Britische Parteien: Wer will was von der EU?
11. November 2019BREXIT
Gerade dachten wir noch, alles wäre vorbei. Aber es gibt offensichtlich keinen Weg, bei der Neuwahl im Dezember um den leidigen Brrrr... exit herumzukommen.
Tories - die Konservativen
"Get Brexit done": Premierminister Boris Johnson ist entschlossen, den Brexit zu erledigen. Obgleich er sein Versprechen nicht eingehalten hat, die EU am 31. Oktober zu verlassen. Er hofft, frustrierte EU-Hasser auf seine Seite zu ziehen und wird die Wahl als Weg ausmalen, Großbritanniens Austritt sicherzustellen. Danach kann das Land sich um wichtigere und bisher vernachlässigte Themen kümmern, wie Bildung, die Ausgaben für das nationale Gesundheitssystem und eine Stärkung der Wirtschaft - wenn denn die Unwägbarkeiten rund um den Brexit vorbei sind.
Das Ziel der Konservativen, ein Freihandelsabkommen mit der EU innerhalb eines Jahres nach Verlassen des Staatenbundes hinzubekommen, gilt als reines Wunschdenken. Das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, das viele Brexiteers als Blaupause für das Vereinigte Königreich sehen, hat sieben Jahre bis zum Abschluss gebraucht. Und jeder Vertrag bräuchte die Zustimmung aller 27 EU-Staaten, bevor er in Kraft treten kann.
Labour - die Sozialdemokraten
Großbritanniens wichtigster Oppositionskraft wird vorgeworfen, in Sachen Brexit zu schwanken. Das Versprechen der Arbeiterpartei, innerhalb von sechs Monaten nach einem Wahlsieg "den Brexit zu ordnen", erklären die Konservativen zur "Märchenpolitik". Labour-Chef Jeremy Corbyn will ein besseres Abkommen mit der EU aushandeln und dann die Briten in einem zweiten Referendum entscheiden lassen, ob sie diesen Deal unterstützen oder in der Union bleiben wollen - so versucht Corbyn, Brexit-Gegner und-Befürworter in den eigenen Reihen zu versöhnen.
Liberal Democrats - die Liberalen
Die Liberalen geben sich den Anstrich der Europa-Puristen mit der ebenso klaren wie schlichten Aussage: Wir machen den Brexit rückgängig. Laut Parteichefin Jo Swinson findet die Botschaft, dass Großbritannien innerhalb der EU stärker ist, bei den Brexit-Gegnern großen Anklang. Sie sähen die Lib Dems als die einzige Partei mit einer klaren Politik für den Verbleib in der EU. Obgleich sie in den Umfragen derzeit bei 19 Prozent der Wählerstimmen dümpelt, gibt es Hinweise, dass Labour-Wähler zu den Liberalen wechseln könnten, weil sie die Nase voll haben von Corbyns Hin und Her beim Brexit.
VERTEIDIGUNG UND SICHERHEITSPOLITIK
Tories
Johnson hat keine Gelegenheit ausgelassen, seine Vision eines "Globalen Großbritanniens" jenseits der EU auszumalen - von Investitionen in Weltraummissionen über verstärkten Schiffsbau bis zur Modernisierung der britischen Marine. Allerdings wird Großbritanniens weltpolitischer Einfluss vermutlich abnehmen, nicht zuletzt, weil das Land die EU zu einem Zeitpunkt verlässt, an dem die traditionell besonderen Beziehungen zu den USA nachhaltig erschüttert sind.
In der Vergangenheit hatte Johnson verkündet, er wolle Verteidigungsverpflichtungen überdenken und strebe eine lockerere Zusammenarbeit mit Europa an. Das Vereinigte Königreich ist zweifellos die stärkste Streitmacht der EU und - neben Frankreich - der einzige Mitgliedsstaat, der sich mit der gesamten Bandbreite militärischer Möglichkeiten brüsten kann. Einzelheiten der Nach-Brexit-Beziehungen sind unklar, aber eine Quelle aus Regierungskreisen wird mit dem Satz zitiert: "Die zukünftigen Beziehungen sollten eine Sicherheitspartnerschaft beinhalten, die Großbritannien und die EU in die Lage versetzt, gemeinsam gegen Gefahren zu kämpfen, denen unsere Bürger im In- und Ausland ausgesetzt sind."
Labour
Labour bläst zum Angriff gegen die Tories und hebt hervor, dass die Zahl der Beschäftigten in der Armee seit 2010 stark und anhaltend gesunken ist. Das Wahlprogramm wird vermutlich das Versprechen von 2017 wiederholen, das Trident-Atomwaffenprogramm als nukleares Abschreckungsmittel weiterzuführen und die britische NATO-Mitgliedschaft zu erhalten. Allerdings gibt es sowohl in Großbritannien als auch in der EU die Sorge, dass Corbyn und andere Linke von dieser Verpflichtung abstandnehmen könnten, falls sie die Wahl gewinnen.
Lib Dems
Die Liberalen werden sich auf die Kontrolle von Waffenexporten konzentrieren, den Wert von Multilateralismus betonen und ihr Bekenntnis zur NATO und den Vereinten Nationen bekräftigen. Ihr außenpolitischer Sprecher Chuka Umunna schließt nicht aus, der Eurozone beizutreten, falls Großbritannien in der EU bliebe. Seine Vision umfasst eine EU, deren "ökonomischer Kern" sich um Deutschland dreht und deren "Verteidigungs- und Sicherheitskern" die Briten führen.
MIGRATION
Tories
Die Einwanderung war Dreh- und Angelpunkt der Brexit-Kampagne vor dem Referendum. Den Konservativen dient das Thema als Munition, um zu demonstrieren, dass sie die Kontrolle darüber "wiedererlangen", wer ins Vereinigte Königreich einreisen darf.
Dafür würden sie gerne eine Punktesystem für Fachkräfte nach australischem Muster einführen. Das Konzept bleibt allerdings schwammig. Die Tories haben eine Debatte über eine Deckelung der Facharbeiter-Zuwanderung und Ziele der Nettomigration abgewürgt. Offenbar wollen sie genaue Zahlen lieber vermeiden - die könnten ihr Versprechen, die Einwanderungszahlen zu senken, als hohl entlarven.
Labour
Labour will das Gegenteil: Die Migration weniger kontrollieren. Beim Parteitag stimmten die Delegierten dafür, "das Recht auf Freizügigkeit zu erhalten und auszubauen". Ein System, das auf dem Einkommen der Einwanderer und deren Nutzen für die Wirtschaft fußt, lehnen sie ab. Der Beschluss definiert nicht, wie weit die Freizügigkeit gehen soll - ob sie beispielsweise auch Nicht-EU-Bürger einschließt. So oder so: Labour wird das Thema emotional aufheizen und die Konservativen wegen ihres mutmaßlich mangelnden Mitgefühls für Migranten angreifen.
Lib Dems
Auch die Liberaldemokraten werden sich auf die augenscheinliche Geringschätzung der Konservativen für das schwere Schicksal von Migranten und Flüchtlingen stürzen. Das liberale Versprechen heißt: Asylsuchende dürfen arbeiten, solange ihr Antrag läuft, und die Einkommensgrenze für den Familiennachzug soll gesenkt werden.