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Kurdenkonflikt mit Ankara flammt neu auf

Noah Blaser/ SP28. Juli 2015

In der Türkei ist der alte Konflikt mit der kurdischen Minderheit erneut ausgebrochen. Dadurch wird der jüngste Kampf Ankaras gegen den Islamischen Staat in den Schatten gestellt. Aus Istanbul berichtet Noah Blaser.

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Syrien Kurden an der Grenze zur Türkei (Foto: BULENT KILIC/AFP/Getty Images)
Bild: Getty Images/AFP/B. Kilic

Nach den Selbstmordanschlägen im türkischen Suruc beendete die Türkei ihren lang gehegten Widerwillen, gegen den selbsternannten "Islamischen Staat" (IS) vorzugehen. Ankara öffnete die US-Militärbasis in Incirlik für Kampfflugzeuge und begann zugleich selbst mit Bombardements gegen die Dschihadisten-Miliz.

Zeitgleich sickerten Pläne über eine Sicherheitszone entlang der türkischen Grenze im Norden Syriens durch – einem Gebiet, das bislang von den IS-Milizen kontrolliert wird. Für den Anschlag in Suruc hat die türkische Regierung den IS verantwortlich gemacht.

Doch die Angriffe der türkischen F-16-Kampfflugzeuge auf gut ein Dutzend Ziele in den Bergen des Nordiraks hatten einen gänzlich anderen Feind im Visier: Die Angriffe galten der Spitze der kurdischen Arbeiterpartei PKK, die in den vergangenen drei Jahrzehnten einen blutigen Kampf für ihre Selbstbestimmung im Südosten der Türkei geführt hat.

Kritiker befürchten nun, dass Ankaras neues Engagement gegen den neuen Feind IS von dem plötzlichen Wiederaufleben des Kampfes gegen einen seiner ältesten Rivalen überschattet wird.

Waffenstillstand aufgehoben

Allein in dieser Woche töteten PKK-nahe Gruppierungen sieben Sicherheitskräfte in Istanbul und im Südosten des Landes und beendeten damit einen Waffenstillstand, den der inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan im Frühjahr 2013 ausgerufen hatte. Durch den Krieg in Syrien wurde die PKK unsanft aus ihrem Schlaf gerüttelt.

Kurden werten die Nachsichtigkeit Ankaras gegenüber islamistischen Gruppierungen als Beweis für eine geheime Allianz gegen die Kurden-Milizen in Norden Syriens. Sie werfen der türkischen Polizei vor, bei dem Selbstmordanschlag in der vergangenen Woche mit dem IS kollaboriert zu haben. Ziel des Anschlags war eine Gruppe pro-kurdischer Aktivisten.

Rein theoretisch hätte der nun verstärkte Kampf des NATO-Mitglieds Türkei gegen den IS die Bande zwischen Ankara und der größten Minderheit im Land wieder aufleben lassen können. Doch das gegenseitige Misstrauen wurde durch Razzien, sowohl gegen kurdische als auch gegen IS-Netzwerke, noch verstärkt.

Razzia gegen Kurden

"Wenn überhaupt, fokussiert sich die Polizei mehr auf die Kurden als auf den IS", sagt Ertugrul Kurkcu. Er ist Vertreter der Kurden-Partei HDP. 627 HDP-Parteimitglieder seien in den Anti-Terror-Razzien am 26. Juni verhaftet worden, sagt Kurkcu. "Zu ihnen gehören 30 leitende Verantwortliche. 395 unserer Parteimitglieder sind immer noch in Gewahrsam."

Türkei Wahlen 2015 (Foto: REUTERS/Osman Orsal)
Siegestaumel: Anhänger der prokurdischen Partei HDP feiern nach den Wahlen im Juni den Einzug ins ParlamentBild: Reuters/O. Orsal

Eine DW-Recherche ergab, dass im gleichen Zeitraum 94 Menschen verhaftet wurden, die eine Verbindung zum IS haben sollen. Die HDP, die zwar die nationalistische Gesinnung der PKK teilt, aber jegliche Gewalt ablehnt, wurde in dieser Woche von sämtlichen Anti-Terror-Unterrichtungen des türkischen Verteidigungsministeriums ausgeschlossen.

Auch dieses Vorgehen macht die Kurden blind für tatsächliche Erfolge, die Ankara gegen den IS errungen hat. Im vergangenen Monat ließ ein türkisches Gericht mit dem auch als Ebu Hanzala bekannten Halis Bayancuk einen der einflussreichsten IS-Ideologen in der Türkei verhaften.

Die türkischen Behörden sperrten zudem eine Fülle dschihadistischer Webseiten und Accounts in den sozialen Medien. Offiziellen Informationen zufolge sollen seit Jahresbeginn mindestens 1300 IS-Verdächtige ausgewiesen worden sein. "Wenn es zu mehr Festnahmen von PKK-Mitglieder gekommen ist, dann nur, weil diese Gruppe viel tiefer in der Türkei verwurzelt ist", erklärte ein türkischer Beamter.

Der türkische Premierminister Ahmet Davutoglu kündigte an, weiterhin gegen beide Gruppen vorgehen zu wollen. Man werde jeden bekämpfen, der gegen die Türkei kämpfe, so Davoutoglu. Erst vor wenigen Tagen ging die Polizei im Istanbuler Gezi-Distrikt hart gegen regierungskritische Demonstranten vor.

Zweifel an Ankaras Anti-Terror-Botschaft

"Soll das eine Operation gegen den IS sein?" fragt Ladenbesitzer Yunu Rende während ein Mannschaftswagen vor seinem Geschäft vorbeifährt und mit Wasserwerfern in die Steine werfende Menge schießt. Viele Menschen in Gezi sehen die Regierung kritisch. Drei Aktivisten, die in Suruc getötet wurden, kamen von hier. Am Wochenende tötete eine Jugendgruppe der PKK einen Polizisten, Anti-Terror-Einheiten nahmen Dutzende fest.

Misstrauen gegenüber dem Staat fache weitere kurdische Gewalt an, sagt Howard Eissenstat, Türkeiexperte an der St. Lawrence University im US-Bundesstaat New York. Die Regierungspartei AKP von Präsident Erdogan habe nun Raum, sich nach dem enttäuschenden Wahlergebnis im Juni neu zu behaupten. "Erdogan zeigt mit seinem harten Vorgehen, dass er der Garant für Sicherheit ist und den Staat beschützt", sagt Eissenstat.

Die AKP hatte zum ersten Mal seit Beginn ihrer Regierungszeit bei den Wahlen im vergangenen Juni ihre Parlamentsmehrheit verloren. Verhandlungen mit möglichen Koalitionspartnern brachten bislang keine Ergebnisse. Die Wahrscheinlichkeit für Neuwahlen im Herbst steigt.

Ankaras harte Hand gegen die kurdischen Separatisten könne "nationalistisch gesinnte Wähler zurückgewinnen, die von Erdogans sultanischem Getue enttäuscht waren", sagt Eissenstat. Aus Sicht des türkischen Präsidenten ist dies möglicherweise eine kluge Politik.

Aus kurdischer Perspektive erscheint die Strategie gefährlich. "Der Konflikt schaukelt sich immer weiter auf. Er bringt schon jetzt so viel Hass", sagt HDP-Mitglied Kurkcu. Es habe Jahre gedauert, bis die Leute den Hass beiseite gelegt hätten. "Bei all dieser Gewalt fühlt es sich an, als würden die Leute die Fähigkeit, einander zu trauen, wieder verlieren."