Kurden gegen den "AKP-Faschismus"
8. August 2015Deutliche Worte wählte Gülistan Siverek gleich zum Auftakt der Kundgebung für Solidarität mit den Kurden: "Wir bitten darum, dass niemand mehr unterscheidet zwischen AKP und IS. Beide verfolgen dieselbe Ideologie", rief die Mit-Organisatorin den Demonstranten auf dem Kölner Ebertplatz zu.
Dass AKP und IS gleichzusetzen seien, sagte Siverek später ins DW-Mikrofon, sei keine Ansichtssache. Das praktische Vorgehen der türkischen Regierung belege dies: "Dienstleister des türkischen Militärs ermorden wahllos Menschen in kurdischen Städten." Genauso sei auch der IS gegen das kurdische Volk der Jesiden vorgegangen.
Siverek stößt damit in das selbe Horn wie Figen Yüksekdag, Co-Vorsitzende der pro-kurdischen Partei HDP, die bei den Wahlen im Juni überraschend mit 13 Prozent ins türkische Parlament eingezogen ist. Im DW-Interview sagte sie am Morgen vor der Demonstration: "Es gibt eine strategische und ideologische Nähe zwischen der türkischen Regierung und dem IS." Der HDP lägen Zeugenaussagen und Dokumente vor, dass die türkische Regierung den IS mit Waffenlieferungen unterstützt habe.
Umstrittene Vorwürfe gegen die Türkei
Solche Vorwürfe kommen regelmäßig aus den kurdischen Gebieten. Auch türkische Medien haben vielfach von der Unterstützung des IS durch die AKP-Regierung berichtet. So seien zum Beispiel verletzte IS-Kämpfer in der Türkei behandelt worden. Als unstrittig gilt bisher nur, dass die türkische Regierung die Terrormiliz lange gewähren ließ - und den kurdischen Peschmerga im Kampf gegen den IS die Unterstützung verweigerte. "Sie wollen nicht, dass die Kurden aus Syrien ihre Nachbarn sind, sondern bevorzugen das Islamische Kalifat", so Yüksekdag im DW-Interview.
Auch der Demonstrant Veysi erhebt Vorwürfe gegen die türkische Regierung. Die Einschätzung der Organisatorin Siverek, dass der "rassistische Terror der AKP-Regierung" alle Kurden in der Türkei gefährde, teilt er jedoch nicht: "Ach was! Man kann in Istanbul ohne Probleme sagen, dass man Kurde ist: Man muss sich ja nicht als PKK-Anhänger präsentieren."
Die aktuell drängendsten Probleme sieht er vor allem in der türkisch-syrischen Grenzregion, aus der er selbst stamme. Dort habe er erlebt, wie das türkische Militär den IS zumindest indirekt gegen die Kurden unterstütze: "Die haben die Grenze für Kurden geschlossen, so dass die Kämpfer in Kobanê keine Hilfe aus der Türkei bekommen konnten." Sein Cousin habe in Kobanê gegen den IS gekämpft, berichtet er der DW, während er mit rund 6000 weitern Demonstranten durch die Kölner Innenstadt zieht. Er selbst aber sei "kein Mann der Gewalt".
Türkische Nationalisten provozieren
Kurz bevor der Protestzug den Kölner Hauptbahnhof passiert, öffnet sich in einem der oberen Stockwerke eines angrenzenden Hauses ein Fenster. Ein Anwohner reckt den Demonstranten den "Wolfsgruß" entgegen - das Handzeichen der türkisch-nationalistischen Grauen Wölfe, denen rassistisch motivierte Gewalt, auch gegen Kurden, und sogar Morde nachgesagt werden.
Der Zug stoppt, viele Demonstranten beginnen in Richtung des Fensters zu schimpfen, manche werfen Gegenstände nach dem Provokateur. Der 21-jährige Veysi schüttelt darüber nur den Kopf. "Viele Jugendliche hier sind sehr aufgewühlt und lassen sich von so etwas provozieren. Aber das bringt ja nichts."
Dass es in Deutschland Anhänger der Grauen Wölfe gibt, sei für ihn nicht neu, deshalb halte er sich auch oft zurück mit seiner Forderung nach einem unabhängigen Kurdistan. Auf die Erfüllung dieses Traums hoffe er allerdings schon. Mehr Selbstverwaltung und ein Ende der Verfolgung in den bestehenden Grenzen wären ja schon ein Anfang: "Der erste Schritt wäre die Anerkennung, dass es so etwas wie Kurdistan überhaupt gibt." Vielleicht könnten die Menschen dort dann irgendwann auch mal eine eigene Regierung wählen.
Deutschlands schwache Stimme in Nahost
Große Illusionen macht sich Veysi allerdings nicht. Schließlich sei es allen voran die Türkei, die eine solche Entwicklung verhindern werde - und die Kurden hätten kaum Unterstützung. Auch der deutschen Regierung traut er in dieser Frage nicht viel zu: "Die sind genau wie die USA durch die NATO an die Türkei gebunden."
Tatsächlich haben die NATO-Partner weder das Vorgehen der türkischen Regierung gegen kurdische Stellungen, noch die indirekte Unterstützung des IS ernsthaft kritisiert. Auf dem außerordentlichen Treffen der NATO-Vertreter kurz nach Beginn der türkischen Militärschläge folgte Washington der Selbstverteidigungs-Rhetorik aus Ankara. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sicherte der Türkei im Namen aller Mitgliedsländer Solidarität zu. Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel rief lediglich zur Mäßigung im Kampf gegen die PKK auf.
In den Augen der Demo-Organisatorin Siverek ist das der falsche Weg. Sie will die Bundesregierung in die Pflicht nehmen: "Wir fordern von Deutschland, dass es seinen Einfluss in der NATO und der EU geltend macht, um den Friedensprozess zwischen den Kurden und der türkischen Regierung voranzutreiben."
Zunächst aber müsste man dazu in Deutschland natürlich anerkennen, dass die AKP einen Krieg gegen die Kurden führt und nicht gegen den Terror. Denn den IS bekämpfe sie nicht. Und die PKK sei keine Terrororganisation.