Der nächste große Test für Angela Merkel
28. Oktober 2018Mit Spannung wird in dem Bundesland auf die ersten Zahlen gewartet. Bis zum Nachmittag zeichnete sich eine etwas niedrigere Wahlbeteiligung als vor fünf Jahren ab, damals fand der Urnengang aber auch parallel zur Bundestagswahl statt. Die Landeswahlleitung in Wiesbaden sprach von 38,8 Prozent bis um 14.00 Uhr. Das hätten Abfragen in den fünf kreisfreien Städten Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden, Offenbach und Kassel ergeben. 2013 hatte der Wert zu der Uhrzeit demnach bei 40,9 Prozent gelegen. Bei der Landtagswahl 2009 indes waren um 14.00 Uhr nur 29,7 Prozent und damit deutlich weniger als nun gezählt worden.
In Hessen gab es immer knappe Mehrheiten. Bis 1999 regierte dort fast durchgängig die SPD. Seitdem stellt dort die CDU den Ministerpräsidenten. Bei dieser Landtagswahl ist die Nervosität bei CDU und SPD allerdings groß.
Denn beide Volksparteien haben mittlerweile dramatisch an Unterstützung verloren, und es vergeht kaum eine Woche, in der Experten nicht darauf hinweisen, dass die große Koalition aktuell keine Mehrheit mehr in der Bevölkerung hätte. Gleichzeitig verfestigt sich der Konsens, dass sich die Ära der großen Volksparteien, die bei Wahlen einst vierzig Prozent der Stimmen und mehr erhielten, dem Ende zuneigt.
Gute Voraussetzungen für Merkels CDU in Hessen...
Die Wahl in Hessen ist eine Gelegenheit für Bundeskanzlerin Angela Merkel zu zeigen, dass ihre CDU und die Regierungskoalition nicht so krank sind, wie viele Experten diagnostizieren. Doch damit ihr das gelingt, braucht sie Ergebnisse - Ergebnisse, für die sie in Hessen eigentlich gute Voraussetzungen hat.
Hessen ist die Heimat der Finanzhauptstadt Frankfurt. Die CDU regiert das Bundesland - mit wechselnden Partnern - seit fast 20 Jahren. Seit 1970 holten die Konservativen bei jeder Wahl mehr als 36 Prozent der Stimmen. Und Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) ist bei den rund 4,4 Millionen wahlberechtigten Hessen nach wie vor recht beliebt.
...aber
Die Aussichten, dass die CDU an ihre bisherigen Ergebnisse wird anknüpfen können, sind allerdings sehr gering. Jüngste Meinungsumfragen sahen die CDU bei gerade einmal 26 Prozent der Stimmen.
Bei solchen Werten liegt für die Partei das einzig Positive darin, dass alles, was über die prognostizierten 26 Prozent hinausgeht, wie ein kleines, unerwartetes Comeback interpretiert werden würde. Durch eine hohe Wahlbeteiligung konnten die Konservativen bei der Wahl in Bayern vor zwei Wochen eine Katastrophe abwenden. Bouffier, der die Woche vor der Wahl damit verbracht hat, vor "linken Experimenten" zu warnen, hofft nun auf ähnliches.
Merkel jedenfalls ist darauf angewiesen, dass die hessische CDU stärkste Kraft wird. Das würde der Partei ein Mandat zur Regierungsbildung geben. Alles andere würde so ausgelegt werden, dass die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Merkel und ihrer Politik Bouffier mit heruntergezogen hätte. Der Druck auf Merkel, den CDU-Vorsitz abzugeben, würde zunehmen.
Nervöse SPD
Doch selbst wenn die CDU in Hessen ein besseres Ergebnis holt als erwartet, könnte die Wahl die Regierungskoalition in Berlin gefährden. Der sozialdemokratische Juniorpartner ist nervös, nachdem die SPD in Bayern weniger als zehn Prozent der Stimmen geholt hat. Das Ergebnis war eine demütigende Niederlage für Deutschlands älteste Partei, die in ihrer Blütezeit vierzig oder mehr Prozent der Stimmen gewohnt war. Das Ergebnis in Bayern veranlasste auch einige Sozialdemokraten, sich für ein Ende der großen Koalition mit der CDU/CSU einzusetzen.
Der Spitzenkandidat der SPD in Hessen, Thorsten Schäfer-Gümbel, hat im Wahlkampf jedoch immer wieder betont: "Bayern ist Bayern, und Hessen ist Hessen." Die Umfragen deuten darauf hin, dass er Recht haben könnte. Zuletzt kam die SPD in Hessen in Umfragen auf Werte zwischen 20 und 25 Prozent. Genug, um die Unzufriedenheit in den eigenen Reihen zu beruhigen, ohne dabei die Vormachtstellung der Konservativen infrage stellen zu können. Ein Ergebnis wie dieses würde Merkel sehr entgegenkommen.
Reicht es für die Grünen zum Rekordergebnis?
Die größte Gefahr für die SPD sind die Grünen, die nach ihrem Rekordergebnis in Bayern nun in Hessen auf 15 bis 22 Prozent der Stimmen hoffen. Ihr Spitzenkandidat Tarek al-Wazir rangiert auf der Beliebtheitsskala ganz oben und verkörpert den neuen Mainstream-Anspruch der Grünen. "Wir sind die einzige Partei, die sich vom Rechtspopulismus nicht hat verrückt machen lassen", sagte Al-Wazir Anfang der Woche.
Die Grünen sind sich fast sicher, dass sie in Hessen ihr bisher bestes Ergebnis erzielen werden. Der Kanzlerin dürfte das nichts ausmachen, denn ein starkes Abschneiden der Grünen würde es Bouffier leichter machen, seine aktuelle Koalition mit den Grünen weiterzuführen. Tatsächlich könnte Merkel - zum Leidwesen des rechten Flügels ihrer Partei - konservativ-grüne Bündnisse auf Bundesebene für die Zukunft anzustreben.
Gleichzeitig hofft sie, dass die Grünen nicht zu gut abschneiden, um ihre CDU nicht in den Schatten zu stellen oder die Möglichkeit einer Dreierkoalition aus Grünen, SPD und Linken zu eröffnen. Umfragen zufolge könnte ein solches linkes Bündnis möglich sein. Für Bouffier könnte das das Ende seiner Regierungszeit bedeuten - auch wenn die CDU die meisten Stimmen bekäme.
Die AfD lag zuletzt in den Umfragen bei 11 bis 14 Prozent. Ein gutes Abschneiden der AfD würde es den Konservativen schwieriger machen, eine stabile parlamentarische Mehrheit zu bilden. Und jede Instabilität in Hessen schadet dem Bemühen Merkels zu zeigen, dass das politische System in Deutschland noch immer reibungslos funktioniert.
Und die FDP? Dem traditionell bevorzugten Koalitionspartner der Konservativen wurde vor der Wahl ein Stimmenanteil von 6 bis 9 Prozent prognostiziert. Merkel, die im vergangenen Jahr auf Bundesebene versucht hatte, eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen zu bilden, würde den Freien Demokraten ein solides Abschneiden wohl gönnen - solange die FDP nicht zu sehr ins konservative Wählerlager eindringt. In Hessen jedenfalls wäre eine Jamaika-Koalition Umfragen zufolge auch eine mögliche Option für nach der Wahl.
Hessenwahl mit großen Auswirkungen
So oder so wird die Regierungsbildung mit voraussichtlich sechs in den Landtag einziehenden Parteien schwieriger werden als in der Vergangenheit. Wenn dieser Prozess von der CDU gesteuert und reibungslos über die Bühne gebracht werden kann, wäre das ein Sieg für Angela Merkel. Wenn jedoch die Unsicherheit regiert und die Konservativen aus der Regierung in Hessen ausscheiden sollten, wird das Merkels Machterhalt als Kanzlerin und Parteivorsitzende weiter schwächen. Die Landtagswahlen in Hessen könnten daher ganz erhebliche nationale und internationale Auswirkungen haben.