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"Vertrauensverlust für den Rechtsstaat"

Kersten Knipp11. Januar 2016

Was muss sich nach den Übergriffen von Köln ändern? Im DW-Interview fordert Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine transparente Aufklärung der Ereignisse, um das Vertrauen in den Rechtsstaat zurückzugewinnen.

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Ex-Bundesjustizministerin (Bild: imago/J. Heinrich)
Bild: imago/J. Heinrich

Deutsche Welle: Wie wirkt die aktuelle Flüchtlingsdebatte auf Sie vor dem Hintergrund der Ereignisse von Köln und des in Paris erschossenen Attentäters, der auch den deutschen Behörden bekannt war?

Es sind natürlich immer wieder Nachrichten, die deutlich machen, dass Terroranschläge in Europa - auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft - jederzeit passieren können. Da bewegt mich sehr Vieles, da habe ich sehr ambivalente Empfindungen. Zum einen, was das Totalversagen der staatlichen Institutionen angeht, aber zum anderen natürlich auch die Bestürzung in welcher Intensität es dort zu Übergriffen gekommen ist, was in dieser Dimension nicht vorher einschätzbar war.

Welche Reaktion halten Sie für angemessen, welche Fehler wurden gemacht?

Insgesamt ist die Information von Seiten der Polizei und der dort Verantwortlichen absolut unzureichend gewesen. Das bestärkt die, die sagen, der Staat versagt hier. Und es bestärkt die, die sich bei Pegida sammeln. Das halte ich für ganz, ganz gefährlich und von daher gibt es eigentlich nichts, über das nicht komplett transparent und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar berichtet werden muss.

In der Debatte nach den Kölner Ereignissen ist auch immer wieder die Rede von „rechtsfreien Räumen“. Was halten Sie davon?

So pauschal von rechtsfreien Räumen zu reden ist in dieser Form nicht richtig, aber es ist nicht das erste Mal, dass nicht ausreichend Polizei in einer Krisensituation da war: Ich erinnere an viele Ereignisse in ostdeutschen Bundesländern, wo es eben massiven Druck durch sehr gewaltbereite, aggressive Menschen aus dem rechten Spektrum gegen Bürgerinnen und Bürger gibt, die sich dann komplett allein gelassen fühlen, weil die Polizei vor Ort kaum oder fast nie präsent ist. Das sind Defizite in einem Rechtsstaat, die es nicht geben darf. Ob man es nun rechtsfreie Räume nennt oder eben nicht ausreichendes Handeln der Polizei, am Ende führt es zum Vertrauensverlust in den Rechtsstaat und das ist leider die ganz traurige Bilanz, auch der Silvesternacht.

Einige Polizisten klagen, Straftäter würden zu lasch bestraft. Wie sehen Sie das, kann man in dem Zusammenhang von einer tendenziösen Rechtsprechung reden?

Ich sehe jetzt keine tendenziöse Rechtsprechung. Ich würde hier nicht einen einseitigen Vorwurf an die Justiz erheben. Aber ich glaube, es ist gut, wenn die Justiz weiß, welche große verantwortungsbewusste Rolle sie spielt, auch durch Ausnutzung aller Möglichkeiten zu solch beschleunigten Verfahren, zu zeitnahen Verurteilungen, denn nur das greift ja auch. Aber die Justiz kann nicht verfahren, bearbeiten und Verurteilungen aussprechen, wenn sie die Täter nicht hat und genau da sind wir wieder bei dem Defizit, dass eben die Polizei in der Silvesternacht ganz viele Täter überhaupt nicht hat festnehmen können, weil zu wenige Beamte vor Ort waren.

Die CDU hat sich auf ihrer Präsidiumssitzung in Mainz für mehr Schleierfahndung ausgesprochen. Was halten Sie von diesem Mittel?

Zunächst einmal hätte die Schleierfahndung auch auf dem Kölner Hauptbahnhof nichts gebracht, deshalb muss man diese Vorschläge auch richtig einordnen. Schleierfahndung heißt, auch ohne konkreten Anlass Kontrollen durchführen zu können. In Bayern wird sie im grenznahen Bereich angewendet. Genau dafür ist sie gedacht. Deshalb wundert mich, dass jetzt solche Debatten geführt werden, auch über mehr Videoüberwachung. Es kann Videoüberwachung angeordnet werden. Wir haben dafür Regelungen. Es soll den Bürgern gegenüber nicht immer der Eindruck erweckt werden, vieles sei bei uns gar nicht möglich. Es ist möglich! Es muss entschieden werden, dazu brauche ich keinerlei Gesetzesänderung.

Wie sollte man mit der Zuwanderung in so hohen Zahlen umgehen? Was wäre eine kluge Politik?

Auf die kluge Politik wartet Deutschland jetzt seit Monaten, denn Sie findet - leider auch von Seiten dieser Bundesregierung - nicht statt. Die streitet, ob man 200.000 oder keine genannte Zahl an Flüchtlingen hier aufnehmen kann oder nicht. Wir können Flüchtlinge nicht nur in Zahlen messen. Jeder weiß, wir können politisch Verfolgte nicht an der Grenze zurückweisen. Das geht nach internationalem und nationalem Recht nicht. Das Kernkonzept von Angela Merkel muss sie jetzt endlich zeigen. Ich habe kein Verständnis dafür, dass es überhaupt keine Fortschritte gibt.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist FDP-Politikerin und war von 1992 bis 1996 sowie von 2009 bis 2013 Bundesjustizministerin.

Das Gespräch führte Kersten Knipp.