Laos und USA: Blut und Geheimnisse
6. September 2016Die Geschichte US-amerikanischen Eingreifens in Laos hat alle Zutaten eines Thrillers. Es ist ein düsterer Thriller, gesetzt in der Zeit des Vietnam Krieges vor rund 50 Jahren. Einer, in dem es vor allem Verlierer gibt. Der größte: Das laotische Volk. Von 1964 bis 1973 flogen die USA schwerste Luftangriffe auf Laos. Die ersten fünf Jahre davon in einem "geheimen Krieg", von dem selbst der US-Kongress nichts wusste – geschweige, dass er ihn genehmigt hätte.
Zwei Millionen Tonnen Bomben haben die USA über Laos abgeworfen, darunter 270 Millionen Streubomben. Mehr als jemals über einem anderen Land pro Kopf der Bevölkerung. Weil rund 80 Millionen Streubomben nicht explodiert sind, ist rund ein Drittel des Landes mit Blindgängern verseucht. Die fordern auch heute noch Opfer. Zuletzt Ende August: Da verletzte eine der tennisballgroßen Altlasten beim Explodieren fünf Kinder.
Obwohl es seit 20 Jahren auch von Ausland unterstützte Maßnahmen zur Räumung der Blindgänger gibt, erklärt Channapha Khamvongsa: "Manche Regionen werden wahrscheinlich nie geräumt werden können." Die Gründerin und Direktorin der Washingtoner NGO "Legacies of War" schätzt im DW-Gespräch den Anteil der bislang geräumten Fläche auf gerade mal ein Prozent. US-Präsident Barack Obama, der jetzt als erster US-Präsident das kleine Land in Südostasien besucht, hat in seiner Amtszeit die US-Unterstützung für die Altlasten-Räumung immerhin deutlich erhöht .
Nebenschauplatz des Vietnamkriegs
Eigentlich war Laos im Vietnamkrieg nur ein Nebenschauplatz. Das Land war offiziell neutral. Diese Neutralität sollte ein 1962 in Genf getroffenes Abkommen von 14 Nationen garantieren; überwachen sollten es die Vereinten Nationen. Aber Laos ist da längst zu einem Spielball größerer Mächte geworden. Besonders zwei Dinge werden Laos zum Verhängnis: seine lange Grenze zu Vietnam sowie die in Washington gepflegte "Domino-Theorie": Nach der würde – vereinfacht gesagt - ganz Südostasien kommunistisch, würde Laos in die Hand von Kommunisten fallen. Nun hatte auch Laos tatsächlich eine bewaffnete kommunistische Bewegung: Die Pathet Lao. Und das kommunistische Nordvietnam organisierte den Nachschub für den Vietcong in Südvietnam zum Teil über laotisches Gebiet – auf dem berühmten Ho-Chi-Minh-Pfad.
Deshalb wurde Laos zur Basis für eine der größten Operationen in der Geschichte des US-Geheimdienstes CIA. Dabei wurden Mitglieder verschiedener Bergstämme in Laos für eine geheime Armee rekrutiert, ausgebildet, mit Waffen ausgestattet und in den Guerilla-Kampf gegen Pathet Lao und Vietcong geschickt. Zentral bei dieser Operation war eine Stadt, die auf keiner Landkarte verzeichnet war: Long Cheng (manchmal auch Long Tieng).
Rund 130 Kilometer nördlich der Hauptstadt Vientiane im tropischen Bergland gelegen, entwickelte sich rund links und rechts einer 1, 3 Kilometer langen Startbahn eine geheime Siedlung von rund 40.000 Menschen - damals die zweitgrößte Stadt in Laos. Der amerikanische Publizist Roger Warner hat intensiv den geheimen Krieg in Laos erforscht. Mehr als 150 Interviews hat er geführt, Dokumente und Zeitzeugnisse gesichtet und 1995 in einem Buch zusammen gefasst. Der DW gegenüber beschrieb Warner Long Cheng als extrem geschäftigen Flughafen, auf dem von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nahezu pausenlos kleinere Propellermaschinen und Frachtflugzeuge abhoben und landeten.
Die meisten der ungefähr 400 Starts und Landungen pro Tag wurden von Air America durchgeführt, einer 100 prozentigen CIA-Firma. Mit den Flügen wurden Nahrungsmittel, Waffen und Instrukteure zu den befreundeten Bergstämmen gebracht, Aktivitäten von Vietcong und Pathet Lao ausspioniert und Ziele für die Bomber markiert. Als Hauptarchitekten der Operation benennt Warner einen CIA-Agenten namens James William Lair: "Lair hatte zuvor in Thailand eine Special Forces Truppe aufgebaut. Die brachte er Anfang der 1960er Jahre nach Laos. Die haben dann als Ausbilder, Berater und Agenten gearbeitet, haben die Funkgeräte bedient."
Vor allem: Lair baute den Kontakt zu Vang Pao auf. Als Hauptmann der laotischen Armee war er der höchste Offizier der Hmong-Nationalität - und ließ sich für die Idee einer eigenen Guerilla-Truppe gewinnen. Knapp 40.000 Mann war die überwiegend aus seinen eigenen Stammesangehörigen bestehende Truppe schließlich stark, die Vang Pao dann als General befehligte.
Hoher Blutzoll bei den Bergstämmen
Trotz guter Ausrüstung, trotz massiver Luftunterstützung: Die Truppe wird in dem erbitterten Krieg aufgerieben. Den höchsten Blutzoll zahlen die Hmong: "Über 10 Prozent der Hmong-Bevölkerung sind während des Krieges gefallen, viele weitere wurden verwundet und zu Invaliden", zieht der Hmong-Experte Kou Yang von der California State University in einer Email an die Deutsche Welle traurige Bilanz. "Haben sie für Amerika gekämpft? Nein! Der Krieg kam in ihre Dörfer und sie wurden gezwungen, sich für eine Seite zu entscheiden und zu kämpfen. Kannten Sie den Unterschied zwischen Kommunismus und Kapitalismus? Nein!" betont der in Laos geborene Yang.
Neben den Hmong wurden auch andere Bergstämme für den Kampf gegen Pathet Lao und Nortvietnamesen mobilisiert. Dazu wurden CIA-Agenten in entlegene Bergregionen entsandt – wo sie mitunter ein bizarres Eigenleben entwickelten. Thomas L. Ahern Jr. hat selbst über drei Jahrzehnte als CIA-Agent gearbeitet, auch in Indochina. 2009 wurde seine drei Jahre zuvor erstellte CIA-interne geschichtliche Studie veröffentlicht, unter dem Titel: "Undercover Armies – CIA and Surrogate Warfare in Laos".
In der heftig geschwärzten öffentlichen Ausgabe wird die Aussage eines jungen Agenten zitiert, es sei "ziemlich starker Tobak gewesen, in der Bergwelt von Laos auf sich allein gestellt zu sein: Als sein eigener Boss mit eigenem Kleinflugzeug; Frachtflugzeugen und Hubschraubern auf Abruf, um die gut tausend irregulären Kämpfer zu unterstützen, die in allem vollkommen von einem abhängig waren: Für Lebensmittel und Vorräte, für Ausbildung, Munition, Kommunikation und taktische Führung."
Vorbild für "Apocalypse Now"
Im Endeffekt bedeutet das: Die Agenten können Reis regnen lassen - oder auch Bomben. Mit schierer Allmacht ausgestattet, geraten manche außer Kontrolle. Eines der bekannteren Beispiele ist Anthony Poshepny. Der bullige Weltkriegsveteran war zunächst in Long Cheng stationiert. Dann wurde er zu Stämmen im Nordwesten von Laos versetzt. Das Wall Street Journal beschreibt bei seinem Tod 2003 in seinem Nachruf einen CIA-Agenten, der sich von der Zivilisation verabschiedet - eine Stammesprinzessin geheiratet hatte und abgeschnittene Ohren und Köpfe seiner Feinde sammelte.
Buchautor Roger Warner hat Tony Poe noch kennen gelernt und bestätigt: "Ja, er hat die Ohren seiner Feinde gesammelt. Er war ein extrem streitbarer Typ. Tony Poe war eine schillernde Figur, ein schwerer Alkoholiker, der großartige Geschichten erzählen konnte." 1970 wird es selbst dem CIA zu viel mit dem Mann, der sich zu einer Art Warlord im Dschungel entwickelt hat. Poshepny wird aus Laos abgezogen. Das Wall Street Journal zitiert in seinem Nachruf den ehemaligen CIA-Agenten Jim Scofield: Der berichtet, wie Poshepny "sturzbetrunken zu einem Treffen in der US-Botschaft in Vientiane erschien, mit einer Flinte in der einen und einer Machete in der anderen Hand." Viele sehen in Poshepny ein Vorbild für die Figur des Oberst Kurtz in Francis Ford Coppolas Vietnam-Drama "Apocalypse Now".
Angesichts dessen wundert es nicht, dass CIA-Historiker Ahern die Einführung zu seiner Geschichte des geheimen Krieges in Laos mit den Worten schließt: "Das Program wurde für nahezu alle CIA-Teilnehmer zum Abenteuer ihres beruflichen Lebens."
Für viele Laoten muss dieser Satz wie reiner Zynismus klingen.