Martin Roth verteidigt Biennale-Auftritt für Aserbaidschan
12. Mai 2017Es werden Häppchen und Sekt auf Silbertabletts gereicht, ein illustres Publikum schiebt sich plaudernd zwischen die ausgestellten Kunstwerke im vornehmen Palazzo Lesse, nicht weit von der weltberühmten Piazza San Marco, mitten im Herzen von Venedig. Die Heydar Aliyev Foundation und die aserbaidschanische Botschaft haben zum Empfang geladen. Hohe Decken, freskenbemalte Wände, steinalte Parkett- und Fliesenböden bilden die Ausstellungskulisse, Stimmengewirr und sphärische Klänge füllen die Räume. Der Künstler Elvin Nabizade, ein Georgier, hat alte Musikinstrumente zu raumgreifenden Plastiken verbunden. Die Künstlergruppe Hypnotica arrangierte Bildschirme mit sprechenden Menschenköpfen zu einer wandfüllenden Installation. "Under One Sun. The Art of Living together", ist das Motto der Schau, zu deutsch: "Unter einer Sonne. Die Kunst, zusammen zu leben."
Auffallend viele Kameras, Mikrofone und Fotoapparate surren, als Martin Roth im Palazzo eintrifft. Der Mann, dessen Arbeit und dessen Worte Rätsel aufgeben, lächelt in das Blitzlichtgewitter. Mit der Verpflichtung des welterfahrenen Museumsmannes Roth, dem angesehenen deutschen Kulturmanager und langjährigen Leiter des Londoner Victoria & Albert Museums und noch dazu designierten Präsidenten des ifa-Kulturinstituts hat Aserbaidschan einen echten PR-Coup gelandet. Der Clan von Präsident Alijev aber regiert in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku mit brutalen Methoden, wie Human Rights Watch beklagt. Das System lebe von Korruption. Freiheit? - ein Fremdwort am Kaspischen Meer: "Es gibt keine Meinungsfreiheit, es gibt keine Freiheit, sich irgendwie zu versammeln, zu demonstrieren." Martin Roth muss sich unbequemen Fragen stellen.
Deutsche Welle: Herr Roth, Sie kuratieren den Pavillon Aserbaidschans auf der Biennale. Was ist Ihr Antrieb bei diesem Projekt?
Martin Roth: Da gibt es einige. Ich habe seit 2006 mit Aserbaidschan zusammengearbeitet. Die erste Ausstellung gab es 2008. In Dresden, als Chef des Hygienemuseums, wollte ich die gewachsenen Verbindungen zum Osten nicht abbrechen lassen, die es nach der Wende noch gab. Eine junge Kollegin machte mich darauf aufmerksam, dass in Aserbaidschans Gegenwartskunst viel passierte. Die Schau kam in Dresden sehr gut an. Auch am Victoria & Albert Museum in London hatte ich Kontakt zu Baku. Als dann der Anruf kam, als ich aus London wegging, habe ich sofort Ja gesagt.
Worum geht es bei dieser Präsentation?
Es geht ganz simpel darum: Wie haben es Menschen unterschiedlichster Herkunft, unterschiedlichster Sprachen und Religionen über die Jahrhunderte hinweg geschafft, mehr oder weniger friedlich zusammenzuleben? Das finde ich schon außergewöhnlich. Das Wort Blueprint (dt.: Blaupause), was mir da [in einem Interview mit dem Tagesspiegel, Anm. der Redaktion] herausgerutscht ist, ist mit Sicherheit kein intelligentes Wort, gehört aber nun mal zu meinem Sprachgebrauch. Aber bekannt zu machen, wie viele Ethnien hier zusammenleben, herauszustellen, was Künstler zur Versöhnung in Konflikten beitragen können, etwa zwischen Aserbaidschan und Armenien, all das war der Hintergrund.
Blueprint ist Ihnen rausgerutscht, sagen Sie. Der aserbaidschanischen Seite hat das aber so gut gefallen, dass sie überall mit Ihrem Konterfei diesen Satz abdruckte: "Aserbaidschan ist der Blueprint für das tolerante Zusammenleben von Menschen."
Ja, Sie wissen wie das ist: Es wird immer abgedruckt, wenn man so was sagt.
Haben Sie mit Blueprint ein falsches Wort gebraucht? Darin steckt ja die Aussage, dass Aserbaidschan ein freies Land ist.
Ich habe kein einziges Mal von Freiheit geredet. Ich habe von Toleranz und Harmonie geredet. Und ich finde es schon beeindruckend, wie etwa in einer der ausgestellten Arbeiten, die verschiedenen Menschen argumentieren. Das deckt sich mit dem, was ich selbst erlebt habe auf meinen Reisen nach Baku. Wir reden nicht über Politik. Wir reden über das Zusammenleben der Menschen.
Lässt sich beides trennen? Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Aserbaidschan auf Platz 168 von 180 ...
Wir machen keine Ausstellung zur Pressefreiheit.
...und viele Organisationen wie Human Rights Watch kritisieren die Menschenrechtslage im Land. Wie passt dazu die Aussage "Blueprint für Vielfalt und Toleranz"?
Ich habe Ausstellungen in China oder im Iran gemacht, und wurde dafür extrem angegriffen. Ich werde jetzt nicht ins laufende Mikrofon sagen, was die Motivation dabei war. Sonst brauchte man solche Ausstellungen nicht zu machen. Es geht darum, Menschen jenseits der Politik zusammenzubringen.
Hatten Sie beim aserbaidschanischen Pavillon jemals die Sorge oder den Verdacht, man könnte Sie instrumentalisieren?
Nein, nein, sonst wäre ich nicht mehr hier. Und Sie würden mich gar nicht antreffen. Es ist ein einziges Mal in 35 Jahren meines Berufslebens versucht worden, mich zu beeinflussen. Das war in Sachsen. Damals bin ich aus der Besprechung rausgegangen. Sonst habe ich das nie erlebt.
Ihr Name ist riesengroß in der Kunstwelt. Der steht jetzt auf diesem Projekt von Aserbaidschan.
Da schmeicheln Sie mir aber. Nein, ich hatte in den letzten zehn Jahren nicht den Eindruck, dass man mich in Aserbaidschan ausgenutzt hat. Oder unschicklich nach vorne geschoben hätte.
Sie treten im Juli Ihr Amt als ifa-Präsident an. Sehen Sie einen inneren Widerspruch zwischen Ihrem Eintreten für Aserbaidschan und der Leitung eines deutschen auswärtigen Kulturinstituts?
Das ist kein Eintreten für Aserbaidschan. Ich habe eine Ausstellung gemacht. Das ist ein Unterschied. Und wenn das ifa in den letzten 100 Jahren nicht in der Lage gewesen wäre, sich auf andere Länder einzulassen und auch mit schwierigen Ländern an einen Tisch zu setzen, dann hätte es nichts hinbekommen. Insofern: wenn wir uns immer nur auf unsere Werte besinnen, können wir das ifa oder das Goethe-Institut zumachen – oder die Deutsche Welle.
In die Debatte um das Engagement des deutschen Kunstmanagers Martin Roth für den Pavillon von Aserbaidschan auf der Venedig-Biennale hat sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters eingeschaltet, sich aber zurückhaltend geäußert. "Ich denke jeder, der sich als Kurator für was auch immer und für welches Land oder welche Firma und ihre Stiftung in die Pflicht nehmen lässt, weiß, warum er das tut", sagte Grütters in Venedig der Deutschen Presse-Agentur. "Man kann es ja
vielleicht sogar als Herausstellen einer besonderen Botschaft benutzen. Dass überhaupt über solche Kombinationen diskutiert werde, sei ja auch schon ein ganz wichtiger Beitrag, so Grütters. Roth - ehemaliger Leiter des Londoner Victoria und Albert Museums und Ex-Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden - ist bei der diesjährigen Kunst-Biennale Mitkurator für den Pavillon des autokratisch geführten Landes. Ab Juli übernimmt er die Präsidentschaft des ifa-Instituts in Stuttgart.
Das Gespräch mit Martin Roth führte Stefan Dege