Lettland: EZB schaltet EuGH ein
6. April 2018Bisher hatte die Europäische Zentralbank in Sachen Lettland geschwiegen. Nach dem Willen der Notenbanker in Frankfurt soll aber nun der Europäische Gerichtshof EuGH klären, ob alles nach europäischem Recht zuging, was Lettlands Zentralbankchef Rimsevics in den letzten Wochen widerfuhr. Und die Europäische Zentralbank will, dass die Richter des EuGH das in einem sogenannten beschleunigten Verfahren klären. Der Lette Rimsevics ist nämlich Mitglied im höchsten Organ der Bank, dem EZB-Rat.
Dort kann er seinen Aufgaben aber nicht mehr nachkommen. Denn lettische Behörden hatten ein Amtsausübungs- und Ausreiseverbot gegen den Notenbankchef des Euro-Landes verhängt. In einem beschleunigtes Verfahren müssen die Luxemburger EuGH-Richter in vier bis sechs Monaten entscheiden.
Zugleich beantragte die EZB vorläufige Maßnahmen bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichts, um das "normale Funktionieren des Entscheidungsprozesses" der Währungshüter zu gewährleisten. Ein Ratsmitglied, das zu den Sitzungen des EZB-Rates nicht kommen kann, kann einen Stellvertreter benennen. Der hat zwar Rede-, aber kein Stimmrecht. Das oberste Euro-Entscheidungsgremium ist dennoch beschlussfähig. Die Währungshüter streben aber wohl eine grundsätzliche Klärung an.
Widersprüchliches Vorgehen
Diese Klärung dürfte nicht einfach werden. Zu widersprüchlich ist das Vorgehen lettischer Behörden, zu verwirrend sind die Vorwürfe, die den Zentralbanker aus Riga, aber auch etliche Banken des kleinen baltischen Staates treffen. In Lettland wird gegen Rimsevics wegen wegen des Verdachts auf Korruption ermittelt - das EUB-Ratsmitglied bestreitet die Vorwürfe vehement und sieht sich als Opfer eines Komplotts lettischer Geschäftsbanken.
Damit nicht genug.So ließ die lettische Justiz auf Betreiben der Antikorruptionsbehörde KNAB Rimsevics zunächst im Februar festsetzen, um ihn kurze Zeit später gegen Kaution wieder zu entlassen. Derweil erging sich das lettische Verteidigungsministerium aber in düsteren Andeutungen: Mit "hoher Wahrscheinlichkeit" sei das Land einer "massiven Informationsoperation mit auswärtiger Quelle" ausgesetzt, teilte das Ministerium auf seiner Internetseite mit - und dabei spielten Verdächtigungen gegen den Zentralbankchef eine Rolle, hieß es.
Es war nicht schwer herauszulesen, dass das Ministerium die "auswärtige Quelle" in Russland vermutet. Der Angriff sei nämlich "in Struktur und Ausführung identisch mit Informationsmaßnahmen, die schon in Frankreich, Deutschland und den Vereinigten Staaten vor Wahlen beobachtet worden sind". Damit solle das Vertrauen in das EU- und Nato-Land als Verbündeter und in die Regierung in Riga erschüttert werden, hieß es in der Mitteilung. Eindeutige Belege für die "massiven Informationsoperation mit auswärtiger Quelle" und deren Urheber blieb das Ministerium allerdings schuldig. In Lettland wird im Herbst ein neues Parlament gewählt.
Die EZB beeilte sich nun am Freitag klarzustellen, mit der Einschaltung des Gerichts wolle sich die EZB nicht in die Geldwäsche-Untersuchungen der lettischen Antikorruptionsbehörde KNAB einmischen. Lettlands Notenbank-Gouverneur steht immerhin unter Verdacht, Bestechungsgeld von 100.000 Euro verlangt zu haben.
Geschäftsmodell Geldwäsche?
Im Zentrum des Geldwäsche-Skandals steht möglicherweise die lettische ABLV-Bank. Das drittgrößte lettische Kreditinstitut ABLV geriet wegen des Verdachts auf Geldwäsche bereits ins Visier von US-Finanzbehörden und der EZB. ABLV wies die Vorwürfe zurück. Auf Ersuchen der EZB hatte die lettische Finanz- und Kapitalmarktkommission die Geschäfte der Bank dennoch auf Eis gelegt.
Nach Angaben von Rimsevics hatte die in Schieflage geratene ABLV die lettische Zentralbank um eine Finanzhilfe in Höhe von einer Milliarde Euro gebeten, die abgelehnt worden sei. Nur wenige Stunden später seien daraufhin die Räumlichkeiten seiner Zentralbank durchsucht worden.
Kaum waren die Vorwürfe gegen den Zentralbank-Chef bekannt geworden, behauptete auch der Mehrheitseigner der lettischen Norvik Banka, Grigorij Guselnikow aus Großbritannien, Rimsevics habe seit 2015 regelmäßig durch einen Mittelsmann Bestechungsgelder verlangt. Der Zentralbankchef bestritt kategorisch die Vorwürfe und warf seinerseits der Bank vor, damit eine 200 Millionen Euro schwere Klage gegen den lettischen Staat beeinflussen zu wollen.
Beobachter der lettischen Bankenszene vermuten schon seit längerem, Banken aus dem kleinen Lettland stolperten zunehmend über ihr eigenes Geschäftsmodell - das darin liege, Kapitalflucht und Geldwäsche für reiche Bürger aus dem riesigen Nachbarland Russland zu ermöglichen. Lettische Abgeordnete schätzen Zeitungsmeldungen zufolge, dass gigantische Geldsumme über das Land mit zwei Millionen Einwohnern fließen: Es soll ein Prozent aller weltweiten Dollar-Transaktionen sein.
Die Rolle von Trasta Komercbanka
Möglicherweise geht es bei den Vorwürfen gegen Zentralbankchef Rimsevics aber gar nicht um die ABLV-Bank und auch nicht um die Norvik Banka. Vor wenigen Jahren geriet eine weitere lettische Bank in Schieflage, nachdem Reporter des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) geschrieben hatten, das Finanzinstitut Trasta Komercbanka hätte russische Gelder im Wert von 13 Milliarden Dollar über ihre Konten geschleust. Das war 2014. Die Bank verlor ihre Lizenz, im letzten Jahr musste sie schließen.
Nach Angaben von Lettands Antokorruptionsbehörde KNAB stehen die laufenden Ermittlungen gegen Rimsevics jedoch weder mit ABLV oder Norvik noch mit einem anderen gegenwärtig in Lettland aktiven Geldinstitut in Verbindung. Von der Trasta Komercbanka war nicht die Rede. Das gab zu Spekulationen Anlass, vielleicht gehe es um diese Bank? Rimsevics steht seit 2001 an der Spitze der Zentralbank. Ob er sein Amt behält, und ob er in den Rat der Europäischen Zentralbank zurückkehren kann, darüber wird nun der EuGH zu befinden haben.
ar/nm (dpa, rtr – Archiv)