Labour rückt scharf nach links
22. November 2019"New Labour" war einst der Abgesang auf die sozialistischen Ideale: Mitte der 1990er Jahre wandelte sich die von Gewerkschaftsorganisationen beherrschte britische Labour Party zu einer Partei, die eine "soziale Demokratie" anstrebt und sich nach ihren Wahlsiegen in vielen Feldern der Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht offen gegen den Kurs der konservativen Vorgängerregierungen stellte. Nun vollzieht sich, wie es scheint, die erneute Kehrtwende.
Drei Wochen vor der britischen Parlamentswahl hat Labour-Chef Jeremy Corbyn das Wahlprogramm der größten Oppositionspartei vorgestellt. Er wolle Großbritannien mit gewaltigen finanziellen Anstrengungen umfassend umbauen, sagte er in Birmingham. Die Löhne im öffentlichen Dienst sollen steigen und Infrastruktur verstaatlicht werden. Corbyn sprach von einem "Wahlprogramm der Hoffnung". Es sei der "radikalste und ambitionierteste Plan seit Jahrzehnten". Nach neun Jahren Sparpolitik unter den konservativen Tories sei es "Zeit für einen echten Wandel".
Zu den von Labour geplanten Maßnahmen gehören die Verstaatlichung von Teilen des Telekom-Riesen BT sowie von Schienenverkehr, Wasserversorgung und Post. Zudem sollen Milliardensummen in Gesundheit, Bildung und Verkehr fließen. Die Einführung einer 32-Stunden-Woche wird ebenso versprochen wie die Deckelung der Mieten. Angestellte des öffentlichen Dienstes sollen fünf Prozent mehr Lohn bekommen und die Studiengebühren an Universitäten abgeschafft werden.
Auch die Konservativen öffnen das Füllhorn
Die Partei will zudem dafür sorgen, dass Arbeitnehmer stärker in Verwaltungsräten von Unternehmen vertreten sind und sich die Lohnschere etwas schließt. Jährlich sollen 150.000 Sozialwohnungen gebaut werden. Die Wahlversprechen der britischen Arbeitspartei sind umgerechnet rund 100 Milliarden Euro schwer. Corbyn erklärte sein Programm für "komplett durchkalkuliert" und umsetzbar. Finanziert werden soll es durch mehr staatliche Schulden und höhere Steuern für Unternehmen und Superreiche.
Die regierenden konservativen Tories unter Premierminister Boris Johnson sehen Corbyn und seine Labour Party prompt in einem "Ausgabenrausch", der die britische Wirtschaft wie ein "Vorschlaghammer" treffen werde. Allerdings haben die Tories ebenfalls teure Wahlgeschenke in petto. Johnson hatte bereits angekündigt, dass die Einkommensteuer sinken und innerhalb von fünf Jahren mindestens eine Million Wohnungen gebaut werden sollen. Und auch die Tories versprechen hohe Investitionen in öffentliche Dienstleistungen und Infrastruktur. Ihr Wahlprogramm soll am Wochenende präsentiert werden.
Zumindest beim Brexit sind die Fronten klar
Beim Kernthema Brexit sind die Frontlinien bekannt: Labour verspricht einen neuen Austrittsvertrag mit Brüssel binnen sechs Monaten sowie ein zweites Referendum, bei dem die Bürger auch noch einmal über die Mitgliedschaft des Landes in der EU abstimmen können. "Die Briten haben das letzte Wort", betonte Corbyn. "Unsere Regierung wird umsetzen, was das Ergebnis dieser Abstimmung ist."
Johnson will den Brexit bis zum 31. Januar "liefern".
rb/gri (afp, ap, rtr)