Silvester: Nebelschwaden bleiben
18. März 2016Weißer Dunst schiebt sich an diesem Freitag zwischen den Hauptbahnhof und den Dom in Köln. In dicken Mänteln hasten die Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz in Richtung Wochenende. Die Erinnerung an den Mob junger Männer, der hier in der Silvesternacht Frauen belästigte, begrabschte, bestahl: sie scheint langsam zu verblassen. Deutlich weniger Polizisten sind unterwegs als in den ersten Wochen nach Neujahr, als die Übergriffe weltweit zu heftigen Diskussionen führten über Einwanderung, Sexismus, Rassismus. Viel wurde seitdem geschrieben und beklagt und festgestellt.
Und trotzdem ist einiges im Nebel geblieben. Warum war nicht genug Polizei im Einsatz in der Silvesternacht vor dem Kölner Hauptbahnhof? Warum kamen nicht weitere Polizisten hinzu, als sich die Menge nicht kontrollieren ließ? Und warum vermeldete die Polizei – wider besseres Wissen – am Neujahrsmorgen "weitgehend friedliche Feiern"?
Polizei im Zeugenstand
Knapp 45 Kilometer nördlich von Köln, in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf, soll ein Untersuchungsausschuss den Nebel lichten. Zu ihrer zweiten Sitzung haben die Parlamentarier deshalb Polizeihauptkommissar Günther Reintges eingeladen.
Reintges war in der Silvesternacht Dienstgruppenleiter. An der Planung des Polizeieinsatzes in der Nacht auf Neujahr war er nicht beteiligt, so sagt er. "Ich werde auf den fertigen Einsatz als Führer draufgesetzt, kriege ein Konzept, einen Einsatzbefehl. "Das Vertrauen in ihn - der keinen hohen Dienstgrad besitzt - sei jedoch gerechtfertigt gewesen. "Ich bin sehr Einsatz-erfahren. Ich habe im Vorjahr den Silvestereinsatz geführt. Das war anstrengend, aber gut machbar. "
Gewalt nicht absehbar
Mühsam arbeiten sich die Abgeordneten gemeinsam mit dem Zeugen durch Einsatzbefehl und -bericht. Immer wieder fallen die Worte "alkoholbedingte Exzesse". Allerdings: mit sexueller Gewalt in diesem Ausmaß habe man überhaupt nicht gerechnet, so Reintges. "Es gab im Vorjahr völlig andere Probleme."
Zudem seien Bahnhof und Domplatte in den Vorjahren nie Problem-Schwerpunkte gewesen, sagt Reintges. "Es gab da auch keine besondere Gefahrenlage. Deshalb war das auch nicht Teil der Planung."Hinweise habe es nur darauf gegen, dass die Polizei-bekannten so genannten Antänzer, Taschendiebe mit oftmals nordafrikanischem Hintergrund, deutlich vermehrt auftreten könnten. "Die jedoch wollten bei ihrem Tun möglichst nicht auffallen" - mit sexueller Gewalt sei deshalb nicht zu rechnen gewesen.
"Wenn das mal nicht in die Hose geht”
Im Einsatz selbst erwies sich diese Planung jedoch als fehlerhaft. Das konnte auch Reintges selbst feststellen, als er am Abend auf dem Weg zum Dienst am Hauptbahnhof ankam. "Wenn das mal nicht in die Hose geht, dass die nachher alle voll sind", habe er gedacht, als er zahlreiche junge Männer mit Migrationshintergrund gesehen habe, die schon am Abend dem Alkohol zusprachen.
Um 23 Uhr war die Lage am Bahnhof dann eskaliert. Drangvolle Enge, Feuerwerkskörper, die in die Menge flogen. "Wenn hier eine Massenpanik ausbricht, dann haben wir Tote", so Reintges Einschätzung. Deshalb habe er den Platz räumen lassen. Die Straftaten, die später begangen wurden: sexuelle Nötigung, Diebstahl, Gewalt, habe man später zum größten Teil allerdings nicht mitbekommen. Schließlich sei es sehr laut gewesen. Deshalb habe er auch keine weiteren Polizisten angefordert.
"Der Nebel verdichtet sich"
Für Hans-Willi Körfges von der SPD erklärt Reintges Bericht, warum die Verantwortlichen nicht mehr Einsatzkräfte eingeplant hatten: "Nach allem, was wir aus dem Einsatzbericht und aus der Aussage mitbekommen, war das eine Gefährdungslage, die vorher nicht zu erwarten war", so der Landtagsabgeordnete zur DW. Polizeiführung und Politik also aus dem Schneider? Der Nebel lichtet sich langsam? Nein, sagt der Ausschussvorsitzende Peter Biesenbach von der CDU im DW-Interview. "Der Nebel verdichtet sich sogar." Denn es kämen jetzt Fakten ans Tageslicht, mit denen man nicht gerechnet hatte. "Die Aussage, dass der Bahnhofsvorplatz und die Domplatte gar nicht in der Planung berücksichtigt waren – das überrascht uns schon."
Im Dezember möchte Biesenbach die Arbeit des Ausschusses abschließen. Vorher werden noch zahlreiche Polizeibeamte im Zeugenstand gehört. Besonders spannend dürfte es jedoch werden, wenn es politisch wird: Auch den Landesinnenminister will der Ausschussvorsitzende noch laden.