Kosovo-Flüchtlinge in Serbien: Fremd im eigenen Land
26. Oktober 2006"Setzen Sie sich doch!" sagt der 50-jährige Dragan. Seine Wohnung erinnert an einen Abstellraum: Ungeputzte Wände aus großen roten Ziegeln, Lehmboden, Decke aus Holzplatten, wären da nicht der kleine Fernseher auf dem Kühlschrank, die Couch nebenan und ein Kochtopf auf dem weißen Ofen. Es ist die neue Unterkunft für Dragan und seine Frau, die im Juni 1999 das Kosovo verlassen mussten und seitdem als Flüchtlinge in Obrenovac nahe Belgrad leben.
"Die Sprache werde ich nie vergessen"
Verzweifelt erzählt Dragan sein Schicksal. "Ich bin zum Sklaven in meinem Staat geworden. Ich weiß nicht weiter", sagt er. "Ich musste miterleben, wie zwei meiner Brüder umgebracht wurden, mein Sohn wurde zwei Mal verwundet, ich wurde auch bombardiert." Sein Haus in Djakovica ist inzwischen verwüstet. In der Stadt an der Grenze zu Albanien leben kaum noch Serben. Bei seinem einzigen Besuch im letzen Jahr im Kosovo durfte er seinem Haus nicht zu nahe kommen. Das Grab seines Bruders war geschändet. "Meine beiden verunglückten Brüder und ich haben mit den Albanern friedlich gelebt, 45 Jahre lang, und wir haben uns gegenseitig besucht bei Todesfällen", erinnert er sich.
Für Dragan ist das alles unbegreiflich. Die Milosevic-Ära bezeichnet der gelernte Mechaniker als den Aufbruch der Demokratie im Kosovo. Er konnte er eine Stelle bei der Post bekommen, nachdem die Albaner aus Protest gegen ihre Unterdrückung alle staatlichen Institutionen boykottierten. Dennoch blüht er richtig auf, wenn man ihn auf Albanisch anspricht. "Seit sieben Jahren spreche ich kein Albanisch mehr. Aber bevor ich einschlafe, unterhalte ich mich jeden Abend in meinen Gedanken mit Besim, Hajdar und den anderen", sagt er von sich. Und: "Die Sprache werde ich nie vergessen, solange ich lebe."
Nicht einmal ein Zehntel kehrte zurück
Dragan ist einer der über 200.000 Menschen, die seit 1999 das Kosovo verlassen haben und jetzt in Serbien verstreut sind. Die internationale Verwaltung im Kosovo (UNMIK) bemüht sich schon seit Jahren, die Vertriebenen zur Rückkehr zu bewegen. Dem Aufruf sind bisher knapp über 15.000 Serben, Aschkalis, Roma und andere Mitglieder anderer Minderheiten gefolgt. Rund 250.000 von ihnen sind seit 1999, dem Ende des NATO-Kriegs gegen das Milosevic-Regime, aus dem Kosovo geflohen. Laut UNO-Resolution 1244, die nach Kriegs-Ende verabschiedet worden ist, ist das Kosovo verpflichtet, die Flüchtlinge zurückzunehmen.
"Ich habe ihnen die Unterlagen gezeigt – vergeblich"
Die Mehrheit der Flüchtlinge fürchtet immer noch um ihr Leben - oder sie finden das Kosovo nicht attraktiv genug, um dort ein neues Leben aufzubauen. Manche ringen noch mit den kosovarischen Behörden, um wenigstens den Besitz-Anspruch auf ihre ehemaligen Häuser geltend zu machen. Die 35-jährige Vesna, die ebenfalls seit 1999 mit ihrem Mann und ihren drei Kindern als Flüchtling in Obrenovac wohnt, war im September selbst in Decani, um nach ihrem Haus zu schauen. "Ich habe mit der Verwaltung und mit dem stellvertretenden Bürgermeister gesprochen. Ich habe ihm alle internationalen Unterlagen gezeigt – vergeblich", berichtet sie. "Ich konnte weder in mein Haus zurückkehren, noch das Haus verkaufen. Sie haben mir einfach gesagt, dass das jetzt alles ihnen gehöre."
Vesna ist in Serbien geboren. Das Haus bekam sie 1990 vom Staat geschenkt, als sie einen Serben im Kosovo heiratete und dort hinzog. Kontakte mit den Albanern sie kaum gehabt. Dennoch fürchtet sie sich nicht, im Kosovo zu leben, selbst wenn es unabhängig und von den Albanern regiert werden würde. "Es ist nicht wichtig, ob das Kosovo unabhängig ist", sagt sie. "Wir hätten auch dann unsere eigenen Institutionen und unsere Vertreter in einem angemessenen Prozentsatz." Aber da ist auch noch ein Aber: "Wir müssten eine Garantie haben, dass das dann auch so akzeptiert wird."
Als Heimat nicht begehrt
Dass es nicht immer leicht ist, zeigen die jüngsten Ereignisse in Klina. Innerhalb von zehn Tagen gab es im September drei Anschläge auf Rückkehrer: Ein Toter, vier Verletzte aus derselben Familie, ein zersprengtes Haus sind die traurige Bilanz. Umfragen des UN-Entwicklungsprogramms geben keine besonders optimistische Stimmung: Zwar befürwortet die Mehrheit der Albaner die Rückkehr der Minderheiten. 30 Prozent sind dagegen. Außerdem ist das Kosovo als Heimat nicht allzu begehrenswert: Die Arbeitslosigkeit beträgt 40 Prozent. Die Hälfte der Bevölkerung lebt von weniger als zwei Euro am Tag.
Vesna würde trotzdem zurückgehen, "wenn die Sicherheit garantiert wäre." Und bestimmte Mindestvoraussetzungen erfüllt wären: "Schulwesen, Gesundheitswesen, Arbeitsplätze", zählt sie auf. Für Dragan dagegen sind die glücklichen Zeiten in Kosovo für immer vorbei. Solange es dort eine Art "Berliner Mauer" gäbe, wolle er nicht zurückkehren.
Anila Shuka
DW-RADIO, 26.10.2006, Fokus Ost-Südost