Die Slowakei nach dem Journalistenmord
3. März 2018Es ist trübe und eisig kalt an diesem Abend in Bratislava, die Luft voller Schneegriesel - ein Wetter, bei dem man am liebsten zuhause sitzen würde, eingewickelt in eine warme Decke, eine heiße Tasse Tee in der Hand. Doch an diesem Abend strömen trotz der Kälte tausende Menschen auf den Freiheitsplatz in die Innenstadt von Bratislava. Manche tragen Europafahnen, andere halten Plakate, auf denen Parolen stehen wie: "Mafia raus aus unserem Land!" oder "Stop Mafia!"
Wegen Mafia-Recherchen ermordet?
Etwa 25.000 Menschen haben sich laut Angaben der Veranstalter an diesem Freitagabend in der slowakischen Hauptstadt versammelt, um des ermordeten Journalisten Ján Kuciak und seiner ebenfalls ermordeten Verlobten Martina Kusnírová zu gedenken. Die beiden 27-Jährigen waren in der letzten Woche in ihrem Wohnhaus im Dorf Velká Maca, 60 Kilometer östlich der Hauptstadt Bratislava, von bisher unbekannten Tätern mit Schüssen regelrecht hingerichtet worden.
Das mutmaßliche Motiv: Kuciak hatte seit Monaten über Verbindungen zwischen slowakischen Regierungspolitikern und der italienischen Mafia in der Slowakei recherchiert. Seine Arbeit, so die vorläufigen Aussagen slowakischer Ermittler, habe ihn und seiner Verlobten vermutlich das Leben gekostet.
Staatspräsident Kiska gedenkt der Ermordeten
Unter den ersten, die an diesem Freitagabend auf eine kleine Bühne vor die Menge am Freiheitsplatz treten, ist niemand Geringeres als der slowakische Staatspräsident Andrej Kiska. Der ehemalige Unternehmer und Philantrop, der sein Gehalt jeden Monat für einen wohltätigen Zweck spendet, ist so etwas wie das gute Gewissen seiner Nation. Er hat sein Land mit mutigen Gesten und nachdrücklichen Reden schon oft aufgerüttelt. Der 55-Jährige mahnt die Regierenden immer wieder zu mehr Verantwortung, bezieht Stellung gegen Rassismus oder empfängt Flüchtlinge in seiner Residenz.
Doch jetzt hält Kiska keine aufrüttelnde Rede. Er sagt es nur in leisem Ton, dass er schweigend gedenken wolle. Der Staatspräsident stellt eine Kerze auf die Bühne, tritt einen Schritt vom Mikrofon zurück, senkt den Kopf, faltet die Hände und schweigt für eine lange Minute. Es ist sehr still auf dem Freiheitsplatz während dieser Minute und die Stille klagt mehr an als alle Worte, die auf dieser Kundgebung später noch fallen werden.
Die Slowakei im Ausnahmezustand
Kiska geht herunter zu den Demonstranten, stellt sich in die Menge und verfolgt die weiteren Reden. Es sind Journalisten, die nun sprechen, bekannte Namen in der Slowakei. Einer von ihnen ist Árpád Soltész, ein Veteran des investigativen Journalismus, der für seine Recherchen schon krankenhausreif geschlagen wurde. Auch Beata Balogová, Chefredakteurin von "Sme", einer der größten unabhängigen Tageszeitungen der Slowakei, ergreift das Wort.
Die Redner halten sich mit politischen Botschaften bewusst zurück, sprechen eher in allgemeinen Worten über die Rolle von Journalisten in einem demokratischen Rechtsstaat, über Korruption und über die furchtbaren Morde. Den meisten Applaus erhält Martin M. Simecka von der Tageszeitung "DenníkN", der die slowakische Regierung anprangert und bezweifelt, dass sie die Untersuchung der Mordfälle ernst nimmt.
Die Slowakei ist in diesen Tagen in einer Art Ausnahmezustand. Der Mord an Ján Kuciak und seiner Verlobten könnte sich zu einer Staatskrise auswachsen, wie es sie seit der Unabhängigkeit des Landes vor 25 Jahren noch nicht gegeben hat. Denn Kucias Recherche macht deutlich, dass die italienische Mafia offenbar seit Jahren unbehelligt hochkriminelle Geschäfte in der Slowakei betrieb. Noch mehr: Sie hatte, so legen es die Recherchen nahe, über zwei wichtige Berater von Regierungschef Robert Fico offenbar beste Verbindungen in die Staatsführung - Zugang zu geheimen Dokumenten inklusive.
Kaum Konsequenzen auf Regierungsebene
Bereits zuvor haben Berichte über Korruptionsaffären den slowakischen Regierungschef, seinen Innenminister Robert Kalinák und andere Regierungspolitiker belastet. Die Reaktion des Ministerpräsidenten bislang: Er beschuldigte seinerseits die Journalisten, nannte sie "Dschihadisten, "Hyänen", "Idioten" und "Arschlöcher", auch "antislowakische Prostituierte" oder "Toilettenspinnen".
Dass aber die Ermordung eines Journalisten bisher kaum Konsequenzen auf Regierungsebene hat, entsetzt viele Kollegen von Ján Kuciak. Zwar trat Kulturminister Marek Madaric, der Filz und Korruption schon seit längerem anprangerte, zurück. Auch die beiden Fico-Berater mit den mutmaßlichen Mafia-Verbindungen, das Ex-Model Maria Trosková und der Sicherheitsberater Viliam Jasan, lassen ihre Ämter einstweilen ruhen. Doch ansonsten macht Regierungschef Fico weiter wie bisher: Er verspricht Aufklärung - und beschuldigt Opposition wie unabhängige Medien, den Mord an Kuciak für "regierungsfeindliche Zwecke" zu nutzen.
Fassungslosigkeit unter Journalisten
"In jedem normalen Land würde in einem Fall wie dem Mord an Kuciak und seiner Verlobten der Innen- oder Justizminister zurücktreten, mindestens aus moralischen Gründen, aber hier empfindet niemand eine moralische Verantwortung", sagt Peter Habara, 28, ein Kollege von Kuciak. Die beiden haben beim Portal "aktuality.sk" zusammen über Korruptionsaffären in der Slowakei recherchiert. Der Mord an Kuciak und dessen Verlobter mache ihn fassungslos, sagt Habara. Er glaube nicht, dass die Mörder jemals gefunden würden, aber er hoffe, dass die Tragödie zumindest dazu führe, dass "dieses Land aufwacht und realisiert, was für ungeheuerliche Korruptionsskandale hier passieren".
Ähnlich sehen es auch Beata Balogová und Matús Kostolný, die Chefredakteure der Tageszeitungen "Sme" und "DenníkN". Beide Blätter haben sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht mit Recherchen über Korruptionsfälle auf höchster Regierungsbene. "Wir dachten, die Slowakei ist ein normales, mitteleuropäisches Land", sagt Kostolný. "Wir lasen über ermordete Journalisten in Russland, der Ukraine und hatten das Gefühl, das ist weit weg von uns. Jetzt aber geschieht so etwas hier in unserem Land. Wir sind damit an einem Wendepunkt angekommen." Auch Balogová spricht von einem "Scheideweg", an dem die Slowakei sich befinde. "Jetzt geht es darum, welchen Weg unser Land und unsere Gesellschaft einschlägt - um die Frage, ob wir ein Mafia-Staat sind oder nicht," sagt die Journalistin.