Kühler Stilist: Thomas Arslan
26. Mai 2011Einen Thomas Arslan-Film erkennt man immer sofort. Das will was heißen! Wer sich mit nur ein paar Filmen einen unverwechselbaren Stil zugelegt hat, der sticht schon heraus aus dem Heer der Filmregisseure in Deutschland. Einem Heer, das jedes Jahr mit dutzenden Absolventen der vielen Filmhochschulen in Deutschland immer mehr anschwillt, unübersichtlich wird und bei dem ehemals hoffnungsvolle Debütanten und Talente schnell wieder verschwinden. Es muss also etwas Besonderes sein an den Filmen des 1962 in Braunschweig geborenen Thomas Arslan, der schon lange in Berlin lebt und - im Kontext der jüngeren deutschen Kinohistorie - zur "Berliner Schule" gezählt wird.
Anerkannt in der "Filmnation" Frankreich
Auch wenn einige dieser Regisseurinnen und Regisseure dieses von der Filmpublizistik angeklebte Etikett schon nicht mehr sehen können, weil sie sich dagegen verwehren in mögliche Schubladen gesteckt zu werden - als Umschreibung eines ganz bestimmten Stils taugt es ganz gut. Und sogar im Ausland ist man damit in den vergangenen Jahren bekannt geworden, vor allem in Frankreich schätzt man die Regisseure der "Berliner Schule" ungemein, lädt sie zu Festivals ein und spricht von einer "Nouvelle Vague allemande".
Die "Berliner Schule" - was ist das nun? Am besten kann man sich den Filmen von Christian Petzold und Thomas Arslan, von Angela Schanelec, Christoph Hochhäusler und anderen mit dem Begriff der "Entschlackung" nähern. Aus einer tief empfundenen Abneigung gegen konventionell erzählte Geschichten und an Fernsehplots angelehnte Drehbücher sind viele dieser Filme entstanden. Man will keine hervorsehbaren Storys zeigen mit immer neuen Höhepunkten und dramaturgischen Wendepunkten aus dem Lehrbuch.
Ruhige Beobachtung
In vielen Werken der Berliner Schule wird auch auf den klassischen Einsatz von Musik zur Dramatisierung der Stoffe verzichtet. Die Schauspieler agieren meist sehr zurückhaltend, ohne großes Mienenspiel, auf allzu große Psychologisierung der Figuren wird verzichtet. Am auffälligsten: Die Kamera verharrt fast immer in einem beobachtenden Zustand, die Protagonisten werden bei ihren Handlungen und Tätigkeiten in langen, ruhigen und oft starren Einstellungen minutenlang "verfolgt". Auf den Streifzügen durch Berlin, wo die Filme oft spielen, werden nicht die klassischen Sehenswürdigkeiten und bekannten Orte abgebildet, sondern unbekannte Parks und Grünflächen, "normale" Straßenzüge und Plätze, Wohnungen und Hinterhöfe.
Auch Thomas Arslans Filme zeichnen sich durch einen genauen, ruhigen Blick aus. In seinem Kinodebüt "Geschwister" aus dem Jahre 1996 beobachtet er drei Geschwister einer deutsch-türkischen Familie in Berlin. Arslan, Sohn eines türkischen Vaters und einer deutschen Mutter, aufgewachsen in beiden Ländern, kennt sich aus im "Milieu", das merkt man seinen Filmen an. Die Dialoge wirken gerade in ihrer nicht selten enervierenden Banalität authentisch. Alle drei Geschwister haben im Film unterschiedliche Vorstellungen von ihrer Zukunft, auch bewerten sie ihre deutsch-türkische Herkunft völlig verschieden.
Berliner Geschichten
In dem im Jahr 2000 entstandenen Film "Ein schöner Tag" beobachtet Thomas Arslan den Alltag einer jungen deutsch-türkischen Frau in Berlin. Diniz arbeitet als Synchronsprecherin und hat sich gerade von ihrem deutschen Freund getrennt. Sie streift durch die Stadt, trifft sich mit einer Freundin, lernt einen anderen jungen Mann kennen. Gänzlich unspektakulär sind die Geschichten, die Arslan hier vorführt, und doch entwickeln sie eine große erzählerische Kraft, üben eine geradezu soghafte Wirkung auf den Zuschauer aus.
Auch Arslans jüngster Film "Im Schatten" (2010) ist ein klassischer Vertreter der "Berliner Schule" - auch wenn es sich hier um einen Genrefilm, ein Kriminalstück handelt. Hier ist es der Kleinkriminelle Trojan, der gerade eine Gefängnisstrafe abgesessen hat und sich nach neuen Jobs im Milieu umschaut. "Im Schatten" erinnert in seiner kühlen Präsenz, seinen langen und oft ohne Dialoge auskommenden Sequenzen vor allem an große französische Kriminalfilme, an Alain Delon und Jean-Pierre Melville - ohne das man das Gefühl hat, hier huldige nur jemand einem großen Kinovorbild.
Fesselnd ohne dramaturgische Mätzchen
Thomas Arslan hat seinen ganz eigenen Stil. Er ist ein stiller Ethnograf des Alltags. Wobei es nicht entscheidend ist, ob die Söhne und Töchter einer deutsch-türkischen Familie, eine junge Frau in Berlin oder ein desillusionierter Kleinkrimineller im Mittelpunkt seiner Filme stehen. Entscheidend ist vor allem die Haltung - die seiner Protagonisten und auch die ihres Regisseurs. Mit einem alles Spektakuläre vermeidenden Regiestil, mit dem Verzicht auf aufwallende Musikakzente und dramaturgische Mätzchen, gelingt es Arslan die Zuschauer in Bann zu ziehen.
An manchen Stellen hat man fast den Eindruck, Arslan nähere sich mit seinen sorgfältig ausgesuchten Schauplätzen, den kargen Hinterzimmern und -höfen, den unscheinbaren Straßenzügen und Grünflächen in Berlin dem Gestus des Dokumentarfilms. Doch die Filme dieses Regisseurs sind genau durchkomponierte fiktive Streifzüge durch das 21. Jahrhundert. Manchmal erreicht Arslan gerade durch seine Zurückgenommenheit, den extrem "entschlackten" Stil, eine große künstlerische Präsenz und Kraft. Thomas Arslan ist im besten Sinne des Begriffs ein deutscher "Autorenfilmer".
Die drei oben beschriebenen Filme sind gerade beim DVD-Anbieter "Filmgalerie 451" erschienen. Das Berliner Arsenal-Kino präsentiert vom 27. bis zum 31. Mai mehrere Filme des Regisseurs, der die Veranstaltungen auch begleitet.
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Silke Wünsch