Geheimagent Lidl
6. April 2009Die Einzelhandelskette Lidl hat sich in den letzten Jahren in Deutschland einen zweifelhaften Ruf eingehandelt. Der Konzern hat seine Angestellten wiederholt und systematisch ausgespäht und über die Beschäftigten geheime Krankenakten angelegt. Diese Praktiken haben dem Konzern einen gewaltigen Image-Schaden beschert. Inzwischen hat der Konzern auf die Vorwürfe reagiert und personelle Konsequenzen gezogen.
Im vergangenen Jahr war Lidl in die Kritik geraten, als bekannt wurde, wie die Angestellten des Konzerns bespitzelt wurden. Lidl hatte ein Überwachungssystem aufgebaut, das an die Praktiken von Geheimdiensten erinnert. So waren in den Geschäften Kameras installiert worden, um die Mitarbeiter zu überwachen. Wann und wie oft geht eine Kassiererin zur Toilette? Wer macht wie oft eine Zigarettenpause? Das waren die Daten, die Lidl über seine Angestellten zusammentrug. Außerdem beschäftigte der Konzern Detektive, um seine Angestellten lückenlos beschatten zu können.
Fragwürdige Sammelwut
In der vergangenen Woche wurde ein weiteres Kapitel in dieser Skandal-Chronik geschrieben. In einer Mülltonne in Bochum wurden Unterlagen gefunden, die belegen, dass Lidl über seine Mitarbeiter illegal Krankenakten angelegt hat. Widerrechtlich wurde festgehalten, wer an was erkrankt war und welche Konsequenzen der Arbeitgeber daraus ziehen will. Das ging bis zur Empfehlung, einer Mitarbeiterin zu kündigen, die einen Psychologen konsultiert hatte.
Am Montag, dem 06.04.2009, hat der Konzern auf diese Enthüllungen reagiert und den Deutschland-Chef von Lidl entlassen. Frank-Michael Mros wurde firmenintern für die illegale Datensammelwut verantwortlich gemacht.
Billig um jeden Preis
Schon länger war Lidl dafür bekannt, seine Angestellten so gering wie möglich zu entlohnen. Das Argument der Konzernleitung war branchentypisch: Das ginge nicht anders, wenn man die Waren zu einem konkurrenzlos günstigen Preis anbieten wolle.
Tatsächlich haben die Lebensmitteldiscounter eine wichtige Funktion: Ohne Aldi, Lidl, Penny und Co. wüsste manch einer, der von Hartz IV leben muss, kaum, wie er sich und seine Familie satt bekommen sollte. Andererseits befördern die Billiganbieter aber auch den Geiz-ist-geil-Trend, dem immer mehr Kunden folgen. Denen scheint beim Einkauf das Wichtigste zu sein, möglichst wenig Geld auszugeben. Ein Schnäppchen zu machen ist ihnen das höchste Konsumentenglück.
Margarine, Kochschinken und - ein Auto
Dem schlechten Bild, das Lidl in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit abgegeben hat, wollte der Konzern mit dem gewohnten Reflex begegnen: Im Gleichschritt mit dem Konkurrenten Aldi wurden die Preise gesenkt, immer mehr Sonderangebote wurden ins Sortiment gehoben. Doch dieser Schuss ging nach hinten los. Weder Lidl noch Aldi konnten davon profitieren, ihre Umsätze sanken. Gewinner der Preisschlacht waren die kleineren Discounter Penny und Netto.
Auch eine Sonderaktion, bei der man bei Lidl online ein Auto kaufen konnte, brachte nicht den erhofften Erfolg. Wie Verbraucherschützer nachwiesen, waren die beiden angebotenen Kleinwagen der Marken VW und Opel nicht günstiger als bei der Konkurrenz und Lidl konnte den bei solchen Geschäften üblichen Service nicht bieten, wie zum Beispiel Probefahrten.
Neuer Markt Schweiz
Trotz - oder vielleicht wegen - der Probleme in Deutschland: Der Konzern wird weiter expandieren. Im März sind in der Schweiz 13 Lidl-Filialen in verschiedenen Kantonen eröffnet worden. Bis zum Jahresende sollen es doppelt so viele sein. Ob sich Lidl in der Schweiz an die arbeitsrechtlichen Vorgaben des Gesetzgebers und die schweizerischen Datenschutzbestimmungen hält oder ob der Konzern auch dort durch illegale Überwachungspraktiken auffällt, bleibt abzuwarten.
Autor: Dirk Kaufmann
Redaktion: Kay-Alexander Scholz