Künstliche Intelligenz: Frankreich greift nach den Sternen
Veröffentlicht 24. Mai 2024Zuletzt aktualisiert 25. Mai 2024In den vergangenen Monaten stand Frankreich in Sachen Künstlicher Intelligenz (KI) unter einem guten Stern. Der US-Software-Riese Microsoft kündigte im Zuge eines Investorengipfels Mitte Mai bei Paris zusätzliche Investitionen von vier Milliarden Euro bis 2027 in Datenzentren und KI an.
"Durch das [neue] Datenzentrum, welches eines der größten Europas sein wird, werden wir ganz vorne mit dabei sein in Sachen Datenspeicherung und KI", sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Im Sommer 2023 hatte er einen staatlichen KI-Plan angestoßen: 500 Millionen Euro sollen bis 2030 in die Entstehung von KI-Forschungsclustern fließen. Vergangenen Dezember wurde außerdem das Pariser Startup Mistral AI durch eine Kapitalerhöhung zum Einhorn - also einem Unternehmen, das mehr als eine Milliarde Dollar wert ist. Mistral AI gilt als Konkurrent von OpenAI, dem Entwickler des Chatbots ChatGPT. Dennoch hätten Frankreich und Europa noch viel aufzuholen in Sachen KI, so Experten.
"Frankreichs Regierung hat einen Schalter umgelegt und entschieden, das Land solle einer der Hauptakteure in Sachen KI werden - anders als Deutschland", sagt Noah Greene gegenüber der DW. Er ist Forschungsassistent im Projektteam zum Thema KI-Sicherheit der Denkschmiede Zentrum für Neue Amerikanische Sicherheit in der US-Hauptstadt Washington. "Doch bisher liegen auf Platz eins die USA, dann kommen China, mit einigem Abstand Großbritannien und schließlich Frankreich und Deutschland als Nummer eins und zwei in der Europäischen Union", erklärt Greene, für den dieser Rückstand nicht nur technologische Gründe hat.
"Die USA ist schon so lange Marktführer, dass viele Investoren lieber hier ihr Geld investieren, weil sie wissen, hier gibt es das nötige Talent und die Infrastruktur", sagt er. "Frankreich hingegen ist für seine restriktive Arbeitsmarktgesetzgebung bekannt, mit der Technologie-Riesen wie Google in der Vergangenheit gerungen haben."
Europa braucht mehr Supercomputer
Doch für Véronique Ventos, Mitgründerin des Pariser Startups NukkAI, war immer klar, dass ihr Unternehmen seinen Sitz in Frankreich haben würde. "Hier gibt es hervorragende Forscher und zahlreiche staatliche Förderprogramme", sagt Ventos, die früher an der Universität Paris-Saclay zu KI geforscht hat, gegenüber DW. Das 2018 gegründete Startup NukkAI, das inzwischen ein Team von 25 Leuten hat, sorgte 2022 für Furore, als seine KI die Weltmeister des Kartenspiels Bridge in einem eigens dafür organisierten Turnier schlug.
"Unsere KI ist anders als andere, denn Menschen sind ein fester Bestandteil des Systems - sie können Prozesse mitverfolgen und bekommen genaue Erklärungen von der KI für dessen Empfehlungen", sagt die KI-Spezialistin. "Außerdem benutzen wir viel weniger Daten, was Energie spart." Rund ein Dutzend Kunden nutzen inzwischen NukkAIs Technologie für logistische Planung, unter anderem die französische Unternehmensgruppe Thales und das Verteidigungsbündnis NATO. Dabei arbeitet NukkAI eng mit französischen Universitäten zusammen, die dem Unternehmen Zugang zu Frankreichs Supercomputer Jean Zay in Saclay geben. Der hat eine Rechen-Schnelligkeit von 36,85 sogenannten Petaflops pro Sekunde und ist somit unter den leistungsfähigsten in Europa. Ein Petaflop entspricht 1000 Billionen (eine Billiarde) Rechenoperationen pro Sekunde.
Frankreich und Europa bräuchten künftig mehr und bessere solcher Supercomputer, meint Christine Dugoin, Privatdozentin und Forscherin an der KI-Beobachtungsstelle der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne. "Nur so werden wir im KI-Bereich mithalten können", sagt sie zu DW. Zusätzliche Mega-Rechner sind auch vorgesehen: Dieses und nächstes Jahr installiert man im nordrhein-westfälischen Jülich beziehungsweise im Essonne-Département bei Paris Europas erste zwei Supercomputer, die jeweils eine Schnelligkeit von mehr als einem Exaflop haben, also einer Trilliarde an Rechenoperationen pro Sekunde.
"Trotzdem sind die Amerikaner uns noch immer voraus und werden wohl gerade von den Chinesen überholt, die behaupten, ihr neuer Supercomputer Tianhe 3 hätte eine Spitzen-Kapazität von mehr als zwei Exaflops, was ihn zum leistungsstärksten der Welt machen würde", sagt sie. Eine europäische Zusammenarbeit sei nicht nur angesichts dieser Konkurrenz wichtig. "Seit Russland 2022 in der Ukraine eingefallen ist, fährt Moskau eine Desinformations-Kampagne gegen Europa, die auf KI basiert - dagegen können wir uns nur gemeinsam wehren", fordert Dugoin.
Experten fordern mehr staatliche Investitionen
Europas demokratische Werte zu verteidigen ist das Ziel des europäischen Einhorns Helsing. Das Rüstungsunternehmen mit Sitz in Frankreich, Deutschland und Großbritannien wurde zwar 2021 gegründet, aber der Ukraine-Krieg habe bestätigt, dass die Gründer die richtige Intuition hatten, sagt Antoine Bordes, Helsings Vizepräsident KI, zu DW. "Europa und westliche Demokratien stehen einem existenziellen Risiko gegenüber. Wir müssen eine gemeinsame technologische und verteidigungstechnische Souveränität aufbauen - KI wird dabei ausschlaggebend sein", findet er.
Helsings KI bearbeitet beispielsweise Satelliten- oder auch Radardaten in Kampfgebieten in Echtzeit, so dass sie Armeen an Land, in der Luft oder auf dem Wasser zur Verfügung stehen, unter anderem in der Ukraine. "Das grenzübergreifende Team ist dabei komplementär: Deutschland hat eine starke Industriekultur, während Frankreich sich durch viel Innovation hervortut", meint Bordes. Aber damit Europa eine Chance habe, auf Augenhöhe mit den USA und China zu sein, müsse mehr passieren. "Wir brauchen einen europaweiten KI-Investitions-Plan, auch was die Rechenkapazitäten angeht", fordert er.
Dass mehr staatliche Investitionen vonnöten sind, denkt auch Philippe Aghion. Er ist Professor für Ökonomie an den Pariser Universitäten INSEAD, Collège de France und der London School of Economics und Mit-Autor eines von der französischen Regierung in Auftrag gegebenen KI-Berichts. "Dieser Sektor könnte über die nächsten zehn Jahre 0,8 Prozent zusätzliches jährliches Wirtschaftswachstum generieren", sagt er zu DW. "Aber dafür braucht Frankreich eine Industriepolitik und muss mindestens 25 Milliarden Euro investieren."
Wird Europa einen Teil des KI-Kuchens abbekommen?
Auch Forscher Greene glaubt an das Potenzial der KI. Aber er ist sich nicht sicher, ob Europa in hohem Ausmaß davon profitieren wird. "Die USA haben eine laissez-faire-Politik und stellen so wenige Hürden wie möglich auf, damit sich ein konkurrenzfähiger Sektor bilden kann. Die EU hingegen will ein Champion der KI-Regulierung werden, um die Grundrechte zu wahren", erklärt er.
Vor wenigen Tagen (am 21. Mai) haben die EU-Länder das sogenannte KI-Gesetz endgültig beschlossen, welches unter anderem die Entwicklung gewisser, als gefährlich eingestufte Anwendungen, verbietet. "Aber nur wenn man eigene Produkte hat, kann man doch entscheiden, wie diese in autokratischen Systemen benutzt werden dürfen", sagt Greene.
Doch für NukkAIs Ventos ist vor allem ein Faktor der Schlüssel zum Erfolg des französischen - und europäischen - KI-Sektors. "Anstatt zu versuchen, mit Großen wie Google mitzuhalten, die in Sachen Datenspeicherung in einer ganz anderen Liga spielen, sollten wir uns auf unsere eigenen Stärken besinnen - wie in Frankreich auf KI kombiniert mit Robotik", sagt sie.