Lam dementiert Rücktrittsabsichten
3. September 2019Die Regierung Hongkongs gerät durch die nicht abreißenden Massenproteste immer mehr unter Druck. Sowohl die heimische Demokratiebewegung als auch die zentrale Führung in China bringen Regierungschefin Carrie Lam vermehrt in Bedrängnis. Lam sah sich genötigt, in einer eigens einberufenen Pressekonferenz Rücktrittsabsichten zu dementieren. Auslöser war ein Bericht der Nachrichtenagentur Reuters, wonach die Politikerin zuletzt selbst geäußert hatte, sie würde ihr Amt aufgeben, wenn ihr dies möglich wäre.
"Ich habe in den vergangenen drei Monaten wiederholt gesagt, dass ich und mein Team bleiben sollten, um Hongkong zu helfen", sagte Lam nun. Sie habe es "nicht einmal in Erwägung gezogen", mit der chinesischen Regierung über einen Rücktritt zu diskutieren. "Der Konflikt, dass ich zurücktreten möchte, aber nicht kann, existiert nicht."
Sie habe immer gesagt, gerade nicht den einfachen Weg gehen und ihren Posten aufgeben zu wollen. "Ich glaube, dass mein Team unter meiner Führung Hongkong aus diesem Dilemma heraushelfen kann. Ich habe weiter das dazu nötige Vertrauen."
In dem im Fernsehen übertragenen Auftritt vor Journalisten zeigte sich Lam enttäuscht, dass frühere Bemerkungen von ihr an die Öffentlichkeit durchgestochen worden seien. Sie habe im Rahmen eines privaten Treffens lediglich Einblick in ihre Gefühlswelt gegeben.
Nach Reuters-Informationen handelte es sich um eine Zusammenkunft mit führenden Wirtschaftsvertretern, von der der Nachrichtenagentur ein Tonaufnahme vorliegt. Demzufolge sagte Lam vergangene Woche, dass ihre Möglichkeiten, die politische Krise in Hongkong zu lösen, "sehr, sehr begrenzt" seien, da sie "zwei Herren" dienen müsse. Zugleich deutete die Regierungschefin an, dass die Lage in der Sonderverwaltungszone inzwischen Sache der chinesischen Zentralregierung sei. Die Angelegenheit sei auf eine "nationale Ebene" gehoben worden, sagte sie.
In Hongkong sind seit Mitte Juni Hunderttausende von Menschen auf die Straßen gegangen, um gegen die heimische Regierung und einen wachsenden Einfluss Chinas auf die ehemalige britische Kronkolonie zu protestieren. Stein des Anstoßes waren Pläne für ein umstrittenes Auslieferungsgesetz, das mittlerweile auf Eis gelegt, aber nicht zurückgenommen wurde.
"Wenn ich eine Wahl hätte..."
"Wenn ich eine Wahl hätte, wäre es das Erste zurückzutreten, sich aufrichtig zu entschuldigen", sagte Lam in der Tonaufnahme auf Englisch. Für einen Regierungschef sei es "unverzeihlich, dieses große Chaos in Hongkong verursacht zu haben."
Lams Pressekonferenz wurde auch in chinesischen Staatsmedien übertragen. Der Reuters-Bericht hingegen wurde auf chinesischen Onlineplattformen offenkundig zensiert.
Chinas Zentralregierung sprach Lam das Vertrauen aus und sicherte ihr Unterstützung bei der "Wiederherstellung von Recht und Ordnung" in der chinesischen Sonderverwaltungszone zu. Chinas Zentralregierung habe damit auf Berichte über einen möglichen Rücktritt der Politikerin reagiert, wie das staatliche chinesische Nachrichtenportal "Global Times" meldete.
Der Sprecher des Amtes für Angelegenheiten von Hongkong und Macao des chinesischen Staatsrates, Yang Guang, erklärte demnach, China unterstütze "Lam und ihr Team" bei Gesprächen mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen - "einschließlich der jungen Leute" Hongkongs.
Nach Angaben von "Global Times" bekräftigte Yang Guang das Nein Pekings zur Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Hongkong: "Oppositionsgruppen wollen ein Wahlverfahren, das die Wahl eines Chief Executive von Hongkong ermöglicht, der der Zentralregierung gegenüber in keiner Weise rechenschaftspflichtig ist." Das Wahlsystem müsse jedoch von Chinas höchster Legislative gebilligt werden. Der Chief Executive (Regierungschef) der Sonderverwaltungszone Hongkong wird von einem 1200 Mitglieder starken Gremium gewählt, dessen Zusammensetzung von China maßgeblich bestimmt wird.
Studenten und Schüler setzten ihre Proteste am Dienstag fort und boykottierten den zweiten Tag in Folge den Unterricht. Am Wochenende war es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen, die zu den bislang schwersten in dem Konflikt gehörten.
Seit Beginn der Proteste vor mehr als drei Monaten gab es mehr als 1100 Festnahmen. Darunter ist auch der prominente Bürgerrechtler Joshua Wong, der vor fünf Jahren zu den Anführern der sogenannten "Regenschirm"-Protestbewegung gehörte.
Lam hat sich offen für einen Dialog mit der Protestbewegung gezeigt. Auf deren Forderungen ist sie bislang aber nicht eingegangen. Dazu gehören neben der Rücknahme des Auslieferungsgesetzes auch die Freilassung festgenommener Demonstranten und eine unabhängige Untersuchung des Vorgehens der Polizei. Die Führung in Peking verurteilt die Proteste und wirft ausländischen Regierungen vor, die Unruhen zu schüren.
stu/qu (rtr, afp, kann)