Krise im Iran: Was wir wissen und was nicht
13. Januar 2020Zehn Tage sind vergangen, seit die USA den iranischen Top-General Ghassem Suleimani töten ließen. Beide Mächte standen am Rande eines Kriegs. Dann wendete sich das Blatt: Inzwischen droht vor allem eine innerpolitische Eskalation der Lage im Iran.
Was hat zu den jüngsten Protesten geführt?
Der Absturz einer ukrainischen Linienmaschine nahe des Teheraner Flughafens geht auf das Konto des Irans. Nach tagelangem Dementi räumte das Militär am Samstag den versehentlichen Abschuss ein. Ein Soldat habe die Maschine für einen feindlichen Marschflugkörper gehalten und eine Rakete abgefeuert, erklärte das Militär. Die gesamte iranische Führung entschuldigte sich für den Vorfall, bei dem 176 Menschen gestorben sind.
Der Abschuss hat die Stimmung im Land kippen lassen. Unter den Toten sind auch viele Iraner, die im Ausland leben, und im Iran ihre Familien besucht hatten. Hunderte Menschen versammelten sich am Samstagabend vor der Amir-Kabir-Universität in Teheran, um der Toten zu gedenken. Die Mahnwache entwickelte sich jedoch zu einem wütenden Protest, bei dem die Demonstranten den Rücktritt der Verantwortlichen forderten.
Zwei wichtige Unterschiede zu November-Protesten
Obwohl am Sonntag Polizei und Militär vor den drei großen Universitäten und an wichtigen Plätzen Teherans zusammengezogen wurden, gingen wieder Tausende Menschen auf die Straße. In verschiedenen sozialen Medien kursierten Videos, die zeigten, wie Demonstranten "Tod dem Diktator" riefen oder den "Oberbefehlshaber" zum Rücktritt aufforderten. Gemeint war in beiden Fällen der mächtigste Mann des Landes, das geistliche Oberhaupt Ajatollah Ali Chamenei.
Bereits im November hatte es breite Proteste im Land gegeben, bis zu 1500 Menschen sollen dabei getötet worden sein. Diesmal gibt es aber zwei entscheidende Unterschiede: Der derzeitige Protest wird getragen von der Mittelschicht, vor allem von Studenten, die bei den Protesten im November noch fehlten. Zweitens hatte die iranische Führung im November über Tage hinweg das Internet gesperrt. Diesmal funktioniert es weitgehend, Videos aus Teheran erreichen die Welt. Und die Reaktionen von dort ließen nicht lange auf sich warten.
"Die Welt schaut hin"
US-Präsident Donald Trump twitterte am Wochenende auf Englisch und Persisch und solidarisierte sich mit den iranischen Demonstranten: "Die Welt sieht zu", schrieb er und forderte von der iranischen Führung: "Töten Sie nicht ihre Demonstranten."
Auch Kanada nahm Stellung. 57 der 176 getöteten Insassen der abgeschossenen ukrainischen Maschine waren Kanadier. Premierminister Justin Trudeau hat den Hinterbliebenen "Gerechtigkeit" versprochen. "Wir werden nicht Ruhe geben, bis Antworten vorliegen", sagte Trudeau bei einer Trauerzeremonie an der Universität Edmonton im Westen des Landes.
Kanada beteiligt sich mit einem Team aus Experten an der Aufklärung des Abschusses. Drei Mitglieder sind bereits in Teheran gelandet. Außenminister François-Philippe Champagne gab bekannt, dass sechs weitere Experten ein Visum für den Iran erhalten hätten.
Welche Fragen sind noch offen?
Kanada bemüht sich zwar um Aufklärung. Noch ist aber unklar, wer genau für den Abschuss des Flugzeuges verantwortlich ist und wann die Person zur Rechenschaft gezogen werden wird. Nachdem die Führung in Teheran zunächst von einem technischen Defekt als Absturzursache sprach, gibt sie mittlerweile den Abschuss zu. Einige Verantwortliche seien deshalb der Lüge und Vertuschung bezichtigt worden, sagte Regierungssprecher Ali Rabiei im Staatsfernsehen: "Dies dies war jedoch, in aller Ehrlichkeit, nicht der Fall." Vielmehr sei die Informationslage auch im Iran zunächst unklar gewesen.
Werden die Proteste gewaltsam niedergeschlagen?
Eine der größten offenen Fragen ist, ob die Proteste im Iran in Gewalt umschlagen werden. Videos, die am Sonntagabend und auch am Montag auf Twitter kursierten, zeigen Blutlachen auf den Straßen Teherans. Auf anderen Videos sind Schüsse zu hören. Zu sehen sind auch bewaffnete Männer, die offenbar Sicherheitskräften angehören. In einigen Videos schlagen Einsatzkräfte mit Schlagstöcken auf Demonstranten ein. Menschen rufen: "Schlagt sie nicht." Und: "Bleibt zusammen, sonst verhaften sie uns."
Polizeichef Hossein Rahimi hat die Vorwürfe zurückgewiesen: "Bei den Protesten hat die Polizei absolut nicht geschossen, weil die Polizei der Hauptstadt die Anweisung hatte, sich zurückzuhalten", hieß es in einer am Montag auf der Website des staatlichen Fernsehens veröffentlichten Erklärung.
Wie stark sind die Kräfte?
Unklar ist auch, wie groß die Unterstützung für den getöteten General Suleimani im Land tatsächlich ist. Teheran hat Trumps Solidaritätsbekundungen als "Krokodilstränen" zurückgewiesen. Immerhin habe er einen "Nationalhelden" getötet. An der Beerdigung Suleimanis nahmen Hunderttausende Menschen teil.
Allerdings ist nicht sicher, inwieweit die Teilnahme auf freiwillig erfolgte. Auf Twitter-Videos ist auch sehen, wie Iraner Plakate, die Suleimani zeigen, abreißen und anzünden. Ob der Tod Suleimanis die Iraner also eher vereint hat oder, im Gegenteil, die tiefen Risse im Land offenbart, bleibt abzuwarten.