Lasertechnik aus Göttingen erobert die Welt der Smartphone-Displays
4. Dezember 2013Von Kai Schmidt, dem Entwicklungsleiter der Göttinger Laserfirma "Coherent", ist nicht mehr viel zu erkennen: Sein Körper steckt von Kopf bis Fuß in einem weißen Overall. Eine orangefarbene Laserschutzbrille aus Plastik deckt fast seine gesamte Stirnpartie ab. Es ist unglaublich laut. "Wenn wir die Umhüllung des Lasers weglassen würden, dann würden wir daneben nicht mehr stehen können. Das wäre so laut, dass wir es nicht aushalten könnten“, ruft Schmidt. Schuld am Lärm sind sogenannte Gasentladungen, die mit elektrischer Energie in der Laserröhre erzeugt werden.
Schmidt wirkt klein neben der rund fünf Tonnen schweren Laseranlage, der sogenannten "Vyper". Hinter dem Koloss aus Stahl verstecken sich zwei Hochleistungslaserröhren, das Herzstück des Vyper-Lasers.
Großflächige Bearbeitung von Glasplatten
Aus der "Vyper“ schießen je zwei Laserstrahlen aus UV-Licht. Die Göttinger Forscher haben es geschafft, die Energie der beiden Strahlen mit einem neu entwickelten Optiksystem in einem einzigen Linienfokus zu vereinen. Somit entsteht eine 75 Zentimeter lange Linie aus Licht. Dieser Laserstrahl trifft dann auf eine Glasplatte, die mit amorphem Silizium beschichtet ist und lässt dort durch die Erhitzung eine Polysiliziumschicht entstehen.
Ralph Delmdahl, Produktmarketing-Manager bei Coherent, betont den Vorteil der Laserbehandlung der Glasplatten: "Das UV-Licht des Lasers hat die Eigenschaft, dass es sehr stark im Silizium absorbiert wird, aber nicht in der darunter liegenden Glasplatte." Das Glas wird dadurch nur wenige hundert Grad Celsius heiß, aber das amorphe Silizium schmilzt genau dort auf, wo der Laserstrahl auf die Glasplatte trifft. Dann kühlt das Silizium ab und verändert seinen Zustand und kristallisiert. So entsteht das sogenannte Polysilizium.
Dabei kommt es auf Fingerspitzengefühl an: Dort, wo der Laserstrahl auf die amorphe Siliziumschicht trifft, heizt er sie auf bis zu 1400 Grad Celsius auf. Die hauchdünne Schicht, die 2000-mal dünner ist als ein Haar, muss gleichmäßig aufgeschmolzen werden. Trifft zu wenig Energie auf das Silizium, schmilzt das Material überhaupt nicht, trifft zu viel Energie auf das Silizium, löst sich die Schicht in Luft auf und verdampft.
Ohne Polysilizium keine hochauflösenden Displays
Mithilfe der Lasertechnologie aus Göttingen können so erstmals mehrere Quadratmeter große Glassubstrate mit Polysilizium hergestellt werden, die als Grundlage für die Herstellung von hochauflösenden Displays dienen. Ein Segen für die Smartphone- und Tablethersteller: Sie sparen dadurch nicht nur Kosten, sondern können auch genügend hochauflösende Bildschirme produzieren, um den Massenbedarf zu decken. Denn die Nachfrage nach Smartphones wächst weiter. In vier Jahren werden weltweit vermutlich 1,7 Milliarden Menschen ein Smartphone besitzen – und damit doppelt so viele wie heute.
Delmdahl tippt mit seinen Fingern auf dem Display seines iPhones. Auch in diesem Gerät steckt Polysilizium. Hinter jedem einzelnen Pixel seines Displays auf Siliziumbasis sitzt eine Art Schalter, ein Minitransistor, der das Pixel zum Leuchten bringt. Eine höhere Auflösung heißt, dass immer mehr Pixel und somit auch mehr Minitransistoren auf der gleichen Oberfläche untergebracht werden müssen. Polysilizium-Transistoren lassen sich deutlich kleiner fertigen als Transistoren aus ungeordnetem amorphem Silizium. Außerdem können sich die Elektronen schneller durchs geordnete Polysilizium bewegen.
Polysilizium verhält sich wie eine Formel-1-Rennstrecke
Delmdahl verdeutlicht den Unterschied von amorphen Silizium und Polysilizium mit einer Rennstrecke: "Wenn man mit einem breiten Reifen über eine Schotterstraße fährt, dann macht das nichts, weil der Reifen die Ungeordnetheit der Straße gar nicht merkt. Wenn der Reifen schmaler wird und ich fahre damit über den Schotter, dann geht es nicht mehr. Dann spürt der Reifen nur noch die Unebenheiten.“ Dank seines kristallinen Zustands habe Polysilizium eine sehr geordnete Struktur. Im Vergleich zu amorphem Silizium seien die Störstellen um das 100- bis 200-fache verringert. Dadurch kann der Strom leichter fließen.
Ein paar Türen weiter bearbeiten die Mitarbeiter die Bestandteile der Laserröhre im Reinraum mit einer Druckluftpistole. Mit ihren weißen Kitteln sehen sie aus wie Ärzte. Kein einziges Staubkorn darf auf die Oberfläche, keine Flüssigkeit ins Innere gelangen, kleine Schraube darf fehlen. Die Kunden, ausnahmslos Displayhersteller aus Asien, erwarten höchste Qualität. Bereits an die 100 Laseranlagen haben die Göttinger Forscher inzwischen verkauft. Delmdahl und seine Kollegen bedienen damit einen Massenmarkt. "Es kommt dem spielenden Jugendlichen zugute, weil er für seine Spiele ein schnelles Display hat. Es kommt älteren Menschen zugute, weil sie die Displays besser ablesen können, weil man Schriften besser lesen kann“, sagt Delmdahl.
Größer, schneller, besser
Für das Göttinger Unternehmen mit seinen mittlerweile 2500 Mitarbeitern weltweit ist der Smartphone-Massenmarkt allerdings erst der Anfang. Künftig sollen auch 3D-Darstellungen möglich sein. Auch rückt die Herstellung von ultradünnen Fernsehern aus organischen Leuchtdioden in den Vordergrund. Die sogenannten OLEDs.
Schnell stülpt sich Schmidt, der Entwicklungsleiter von Coherent, wieder den weißen Overall über und klemmt sich die Laserschutzbrille aus Plastik hinters Ohr. Für ihn geht es zurück in den Laserraum. Die Hochleistungslaser der Göttinger Firma schaffen es bereits, Glasplatten mit einer Fläche von bis zu fünf Quadratmetern zu bearbeiten. Doch Schmidt und seine Kollegen arbeiten mit Hochdruck daran, die Laserpower zu verdreifachen. Dann können sie noch viel größere Displayschichten bearbeiten. Den Laserlärm nehmen sie dafür gerne in Kauf.