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Lebensmittelallergien: Warum sie immer häufiger werden

29. August 2024

In Großbritannien hat sich die Zahl der neuen Fälle von Personen mit einer Lebensmittelallergie innerhalb von zehn Jahren verdoppelt. In anderen Industrieländern sieht es ähnlich aus. Woran liegt das?

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Symbolbild Zusammensetzung Lebensmittelallergenen
Zu den Top-Allergenen zählen Milch, Eier, Fisch und Krustentiere, Nüsse, Weizen und SojaBild: monticello/Zoonar/picture alliance

Milch, Eier, Erdnüsse oder Weizen - für manche Menschen ein lebensbedrohlicher Horror. Auch auf Haselnüsse, Soja oder Krustentiere reagieren viele Menschen allergisch. Und es werden mehr.

Laut einer aktuellen Studie des London Imperial College hat sich die geschätzte Zahl der Neuerkrankungen mit Nahrungsmittelallergien in Großbritannien innerhalb von zehn Jahren verdoppelt: von 76 Fällen pro 100.000 Personen im Jahr 2008 auf 160 Fälle pro 100.000 Menschen 2018. Damit sind schätzungsweise 1,1 Prozent der britischen Bevölkerung allergisch gegen ein Nahrungsmittel - mehr als 675.000 Menschen. 

Lebensmittelallergien sind jedoch kein rein britisches Problem. Laut einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2023 leiden weltweit 8 Prozent der Kinder und 10 Prozent der Erwachsenen Bevölkerung an einer  Nahrungsmittelallergie.. Die meisten Betroffenen leben in Industrieländern und Städten.

Was ist eine Allergie?

Bei einer Allergie reagiert das Immunsystem auf eigentlich harmlose Fremdstoffe mit Entzündungszeichen und der Bildung von Antikörpern. Diese Immunreaktion kann sich durch Hautausschläge und Schwellungen äußern. Übelkeit, Fieber oder Asthma können weitere Symptome sein.

Manchmal ist die ausgelöste Immunreaktion so stark, dass es zu einem sogenannten anaphylaktischen Schock und damit zu einem lebensbedrohlichen Kreislaufzusammenbruch kommt. Laut einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2021 sind Nüsse, Kuhmilch und Krustentiere die weltweit häufigsten Auslöser für eine Anaphylaxie.

Angesichts der potenziellen Lebensgefahr, die von einer Nahrungsmittelallergie ausgeht, halten die Forscher die steigenden Zahlen für alarmierend: Menschen in ärmeren Gegenden hätten potentiell schlechteren Zugang zu lebensrettenden Notfallmedikamenten, heißt es in der britischen Studie.

Wie entsteht eine Nahrungsmittelallergie?

Bei der Entstehung von Nahrungsmittelallergien spielt die genetische Veranlagung eine Rolle: Kinder von Eltern mit Allergien haben ein höheres Risiko, selbst allergisch zu werden. Doch die Genetik, da sind sich die Forschenden sicher, kann nicht alles sein.

Schließlich ist die Zahl der Allergien in industrialisierten, städtischen Lebensräume höher als in ländlichen, eher naturbelassenen Lebensräumen. Eine Ursache für Nahrungsmittelallergien sei daher in unserem Lebensstil zu finden, sagt Margitta Worm. Sie ist Professorin für Immunmodulation bei allergischen Erkrankungen an der Berliner Charité. "Wir leben in einer wenig mikrobiell belasteten Umwelt." 

Welches Essen, und wieviel davon ist gesund?

Was zunächst wie eine gute Nachricht klingt, ist ein Problem. Denn Mikroben beeinflussen die sogenannten T-Zellen. Es gibt viele verschiedene Untergruppen von T-Zellen. "Bei der Allergie spielen so genannten T-Helferzellen eine entscheidende Rolle", erklärt Worm. Sie sind es, die bei einer Allergie die überschießende Immunreaktion in Gang setzen. 

"Mikroben fördern die Bildung der T-Zellen in eine Richtung, die der Allergie entgegenwirkt." Mikroben kommen nicht nur auf Bauernhöfen häufiger vor als in der Stadt, sondern auch in frischen Lebensmitteln häufiger als in hochverarbeiteten. 

Forschende gehen deshalb stark davon aus, dass das Darmmikrobiom eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Nahrungsmittelallergien spielt. Anders gesagt, eineschlechte Ernährung ist nicht nur Ursache vieler Erkrankungen, sondern auch ein potentielles Einfallstor für Allergien.

Nahrungsmittelallergien vorbeugen - wie geht das?

"Der sicherste Weg ist, das entsprechende Nahrungsmittel zu meiden", sagt Margitta Worm. "Aber: Es gibt Menschen, die beispielsweise schon auf einen Erdnusskrümel allergisch reagieren." Diese Personen sollten ein Notfallset bei sich tragen. Es enthält Adrenalin, das im Falle einer allergischen Reaktion die Atemwege freimacht und den Kreislauf stabilisiert und so dem anaphylaktischen Schock entgegen wirkt. 

Lange rieten Ärzte Schwangeren, Allergene wie Erdnüsse zu meiden und auch Kleinkindern diese möglichst vorzuenthalten. "Doch Studien haben gezeigt, dass die Vermeidung das Risiko für Allergien erhöht." Schwangere können das Allergierisiko ihrer Kinder senken, indem sie stillen und sich selbst mit möglichst vielen frischen und wenig hochverarbeiteten Nahrungsmitteln ernähren.

Eine gesunde Ernährung ab dem Kleinkindalter kann das Risiko ebenfalls senken. Entwickelt sich trotz aller Bemühung dennoch eine Nahrungsmittelallergie, sind die Behandlungsmöglichkeiten nach wie vor begrenzt. 

Können Nahrungsmittelallergien behandelt werden?

Bei der Entwicklung wirksamer Medikamente gegen Nahrungsmittelallergien habe es lange Zeit kaum Fortschritte gegeben, sagt Worm. Die Hersteller schreckten unter anderem vor dem Risiko zurück, das klinische Studien an Betroffenen mit sich brächten, um die Wirksamkeit eines Medikaments zu testen. 

Eine Immuntherapie, wie sie etwa bei Heuschnupfen eingesetzt wird, gebe es bislang nur für die Erdnussallergie, sagt Worm. Dabei werden die Betroffenen nach und nach einer immer höheren Dosis des Allergens ausgesetzt, um so die Toleranz des Immunsystems zu steigern. Zugelassen sei die Therapie nur für junge Menschen zwischen vier und 18 Jahren, so Worm.

In den USA ist seit Anfang 2024 auch das Antikörper-Medikament Xolair zur Behandlung aller Arten von Nahrungsmittelallergien zugelassen. Dieses Medikament bindet an den Antiköper-Typ Immunoglobin E (IgE), der die allergische Reaktion triggert, und schwächt sie ab. Das Risiko schwerer allergischer Reaktionen sinkt. Allerdings kann auch dieses Medikament die Nahrungsmittelallergie nicht heilen.

Quellen:

The Lancet: Time trends in the epidemiology of food allergy in England: an observational analysis of Clinical Practice Research Datalink data, 2024

The Journal of Allergy and Clinical Immunology: Feast for thought: A comprehensive review of food allergy 2021-2023, 2024

The Journal of Allergy and Clinical Immunology: Global patterns in anaphylaxis due to specific foods: A systematic review, 2021

 

Julia Vergin
Julia Vergin Teamleiterin in der Wissenschaftsredaktion mit besonderem Interesse für Psychologie und Gesundheit.