Kritik an EU-Migrationspolitik
16. Juni 2016"Wenn ich in meinem Heimatland bleibe, sterbe ich zu 100 Prozent. Bei einer Flucht nach Europa liegt die Wahrscheinlichkeit nur bei 50 Prozent." Auf diese Formel bringt es ein junger afrikanischer Flüchtling. Auf einer Fachtagung zur deutschen und europäischen Migrationspolitik legt er den Experten seine ganz persönliche Sicht dar. Eingeladen zu diesem Austausch hatte die Oppositionspartei im deutschen Bundestag "Die Linke".
Hintergrund sind die sogenannten Khartum- und Rabat-Prozesse, in denen die EU die Migrationszusammenarbeit mit den Ländern in Ost- bzw. Westafrika geregelt hat - und die angekündigten Migrationspartnerschaften der EU: Für eine erfolgreiche Unterbindung von Migration Richtung Europa soll es Gelder geben, für eine Nicht-Kooperation Sanktionen bis hin zu Handelsbeschränkungen. Kritiker sprechen von einer Kopie des heftig umstrittenen EU-Türkei-Abkommens, das vorsieht Flüchtlinge zurückzuschicken.
Klare Antworten gibt es nicht
Die zentrale Frage der Veranstaltung: Lassen sich Flucht- und Migrationsbewegungen aus Afrika überhaupt von Europa aus kontrollieren? Jein - lautet die Antwort von Stephan Dünnwald von der Organisation "Bayrischer Flüchtlingsrat", der eine Studie zu dem Thema koordiniert hat: "Nach den Erfahrungen, die wir im Rabat-Prozess (in Westafrika, Anm. d. Red.) gemacht haben, hat das mal mehr und mal weniger gut funktioniert", sagt der Aktivist im DW-Interview. So verdienten Staaten wie Mali oder Senegal sehr viel mehr durch Geld, das Migranten aus dem Ausland zurück in die Heimat überwiesen, als mit EU-Geldern zur Migrationsbekämpfung, sagt Dünnwald. "Hier müsste schon ein sehr gutes Angebot seitens der EU kommen, damit etwa Mali sagen würde: Ok, wir begrenzen jetzt die Migration, wir kooperieren mit der EU."
Ein weiterer Kritikpunkt: Der Umgang mit Menschenrechten. Deutsche Medien hatten vergangenen Monat über umstrittene Abkommen der deutschen Entwicklungsorganisation GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) berichtet: Mit EU-Geld soll sie unter anderem Grenzsicherungsprojekte im Sudan betreiben und sudanesische Sicherheitskräfte ausrüsten.
Umstrittene Zusammenarbeit mit dem Sudan
Marina Peter vom Verein "Sudan und Südsudan Forum" kennt die Region gut. Sie kritisiert das Projekt: "Leider müssen wir feststellen, dass die Menschenrechte, die in Deutschland propagiert werden, zunehmend geopfert werden zugunsten einer Zusammenarbeit für angebliche Sicherheit und Stabilität."
Auch die autoritären Regime in Eritrea und Ägypten sind als EU-Projektpartner im Gespräch. Auch das sieht Marina Peter kritisch: "Da muss man sich natürlich die Frage stellen: Wie will man mehr Menschenrechte und Good Governance in diesen Ländern durchsetzen, wenn man genau zu diesen Vorgängen schweigt? Wir hören nicht von Deutschland und von der EU, dass sie so etwas anprangern."
"EU wirft ihre Werte über den Haufen"
Das sieht der entwicklungspolitische Sprecher der Linkspartei, Niema Movassat, ähnlich: "Bemerkenswert ist ja, dass man jetzt mit einem sudanesischen Regime sehr eng zusammenarbeiten möchte, das man vorher wegen Menschenrechtsverletzungen abgelehnt hat. Und jetzt ist dieses Regime plötzlich gut genug", so Movassat. Er hat jüngst von der Bundesregierung Auskunft über die deutsche Zusammenarbeit mit"Schurkenstaaten" am Horn von Afrikaverlangt.
"Die EU wirft das, was sie immer als ihre Werte definiert - Würde, Menschenrechte, Gerechtigkeit, Freiheit - über den Haufen bei der Zusammenarbeit mit diesen diktatorischen Regimen, weil sie sich davon verspricht, Flüchtlinge zu stoppen", sagt Movassat. Entwicklungsgelder würden hier missbraucht und zweckentfremdet.
Afrikanische Politiker unter Druck
Der malische Menschenrechtsaktivist Ousmane Diarra ergänzt die Debatte um die afrikanische Perspektive: "Wir, die Zivilgesellschaft in den Staaten Subsahara-Afrikas, haben festgestellt, dass es einen realen Druck auf afrikanische Politiker gab, damit sie allen Prozessen und Bestimmungen der EU zustimmen", sagt er im DW-Interview.
Die EU schlösse seit Langem Abkommen mit Maghreb-Staaten wie Libyen, Mauretanien, Marokko oder Tunesien ab, die für die EU als Gendarmen einspringen sollten, so Diarra. Diese Zusammenarbeit habe seit 2004 viele Dramen verursacht - wie etwa in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla. Abkommen zwischen einzelnen Staaten in Europa und Afrika seien daher nicht wünschenswert, sagt Diarra. Vielmehr brauche es eine "wohl überdachte, globale Konvention zwischen Europäischer und Afrikanischer Union".