in Berlin - der Film hatte noch nicht mal deutsche Untertitel. Aber die Vorführung war ausverkauft und ich habe vorher von den Parallelen zwischen der indisch-pakistanischen Teilung und der Berliner Mauer gesprochen. Ich war mir aber eigentlich sicher, dass es das deutsche Publikum nicht dreieinhalb Stunden im Kino aushalten und rausgehen würde. Am Ende hatte aber jeder Tränen in den Augen. Das ist eben die Kraft der Emotionen - und darauf konzentriere ich mich beim Filme machen.
Die meisten Filme hier bei der Berlinale werden aber eher politisch sein.
Diese werde ich nie machen. Aber mit meiner Produktionsfirma gebe ich jungen Regisseuren die Chance, auch so etwas zu verwirklichen. Sie müssen nicht das machen, was ich für mich bevorzuge
Es sind dieses Jahr vier deutsche Filme im Wettbewerb. Was halten Sie von deutschen Filmen?
Wir haben leider in Indien nicht so etwas wie ein deutsches Filmfestival und es werden auch kaum mal deutsche Filme herausgebracht. Ich erinnere mich aber, letztes Jahr zwei deutsche Filme gesehen zu haben. Einer ging über den Krieg und die Schauspieler waren brillant. Deutsche machen eben viele Filme über den Krieg und dessen emotionale Seiten. Es gibt hier sehr gute Filmemacher. Ich finde es schade, dass nicht mehr europäische Filme nach Indien kommen. Es sollte viel mehr Austausch geben, weil wir so viel voneinander lernen können - gerade wir Filmemacher. Ich freue mich, hier bei der Berlinale zu sein, nicht zuletzt deshalb, weil ich vier deutsche Filme sehen darf. Ich freue mich darauf.
Yash Chopra (74) ist einer der wichtigsten Regisseure und Produzenten des indischen Films. Er begann als Regieassistent unter seinem Bruder. Der erste Film unter eigenem Namen war 1959 der erfolgreiche "Dhool Ka Phool", eine sozial engagierte Geschichte über uneheliche Mutterschaft. Den kommerziellen Durchbruch hatte Chopra mit "Waqt" (1965) für den ersten von drei "Filmfare Best Director Awards" erhielt. Als Produzent und Regisseur ist und war Yash Chopra an einer großen Anzahl von indischen Blockbustern beteiligt, darunter aktuell "Mohabbatein", bei dem sein Sohn Uday Chopra als Darsteller agierte und sein Sohn Aditya Chopra Regie führte.
Das Gespräch führten Sonia Phalnikar und Oliver Samson