Der Kunstmarkt bleibt im Corona-Fieber
31. Dezember 2020Für Dirk Boll steht der Kunstmarkt vor einer "Zeitenwende". Die Corona-Krise habe den Wandel der traditionsverhafteten Branche "wie ein Katalysator" beschleunigt, sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. Nun komme die Digitalisierung "im Turbogang". Boll ist Kunsthistoriker und einer von vier Präsidenten, die mit dem Geschäftsführer Guillaume Cerutti das Londoner Auktionshaus Christie's leiten. In diesen Tagen erscheint Bolls neues Buch. Darin analysiert er die Auswirkungen der jüngsten Wirtschaftskrisen auf den Kunstmarkt. Mit Blick auf Covid-19 hat er sein Buch überschrieben:
"Was ist diesmal anders? Wirtschaftskrisen und die neuen Kunstmärkte."Schon nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 stand fest: Die Corona-Pandemie hat die Kunstwelt im Griff, wie etwa die Halbjahres-Umfrage der Art Basel und der schweizerischen Großbank UBS unter 795 Galerien aus rund 60 Ländern zeigte.
Danach schrumpften die Galerieverkäufe weltweit um mehr als ein Drittel. Auf Talfahrt ging auch die Stimmung in den Galerien: Rund die Hälfte der Betroffenen fürchtete weiter sinkende Umsätze. Der neuerliche Lockdown dürfte den Pessimismus noch weiter anheizen. "Die Pandemie hat den Kunstmarkt - und insbesondere den Galeriesektor - vor einige seiner größten Herausforderungen gestellt", so das Fazit der Leiterin der Studie, der irischen Kunstökonomin Clare Mc Andrew.
Kunst-Nachfrage ungebrochen
Doch auch der Auktionsmarkt litt und leidet unter der Pandemie, wenn auch weniger stark: So kam in den Auktionshäusern nach Berechnungen des französischen Online-Portals ArtMarket.com im Jahresvergleich zwar gut ein Fünftel weniger Kunst unter den Hammer, der Umsatz brach bis August sogar um fast die Hälfte ein.
Aber: "Den Auktionshäusern ist es gelungen, ihre Tätigkeit weitgehend fortzusetzen", so ArtMarket-Geschäftsführer Thierry Ehrmann auf seiner Website. Auch seien die Kunstmarktpreise "keineswegs systematisch" gesunken, wie etwa der Verkauf von Giorgio de Chiricos Gemälde "Il pomeriggio di Arianna" (1913) für 15,9 Millionen Dollar bei Sotheby's in New York am 29. Oktober 2020 belege. Die Nachfrage nach Meisterwerken sei sogar ungebrochen.
Was heißt die Pandemie also für den Kunstmarkt? Ließ der Lockdown schon im Frühjahr viele Kunstmessen, Auktionen und Ausstellungen platzen, so schien ein Neustart selbst im Herbst noch in weiter Ferne. Das Aus der Großevents traf die Händler hart. Für viele sind Messen die wichtigsten Verkaufsplattformen. Die Branche verlegte ihren Umschlagplatz also, soweit möglich, ins Internet. Online-Galerien schossen wie Pilze aus dem Boden. Kunstmessen wie die Art Basel oder die Art Cologne eröffneten "Online Viewing Rooms", jedoch mit unterschiedlichem Erfolg: Wer vorher schon groß war, konnte auch schneller und im größeren Stil in neue Technik investieren, sagt Dirk Boll, der Kunstmarkt-Experte von Christie's.
Online-Kunsthandel boomt
Die Kunstkäufer und Sammler sorgen zudem, wie Boll meint, für eine "Konservativierung des Angebots". Bei digitalen Messeauftritten und in Online-Viewing-Rooms hätten es jüngere und unbekanntere Positionen sichtlich schwerer. Oder, wie es Kristian Jarmuschek, Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Galerien (BVDG) im DW-Gespräch ausdrückt: "Bekanntes profitiert, denn Marken verkaufen sich bekanntlich besser." Das Nachsehen haben kleinere Galerien, die noch keine Künstlermarken im Angebot haben, sondern Basisarbeit leisten, sich also dem Aufbau von jüngeren und unbekannten Künstlern widmen.
Vor der Krise taugte das Internet vor allem als Schaufenster der Kunst. Die Umsätze waren überschaubar: Von den 64,1 Milliarden US-Dollar, die laut ArtMarket.com im Vorjahr am Welt-Kunstmarkt umgesetzt wurden, entfielen zehn Prozent auf den Online-Sektor. Doch im ersten Quartal 2020 schnellte der Anteil auf 37 Prozent hoch.
Und schon hat der digitale Markt sein Nischendasein verlassen und ist zu einem ernstzunehmenden Faktor geworden, zumindest im Auktionshandel, wie Dirk Boll versichert: "Wir gehen davon aus, dass wir im Jahr 2021 etwa die Hälfte aller unserer Objekte über Online-Only-Auktionen absetzen werden." Bereits jetzt hätten die Auktionshäuser die Wertgrenzen ihrer verkauften Objekte deutlich nach oben verschoben - was Boll als Zeichen für das wachsende Vertrauen der Käufer in den digitalen Kunstvertrieb wertet.
Mit dem neuerlichen Lockdown könnten die Hoffnungen mancher Händler für 2021 verfliegen. Immerhin rechnete zur Jahresmitte noch die Hälfte der befragten Galerien mit steigenden Umsätzen im neuen Jahr. Unterdessen haben Deutschlands Galeristen derzeit wenig Grund zur Klage, wie BVDG-Chef Kristian Jarmuschek betont. Noch habe keine Galerie aus Corona-Gründen schließen müssen. Vielmehr sei der Lockdown der klassischen Galeriearbeit zugute gekommen. "Wir können uns Zeit nehmen für unsere Kunden, die ihrerseits mehr Zeit für die Kunst haben."