Krebs endet in Afrika zu oft tödlich
4. Februar 2022"Es kommen mehr Menschen zu uns als in den Vorjahren", sagt Lilian Gasper. Sie ist Assistenzärztin auf der Krebsstation im Kilimanjaro Christian Medical Centre in Moshi, am Südhang des Kilimandscharo in Tansania. "Aber sie wissen wenig über diese Erkrankungen." Also fährt Gasper mit Gemeindemitarbeitern auch in die Dörfer, um dort Menschen über die Krankheit und Früherkennungsmethoden aufzuklären.
"Wir zeigen Frauen, wie sie ihre Brust abtasten können, und untersuchen sie in unserer mobilen Klinik. Wir machen Brustaufnahmen und impfen junge Mädchen gegen Gebärmutterhalskrebs", sagt Gasper im DW-Interview.
Tansania: Nur zwanzig Fachärzte für Krebsmedizin
Doch es mangelt nicht nur an Wissen in der Bevölkerung, sondern vor allem an medizinischer Ausstattung. "Wenn wir nordafrikanische Staaten und Südafrika ausnehmen, ist die Abdeckung mit Fachärzten und Personal insgesamt sehr schlecht", sagt Henke der deutsche Arzt Oliver Henke. Er hatte 2016 in Moshi die neue Krebsstation im KCMC-Krankenhaus mit aufgebaut - bis vor einem Monat noch sein Arbeitsplatz. Heute ist er an der Charité Berlin tätig.
In Tansania, sagt Henke, gebe es für 60 Millionen Einwohner weniger als zwanzig Fachärzte für Krebsmedizin und drei Krankenhäuser, wo Krebstherapie angeboten werde. Nur in zwei davon gibt es die Möglichkeit zur Strahlentherapie. In Moshi fehlt dies laut Assistenzärztin Gasper noch. Ein Strahlenzentrum sei zwar geplant - doch noch reiche das Geld dafür nicht aus.
Die Kliniken sind überlastet, schildert Onkologe Henke. Patienten müssten oft ein oder zwei Tagesreisen auf sich nehmen, um zur Behandlung zu kommen. "Die ist dann aber nicht kostenfrei - nur acht Prozent der Tansanier haben eine Krankenversicherung, die Krebs einschließt. Die anderen müssen aus eigener Tasche zahlen, Spenden sammeln oder versuchen, an freien Hilfsprogrammen teilzunehmen", sagt Henke.
Zu wenig Routine-Untersuchungen
Das Fatale: Für viele ist es dann schon zu spät. "Es fehlt an Routine-Untersuchungen, viele Patienten kommen, wenn sie schon Symptome haben", sagt Gasper. Die Mehrheit suche erst traditionelle Heiler auf - ein Dilemma, denn sie könnten Krebs nicht heilen. Henke bestätigt, 80 Prozent der Patienten kämen erst, wenn der Krebs nicht mehr heilbar sei.
Doch es gibt einen weiteren Punkt, der zu einer höheren Krebs-Todesrate in Afrika beitragen kann. "Wir wissen", sagt Henke, "dass Prostata-Karzinome bei afrikanischen Männern früher auftauchen und in aller Regel auch viel aggressiver sind." Auch bei Frauen würden aggressivere Formen des Brustkrebs häufiger als in Deutschland auftreten. Laut Henke sind diese Unterschiede "sehr wahrscheinlich genetischer Natur".
Risikofaktor: Veränderte Lebensgewohnheiten
Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass sich weltweit die Krebsfälle von 2018 bis 2040 nahezu verdoppeln. Einige Gründe: Die Weltbevölkerung wächst und die Lebenserwartung steigt.
Ein Autorenteam von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die überwiegend am Pasteurinstitut in Tunesien arbeiten, hat Trends in der Entwicklung von Krebs auf dem afrikanischen Kontinent untersucht. In ihrer 2021 im Wissenschaftsjournal "Frontiers in Oncology" veröffentlichten Untersuchung schreiben sie, dass mehr Wohlstand und Reichtum in Afrika Risikofaktoren für Krebserkrankungen sind. Veränderte Lebensgewohnheiten wie "Verstädterung, verschiedene Formen der Verschmutzung, mehr Tabak- und Alkoholkonsum und eine Ernährung mit viel Fleisch, Zucker und verarbeiteten Lebensmitteln" steigerten das Risiko.
Gebärmutterhalskrebs weit verbreitet
Onkologe Henke sagt, geschätzt 30 Prozent aller Krebsfälle in Subsahara-Afrika werden durch Infektionen verursacht oder mit verursacht. Darunter fällt auch Gebärmutterhalskrebs, der durch eine Infektion mit humanen Papillomviren entsteht. Risikofaktoren sind der Medizinerin Gasper zufolge: Sex ohne Kondom oder mehrere Sexualpartner, denn so würden die Viren übertragen.
Dem Projekt "The Cancer Atlas" zufolge sorgte dieser Krebs 2018 in mehr als der Hälfte der Staaten in Subsahara-Afrika für die meisten Todesfälle. Die Studie aus Tunesien bestätigt eine hohe Sterberate für Gebärmutterhalskrebs in Afrika: 2018 überlebten in Ost-, Zentral- und Westafrika jährlich mehr als 75 Prozent der betroffenen Frauen diese Krebserkrankung nicht. Nur im südlichen Afrika ging die Sterblichkeitsrate zurück, in allen anderen afrikanischen Regionen war sie in den vier Jahren davor gestiegen. Zwar gibt es inzwischen Impfungen gegen diese Krebsart, allerdings, berichtet Gasper aus ihrer Erfahrung in Tansania, sei die Impfskepsis noch groß.
Südafrika: Lungenkrebs auf Platz eins
Die Studie aus Tunesien zeigt auch: Im nördlichen und südlichen Afrika ist Lungenkrebs auf dem Vormarsch. In Südafrika verursachte dieser Krebs 2018 die meisten Todesfälle, heißt es bei "The Cancer Atlas". Nicht nur deswegen kritisiert Lorraine Govender, Managerin für Gesundheitsförderung bei CANSA - Südafrikas älteste Nichtregierungsorganisation im Kampf gegen Krebs - das Fehlen eines offiziellen Screening-Programms gegen Lungenkrebs.
Obwohl Südafrika als Land mit mittlerem und höherem Einkommen gilt, gibt es laut Govender massive Ungleichheiten in der Behandlung von Krebs. Derzeit gibt es nur eine private Gesundheitsversicherung gestaffelt nach Beiträgen - eine öffentliche Krankenversicherung wird diskutiert. Ärmere Kranke sind also benachteiligt. Und: "Auf dem Land ist die Versorgung gering, es fehlt an Personal. Die meisten Onkologen arbeiten in Privatkliniken."
Die Politik handele zu langsam, um an der Situation etwas zu ändern, findet Govender: "Menschen sterben, während wir auf neue Gesetze und eine Stärkung des Gesundheitssektors warten."